Kritik an Bertelsmann: "Gruner + Jahr wurde vernachlässigt"

Herr Schmitz, bei Gruner + Jahr werden 700 Stellen abgebaut. Hat Sie der Umfang der Sparmaßnahmen überrascht? Christoph Schmitz: Der Umfang hat nicht nur uns, sondern die ganze Belegschaft, Betriebsräte und auch frühere Manager und Managerinnen überrascht. In der Mitarbeiterversammlung, auf der Thomas Rabe als Chef von Bertelsmann und RTL die Pläne verkündet hat, herrschte Zorn, Schock und es gab Proteste. Später haben die "GEO"-Chefredakteure ihren Rücktritt erklärt, um der für sie selbst überraschenden Strategie nicht &bdquo;im Wege zu stehen“, was als diplomatische Formulierung vollkommenen Unverständnisses zu verstehen ist. Zum Stellenabbau ist zu sagen, dass da Vollzeitäquivalente gezählt werden. In vielen Verlagsabteilungen und Redaktionen ist aber Teilzeitarbeit verbreitet, es werden also mehr als 700 Menschen gehen müssen. Die Streichung von 300 Stellen bei RTL in Köln kommt noch hinzu. Was hätte das Management realistischerweise anders machen können? Es ist zu wenig in die Entwicklung digitaler Abonnements gesteckt worden. Nur in der parallelen Entwicklung von Print- und Digitalangeboten können einzelne Titel gewinnen. Die Branchenzahlen zeigen, dass andere Verlage dies besser beherrscht haben. Bei den Zeitschriften von Gruner + Jahr, die jetzt zu RTL gehören, gab es zwar immer noch Gewinne, aber gerade das letzte Jahr hat Verluste bei Abo-Zahlen und Werbeerlösen gebracht. Die Strategie, das Zeitschriften-Portfolio unter die Kernmarkenstrategie des Fernsehsenders RTL zu stellen, hat die Pflege und Entwicklung der Vielfalt bei Gruner und Jahr vernachlässigt. Das war aber nicht unumkehrbar, schon gar nicht für den Weltkonzern Bertelsmann. Alle großen Magazintitel des Verlags sollen erhalten bleiben. Finden Sie trotzdem, dass Bertelsmann und die Eigentümerfamilie Mohn zu wenig verlegerischen Ehrgeiz zeigen? Die größeren Erträge hat schon seit Jahren das TV-Geschäft in den Konzern gespült. Das Magazingeschäft spielte schon länger keine vorrangige Rolle mehr bei Bertelsmann, obwohl es noch gute Gewinne einbrachte – im Vergleich zu anderen Branchen wie dem Einzelhandel waren sie durchaus üppig. Die Fortentwicklung des eigenen Verlagsgeschäfts dann zu vernachlässigen und es nur noch als verlängerte Werkbank eines Fernsehkonzerns zu sehen, ist mangelnder verlegerischer Ehrgeiz, ja. Sie haben angekündigt, die Mitarbeiter würden sich mit Verdis Hilfe gegen den Kahlschlag bei Gruner + Jahr wehren. Haben Sie konkrete Ideen dafür? Es gab schon im Januar eine Demonstration mit über 300 Verlagsbeschäftigten in Hamburg. Nach dem Besuch von Thomas Rabe dann eine spontane Demonstration vor dem Rathaus in Hamburg. Die Kolleginnen und Kollegen müssen ihrem Ärger darüber Luft machen, dass ihre Leistung einer fehlgeleiteten Strategie geopfert wird. Zusammen mit der Medienpolitik in Hamburg wird es sicher Gespräche unter Einbeziehung der Mitbestimmungsgremien geben. Bevor Geschäftsfelder aufgegeben oder Personalmaßnahmen verabschiedet werden, zwingt die Betriebsverfassung, nach Alternativen zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu suchen. Bertelsmann ist ja kein Fürstentum, sondern muss sich an die Regeln halten. Viele Magazin- und Zeitungstitel sind schon verschwunden. Wie stemmt man sich gegen einen Trend, der vom Internet und internationalen Social Media getrieben wird? Der digitale Wandel des Publizismus schafft auch neue Formate im Netz und rein digital vertriebene journalistische Angebote. Vielfach sind ehemals bei Verlagen angestellte Journalistinnen und Journalisten auch selbstständig geworden und haben Angebote entwickelt, die traditionellen Verlagen als Entwicklungsmöglichkeit entgangen war. Als Beispiel können unzählige sublokale bis regionale Onlinepublikationen dienen. Sind diese Onlinepublikationen auch so ertragsreich, dass sie ihre Macher ernähren können? Ja, viele bestehen schon seit Jahren. Verlage wie Springer und andere haben große Teile ihres journalistischen Programms längst eingedampft. Können die alle nicht rechnen? Im Falle von Springer wurden Zeitungstitel abgegeben. Bei anderen Verlagen ist die Entwicklung zu starken Zentralredaktionen vollzogen worden, die sich in den einzelnen Regionalzeitungen als gleichartige Berichterstattung über bundesweite Themen zeigt. Das meine ich mit Verlust von Vielfalt. Wenn in Rostock und Hannover dieselben Artikel über bundespolitische Themen erscheinen, dann führt das zu einer Vereinheitlichung. Springer hat sich entschieden, sich auf die Marken "Welt" und "Bild" zu konzentrieren, der Verkauf der Regionalzeitungen hat Erlöse gebracht. Außerdem schielt die Axel Springer SE auf globale Märkte, etwa mit "Business Insider" und der Milliardeninvestition in "Politico" in den USA. Die auf Regionalzeitungen gestützten Verlage hier in Deutschland machen aber Gewinne. Also, es rechnet sich schon noch. Was Sie als Vereinheitlichung kritisieren, ist seit vielen Jahrzehnten das normale Geschäft von Agenturen. Haben Sie etwas gegen dpa oder AFP? Im Gegensatz zu Nachrichtenagenturen, deren Angebote in Zeitungsredaktionen ausgewählt werden und dann in eigene Artikel einfließen, also Grundlage für die journalistische Arbeit vor Ort sind, stellt eine Zentralredaktion die Berichterstattung weitgehend einheitlich für die angeschlossenen Zeitungen zur Verfügung, möglicherweise noch mit regionaler Einfärbung. Nachweislich führten Zentralredaktionen zum Abbau von Journalismus vor Ort. Wird Information am Ende eine öffentlich finanzierte Aufgabe, um die Demokratie zu bewahren? Wir glauben an den Wert eines dualen Mediensystems und begrüßen zudem, dass es daneben noch die Entwicklung eines stiftungsfinanzierten Journalismus gibt, der unter dem Stichwort gemeinnütziger Journalismus auch steuerlich privilegiert werden soll. In diesem Umfeld wird es auch für privatwirtschaftliche Verlage weiterhin Raum geben, mit gutem Journalismus tätig zu sein. Nicht vergessen dürfen wir, dass unabhängige Presse und Rundfunk ein unverzichtbares Gut sind, egal auf welcher Finanzierungsgrundlage. Das ist Grundstoff unserer Demokratie. Wir sehen viele Länder auch in Europa, in denen Vielfalt geschliffen wird, Rundfunksender kleingespart und Zeitungslandschaften von Freundeskreisen der Regierungen &bdquo;begradigt“ werden. Wir müssen mit allen Kräften für eine lebhafte, vielfältige Medienlandschaft kämpfen.

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