Debatte über Integration: "Wir müssen zeigen, dass sie einer von uns sind"

Berlin/Hiddenhausen. Die Ampelkoalition will Zuwanderung und Einbürgerung in Deutschland reformieren – doch die Pläne gefallen nicht jedem. Einem Vorschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zufolge sollen die Hürden verringert werden. Vorgesehen ist unter anderem, dass Menschen künftig über ein Punktesystem einwandern können, auch wenn sie zunächst keinen Arbeitsplatz vorweisen können. Zudem soll es künftig möglich sein, die deutsche Staatsbürgerschaft bereits nach fünf statt nach acht Jahren zu erwerben. Außerdem soll es möglich werden, neben der deutschen auch andere Staatsangehörigkeiten zu haben. Eine geplante Maßnahme hat das Parlament bereits passiert: Mitte Dezember beschlossen Bundestag und Bundesrat das Chancen-Aufenthaltsrecht: Wer fünf Jahre lang in Deutschland lebt, ohne straffällig geworden zu sein, bekommt 18 Monate Zeit, um die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erlangen. Doch die Pläne der Ampelkoalition sind direkt auf Kritik gestoßen, vor allem von der Union. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Thorsten Frei, etwa schimpfte, "dass man flächendeckend mit dem deutschen Pass um sich wirft". Hussien Khedr kann darüber nur den Kopf schütteln. "Wir reden über straffreie Menschen, die ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen", sagt der 36-Jährige aus Hiddenhausen. Er ist seit 2019 Vize-Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, die maßgeblich die neuen Vorschläge ausgearbeitet hat. Der SPD-Politiker hat selbst eine Migrationsgeschichte Im Endeffekt gehe es darum, die bereits gut integrierten Menschen in die deutsche Gesellschaft aufzunehmen und ihnen zu zeigen: "Du bist einer von uns." Das habe nichts mit den Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt aus der jüngeren Vergangenheit zu tun, die von einer Einwanderung in die Sozialsysteme oder dem Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft sprachen. Hussien Khedr nennt das verantwortungslos. Er hat selbst eine Migrationsgeschichte. Der gebürtige Ägypter lebt seit 2011 in Hiddenhausen (Kreis Herford), ist mit einer Deutschen verheiratet. Eigentlich hatten die beiden vor, in Ägypten zu leben. Doch die unsichere Situation während des Arabischen Frühlings machte die Pläne zunichte. Das Paar blieb in OWL, Hussien Khedr besuchte auf eigene Kosten einen Deutschkurs. Khedr belud zunächst Lkw. "Für sechs Euro die Stunde." Danach arbeitete der heutige SPD-Politiker für drei Jahre in der Logistik, ehe eine Ausbildung zum Fachinformatiker folgte. Schließlich absolvierte der Hiddenhausener ein Studium der Rechtswissenschaft. Heute arbeitet er als Perspektivberater beim Deutschen Roten Kreuz, berät Geflüchtete, die Deutschland verlassen wollen oder müssen. Khedr plädiert für eine allgemeine Arbeitserlaubnis – für alle "Wir holen nicht Maschinen nach Deutschland, sondern Menschen", sagt Khedr, der auf bereits existierende Programme zur Gewinnung von Arbeitskräften verweist. Etwa das Projekt "THAMM" der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Bundesagentur für Arbeit. Damit sollen Auszubildende und Fachkräfte aus Nordafrika "fair und nachhaltig" für den Arbeitsmarkt gewonnen werden. "Das ist sinnvoll", sagt Hussein Khedr. "Aber nicht die Lösung." Dem Vize-Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD geht es auch um diejenigen, die bereits hier sind, aber aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten dürfen – und deren Schicksal er bei seiner täglichen Arbeit erlebt. Die Betroffenen stecken in der Klemme, durchlaufen bisweilen seit Jahren sogenannte Duldungsketten. "Wir reden über Menschen, die seit Jahren nicht zur Schule gehen dürfen. Von denen werden dann aber gute Deutschkenntnisse verlangt." Hussien Khedr fordert: "Wir brauchen dringend eine allgemeine Arbeitserlaubnis für alle. Mindestens bis zum Tag der Entscheidung." "Deutschland braucht das" Die Vorschläge der AG Migration und Vielfalt in der SPD waren teils weitreichender als das, was das Bundesinnenministerium nun auf den Weg gebracht hat. Etwa beim sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht: Hier ist geplant, dass alle, die zum 31. Oktober 2022 fünf Jahre in Deutschland lebten, die Chance auf einen langfristigen Aufenthalt erhalten sollen. Die SPD-Arbeitsgemeinschaft hatte eine Aufhebung der Frist gefordert – weil "nicht mal die Hälfte der Geduldeten von der Regelung profitieren können", wie es im Antrag heißt. Trotzdem findet Hussien Khedr die geplanten Maßnahmen gut, spricht von "verantwortungsvoller Politik. Das ist ein Meilenstein." Er hofft, dass die Pläne nicht gekippt werden, etwa im Bundesrat durch die von der CDU geführten Länder. "Wir haben jetzt drei Parteien in der Koalition, die sich Migration und Integration auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dementsprechend erwartet man eine große Reform. Deutschland braucht das."

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