Heftige Debatte ums Bürgergeld: Lohnt sich das Arbeiten noch?

Bielefeld/ Berlin. Die Pläne für die Einführung des sogenannten Bürgergeldes schlagen hohe Wellen. Um das Konzept, das ab dem 1. Januar das Hartz-IV-System ersetzen soll, ist eine hitzige Debatte entstanden, angefacht durch Äußerungen von Hans Peter Wollseifer. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks befürchtet, dass Geringverdiener ihre Motivation verlieren könnten, wenn Bürgergeld-Bezieher künftig ähnlich viel Geld bekämen. Mit seiner Bemerkung stößt der Handwerks-Präsident auf heftige Kritik - auch aus OWL. Von anderer Seite erhält er Rückendeckung. Der Entwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wurde am Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen, jetzt fehlt noch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Doch ist Wollseifers Einwand berechtigt? Die Pläne der Ampel-Koalition sehen vor, dass der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen um gut 50 Euro auf rund 500 Euro steigen soll. Wie im Hartz-IV-System werden Wohn- und Heizkosten übernommen, nicht aber weitere Energiekosten. Zudem sollen Langzeitarbeitslose künftig nicht jeden Job annehmen müssen, wenn sie stattdessen durch eine Weiterbildung längerfristig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Außerdem war zunächst geplant, dass Menschen, die Bürgergeld beziehen für ein halbes Jahr keine Leistungskürzungen befürchten müssen, auch wenn sie beispielsweise Termine im Jobcenter verstreichen lassen. Nach Angaben des FDP-Parlamentsgeschäftsführers Johannes Vogel ist nun aber doch vorgesehen, dass in der sogenannten Vertrauenszeit Abzüge vom Regelsatz verhängt werden können. Aus Sicht des Handwerkspräsidenten wird das Bürgergeld dazu führen, "dass sich für mehr Menschen als bisher das Nicht-Arbeiten mehr lohnt als das Arbeiten", so Wollseifer gegenüber der "Rheinischen Post". Als Ursachen nannte er unter anderem "die deutliche Anhebung des Regelsatzes" und "die komplette Übernahme" der Heizkosten. "Viele fragen sich, warum soll ich morgens um sieben Uhr schon arbeiten, wenn derjenige, der das Bürgergeld bezieht, fast das Gleiche bekommt", zitiert die Zeitung den Handwerkspräsidenten weiter. Bürgergeld unfair gegenüber Vollzeitarbeitnehmern Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sieht das Bürgergeld kritisch. Es fehle an Fairness gegenüber den Vollzeitbeschäftigten, die nur unterdurchschnittlich viel verdienten, während die Unterstützung angehoben werden soll. Unterstützung für Wollseifers Kritik kommt daneben aus Bayern. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht von einem falschen Ansatz. "Wir brauchen Motivation für Fleiß. Wir brauchen Motivation, einer Arbeit nachzugehen", sagte der Politiker dem Fernsehsender "Welt". "Wenn das Bürgergeld dazu führt, dass man in München, wenn man arbeiten geht, zum Beispiel als Friseurin, praktisch weniger hat, als wenn man von dieser neuen staatlichen Leistung profitiert, dann ist das der völlig falsche Ansatz." Anke Unger, Geschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in OWL, teilt die Bedenken nicht. "Die Sorge, dass die Menschen wegen des Bürgergeldes nicht zu Arbeit kommen, ist an den Haaren herbeigezogen", sagt sie. Aus ihrer Sicht ist das Bürgergeld sogar "immer noch nicht ausreichend", immerhin aber "ein Schritt in die richtige Richtung." Auch Michaela Engelmeier, Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), zeigte sich von der Höhe des Bürgergeldes enttäuscht. "Hier bleiben wir bei unserer Forderung: 650 Euro ab dem 1. Januar und 100 Euro sofort für den Übergang." >>> Wer kommt wann und wie an das Geld aus den Entlastungspaketen? Laut Unger vom DGB müsse sich der