Deutschland sucht Energielieferanten: Warum Katar plötzlich wichtig ist

Deutschland will unabhängig von russischem Gas und Öl werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) reist deshalb in Förderländer. Einkaufen müssen dann aber Unternehmen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.Woher bezieht Deutschland Öl und Gas? 2020 lieferte Russland rund 55,2 Prozent des Erdgases. 30,6 Prozent kamen aus Norwegen, 12,7 Prozent aus den Niederlanden. Rohöl erhielt Deutschland zu 34,1 Prozent aus Russland, 12,5 Prozent kamen aus den USA, 9,8 Prozent aus Kasachstan, 9,6 Prozent aus Norwegen, 9,3 Prozent aus Großbritannien. Rund ein Viertel der gelieferten Menge teilt sich auf alle anderen Länder auf. Darunter fällt auch die deutsche Eigenförderung. Sie macht 2,2 Prozent aus. Welche Bedeutung haben Öl und Gas in Deutschland? Mineralöl war 2021 mit einem Anteil von 32,3 Prozent der wichtigste Energieträger in Deutschland. Gas folgt mit 26,8 Prozent auf Rang zwei, wie die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen ermittelt hat. Das besondere bei Gas: 36 Prozent fließen in die Industrie – zur Stromerzeugung, für Prozesswärme und als Rohstoff. Viele Haushalte heizen auch mit Gas. Öl hält vor allem den Verkehr am Laufen.Welche Unterschiede gibt es zwischen Öl- und Gasmarkt? Ein wesentlicher Unterschied sind die Laufzeiten der Lieferverträge. Bei Gas sind sie in der Regel für bis zu zehn Jahre abgeschlossen. Das hat auch damit zu tun, dass das meiste Gas über Pipelines aus Russland nach Deutschland kommt. Lange war es wegen des günstigen und bequemen Lieferwegs nicht nötig, sich um andere Anbieter zu bemühen. Das ist auf dem Ölmarkt anders. Dort haben die Verträge kürzere Laufzeiten. Es gibt mehr Lieferländer. Öl kommt meist per Schiff, lässt sich also flexibler einkaufen. Russland liefert allerdings in Teilen auch durch eine Pipeline. Sie heißt Druschba, Freundschaft. Warum ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in mehrere Gasförderländer wie Katar gereist? Bisher setzte Deutschland vor allem auf Gas aus Russland. Außerdem sollten fossile Brennstoffe in absehbarer Zeit nicht mehr eingesetzt werden, weil Deutschland klimaneutral werden wollte. Deshalb war die Bundesrepublik kein attraktiver Kunde für Flüssiggasexporteure wie Katar. Hinzu kommt, dass das autokratisch regierte Land es mit den Menschenrechten nicht so genau nimmt, Deutschland sich deshalb bei Geschäften zurückhielt, das Land auch kritisierte. Der Bundeswirtschaftsminister war jetzt als Türöffner für künftige Gasgeschäfte da. &bdquo;Er musste das Porzellan reparieren, dass in den vergangenen Jahren zerschlagen wurde“, formulierte ein Manager. Mit dem Minister waren auch Vertreter mehrerer deutscher Gashändler nach Katar gereist. Warum ist Katar wichtig? Das Land verfügt über 13,1 Prozent der Weltgasreserven, Platz drei nach Russland (19,9 Prozent) und dem Iran (17,1 Prozent). Katar ist zudem nach den USA, Russland und China der viertgrößte Förderer. Welche anderen Länder kommen als zusätzliche Lieferländer in Frage? Ägypten, Nigeria, die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate, sogar die Karibikinseln Trinidad und Tobago. Oder Aserbeidschan und Australien. Sie alle verflüssigen Erdgas und liefern das LNG (Liquified Natural Gas, verflüssigtes Erdgas) per Schiff.Kauft die Bundesregierung Gas und Öl für Deutschland ein? Nein. Gas kaufen Konzerne wie