Handwerkspräsident die Frage stellen, ob die Löhne im Handwerk vielleicht zu niedrig sind. Das unterstützt Ralf Kutzner, Vorstandsmitglied der IG Metall. "Viele Handwerksunternehmer haben erkannt, dass reguläre Arbeit deutlich besser bezahlt werden muss. Herr Wollseifer gehört offensichtlich nicht dazu." Unger sieht das Handwerk durchaus in einer besonderen Position. So sei das dortige Lohnniveau "sehr niedrig". Nur noch jeder zweite Handwerksbetrieb sei in der Tarifbindung. Solche, die es nicht sind, bezahlten tendenziell eher niedrigere Löhne, so Unger. Konkurrenz verhindert Lohnanpassungen Doch den Lohn zu erhöhen, um den Abstand zu Empfängern von Bürgergeld zu vergrößern - das sei nicht immer ohne Weiteres möglich, sagt Olaf Kraußlach, Ehrenobermeister der Friseur- und Kosmetik-Innung im Kreis Herford. "Ich bin immer dafür, mehr Lohn zu zahlen", sagt Kraußlach. Doch das hätte zur Folge, die gestiegenen Kosten an die Kunden weiterzugeben. "Die Frage ist nur, wie kriegen wir das hin, ohne dass uns die Kunden weglaufen?" Vor allem, wenn die Konkurrenz gleichzeitig mit günstigen Dienstleistungen lockt. Laut Jürgen Sautmann, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Gütersloh-Bielefeld, fehle vielen Handwerksbetrieben aktuell der Spielraum für Lohnerhöhungen. Sautmann verweist auf den gesetzlichen Mindestlohn, der ab 1. Oktober auf 12 Euro pro Stunde steigt. Hinzu kommen die Kosten der aktuellen Krisen - gestiegene Energiepreise etwa. "Es kommt genug an Kosten, mehr brauchen wir nicht", so Sautmann. Wollseifers Sorge um die Motivation ist aus Sicht des Geschäftsführers "durchaus berechtigt." Dabei sei aber weniger zu befürchten, dass Beschäftigte plötzlich die Arbeit niederlegen. Vielmehr gehe es um Langzeitarbeitslose, die nun weniger Anreiz verspüren dürften, sich Arbeit zu suchen. Der Herdecker Arbeitspsychologe Michael Kastner geht hingegen nicht davon aus, dass 50 Euro zusätzlich den Ausschlag geben werden - zumal sie als Ausgleich für die Inflation gelten. Aus Kastners Sicht ist vor allem ein Mechanismus zentral: "Erwünschtes Verhalten muss positive Folgen nach sich ziehen. Unerwünschtes hingegen negative." Das heißt konkret: Wer sich um Arbeit bemüht, muss dafür Wertschätzung erfahren. Wer aber das System ausnutzt, muss negative Konsequenzen spüren. "Das Prinzip muss besser durchgehalten werden. Das bedeutet aber auch mehr Kontrolle", sagt Kastner. Ein System, das Beschäftigte und Arbeitslose zum falschen Verhalten verführt, sollte hingegen vermieden werden. Rechenbeispiel: Arbeitnehmer oder Empfänger - wer hat mehr Geld? Doch wie viel mehr hat ein Arbeitnehmer im Vergleich zu einem Empfänger von Bürgergeld am Ende des Monats verdient? Unter Umständen tatsächlich nicht allzu viel, wie eine Beispielrechnung zeigt: Demnach würde ein Alleinstehender ab dem 1. Januar 502 Euro Bürgergeld erhalten. Wohn- und Heizkosten werden übernommen. Im gleichen Monat würde eine in Vollzeit arbeitende Friseurin mindestens 12 Euro Mindestlohn bekommen. Das wären 2.080 Euro Brutto am Ende des Monats, im günstigsten Fall rund 1.471 Netto. Nach Abzug der Kosten für eine 60-Quadratmeter-Wohnung in Bielefeld (Baujahr ab 2011, 9,19 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter) in Höhe von rund 551 Euro bleiben etwa 920 Euro. Davon sind noch die Energiekosten zu bezahlen. Laut Verivox ist in einer 60-Quadratmeter-Wohnung durchschnittlich von einem Gasverbrauch von mehr als 7.300 Kilowattstunden auszugehen. Nimmt man diesen Wert an sowie den aktuellen Gaspreis von 37,4 Cent für Neukunden pro Kilowattstunde wären das rund 228 Euro pro Monat. Danach blieben der Friseurin noch 692 Euro für weitere Ausgaben.

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