Uniper, RWE und Wingas (Letzteres gehört zum staatlichen russischen Gaskonzern Gazprom) ein. Firmen wie Eon oder Stadtwerke kaufen ihrerseits bei den großen Importeuren und verkaufen dann an Endkunden. Sind die Unternehmen gezwungen, nach dem Besuch des Wirtschaftsministers in Katar Gas zu kaufen? Niemand muss in Katar Gas kaufen. Möglicherweise gewährt das katarische Förderunternehmen aber besondere Preise, wenn sich die Regierungen gut verstehen. Ansonsten gilt: Gekauft wird, wo es sich aus Sicht eines Importeurs lohnt und die Lieferung sicher ist. Und wenn Gas in Nigeria billiger ist als in den USA, bekommt womöglich der Förderer in Nigeria den Zuschlag. Auch bei Öl können die Unternehmen frei entscheiden, wo sie einkaufen. Wie reagieren die Importeure? Sie trennen sich von russischen Lieferanten. Uniper zum Beispiel will keine neuen Langfristverträge mehr mit russischen Lieferanten schließen und plant in Wilhelmshaven ein Terminal für Flüssiggas. Der französische Mineralölkonzern Total, der in Leuna (Sachsen-Anhalt) eine Raffinerie betreibt und rund ein Drittel des russischen Öls abnimmt, klemmt sich von der Druschba-Pipeline ab. Öl soll künftig per Schiff und Güterwagen geliefert werden. Gibt es bereits konkrete Vertragsabschlüsse zu Flüssiggaslieferungen? Bisher nicht, deutsche Unternehmen verhandeln aber bereits. Katar hat Interesse signalisiert, Gas nach Deutschland zu verkaufen. Katar ist an langfristigen Lieferungen interessiert, weil sich nur dann Investitionen in größere Förderung rechnen. 80 Prozent der aktuellen Förderung in Katar ist ohnehin bereits per Langfristvertrag verkauft. Um die anderen 20 Prozent streiten sich mehrere Länder, die Lieferungen Russlands beenden wollen. Vor Katar stauen sich bereits mehr LNG-Tanker als üblich. Ab wann ist Deutschland unabhängig von russischem Gas und Öl? Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet damit, dass Deutschland bereits Ende des Jahres kein Öl mehr aus Russland bezieht. Beim Gas wird es länger dauern. Zum Ende des ersten Quartals ist der Anteil russischen Gases bereits von 55 auf 40 Prozent gesunken. Nach letztem Stand soll Deutschland im Sommer 2024 unabhängig von russischem Gas sein. Warum dauert das beim Gas so lange? Gasförderländer müssen ihre Anlagen vergrößern, um mehr fördern zu können. Das lohnte sich bisher nicht. Und der Bau dauert. Das gleiche gilt für die Infrastruktur in Deutschland: Bisher gibt es keine LNG-Terminals an Land. Drei sind geplant, das Erste könnte 2026 einsatzbereit sein. Vorher sollen die Versorgungsunternehmen drei schwimmende LNG-Terminals anmieten – de facto Schiffe, an denen Gastanker die Ladung löschen können. Zudem müssen die Terminals mit Pipelines an das bestehende Netz angeschlossen werden. In Deutschland wird auch Gas gefördert. Lässt sich das ausbauen? Die Menge des Gases, das in Deutschland etwa von Wintershall Dea gefördert wird, sinkt seit Jahren. Ein Grund: Die Vorkommen, die sich ohne das umstrittene Fracking fördern lassen, gehen zur Neige. Außerdem wird sogenanntes L-Gas gefördert, das einen niedrigeren Energiegehalt hat als das H-Gas, das zum Beispiel aus Russland kommt. Solches L-Gas liefern die Niederlande. Deutschland stellt seine Anlagen bis 2030 auf H-Gas um, unter anderem weil die Niederlande die Förderung einstellen wollen. Im Fördergebiet um Groningen gibt es Erdbeben, Häuser bekommen Risse, der Boden senkt sich.

Meistgelesen