Steigende Kassenbeiträge: Das muss nicht sein, sagen Experten aus OWL

Berlin/Bielefeld. Wegen der Corona-Pandemie und einigen Gesetzesänderungen mit hohen Folgekosten nach der Bundestagswahl drohen den gesetzlichen Krankenkassen in den nächsten Jahren Milliardenlöcher. Da die Reserven zu großen Teilen abgeschmolzen sind und die Bundesregierung bisher keine neuen Zuschüsse versprechen will, rechnen viele Kassen damit, dass sie die Beiträge im nächsten Jahr kräftig erhöhen müssen, wenn die Leistungen gleich bleiben sollen. Das müsste nach Einschätzung von Experten aus OWL jedoch gar nicht sein, wenn der Bund die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung nicht länger mit jährlich fast zehn Milliarden Euro für die Finanzierung der Leistungen für Hartz-IV-Bezieher belasten würde. &bdquo;Die aktuelle Diskussion um steigende Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung wird von der Politik unehrlich und unredlich geführt, weil verschwiegen wird, dass die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung bereits seit 2005 für die Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Hartz-IV-Empfänger aufkommen müssen", moniert der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann BKK, Wolfgang Diembeck aus Leopoldshöhe. Aus einem Gutachten des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung für das Bundesgesundheitsministerium geht hervor, dass die Bundesregierung den gesetzlichen Krankenkassen jedes Jahr 9,59 Milliarden Euro weniger erstattet, als für die Versorgung von Hartz-IV-Empfängern notwendig sind. Private Kassen erhalten höhere Zuschüsse für Hartz-IV-Empfänger Der Analyse zufolge lagen die Gesamtausgaben für diese Gruppe 2017 bei 15,49 Milliarden Euro. Die Einnahmen auf Seite der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beliefen sich jedoch nur auf 5,89 Milliarden Euro. Demnach decken die Überweisungen des Staates an die Kassen nur 38 Prozent der Ausgaben für Hartz-IV-Empfänger. Statt der bezahlten knapp 100 Euro sei eigentlich ein Betrag von 275,31 bis 289,20 Euro je Hilfebezieher und Monat nötig, um deren Kosten abzudecken, heißt es in dem Gutachten. &bdquo;Dubios wird die Angelegenheit, wenn man feststellt, dass die private Krankenversicherung einen wesentlich höheren Bundeszuschuss erhält, nämlich 341 Euro pro Person pro Monat", erklärt Diembeck. Aktuell steigt die Zahl der Hartz-IV-Empfänger aufgrund der Krise wieder, sodass die Kosten auf Kassenseite steigen. &bdquo;Es gibt eine große Deckungslücke zwischen den Gesundheitskosten, die durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden, und den Beiträgen, die wir für jeden Hartz-IV-Empfänger erhalten", bestätigt der Vorstandsvorsitzende der Viactiv Krankenkasse, Reinhard Brücker. Der Bielefelder fordert deshalb eine schnelle politische Lösung: &bdquo;Seit Jahren wird dieses Thema politisch diskutiert, obwohl die Bundesregierung längst eingestanden hat, dass die Kassen dafür einen Ausgleich benötigen. Dadurch würde nach Einschätzung Diembecks auch der Finanzdruck innerhalb der GKV deutlich sinken. &bdquo;Der Bund hat sich der Kosten für die Gesundheitsversorgung von Hartz-IV-Empfängern ab 2005 entledigt und die Beitragszahler der GKV mit diesen Kosten belastet. Seitdem wurden die Beitragszahler der GKV vom Bund um 160 Milliarden Euro geprellt." Das Geld fehle nun. Ähnliche Probleme auch im Bereich der Pflegeversicherung Eine ähnliche Situation ergibt sich laut Diembeck in der Pflegeversicherung. Mit Einführung der Pflegeversicherung 1995 hatten sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass Einsparungen, die den Ländern als Träger der Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung entstehen, zu Investitionskostenfinanzierung von Pflegeeinrichtungen herangezogen werden sollten. &bdquo;Die eingesparten Summen bewegten sich damals in einer Größenordnung von etwa fünf Milliarden Euro. Die tatsächliche Fördersumme betrug 2018 aber nur rund 800 Millionen Euro." Auch hier erfüllen die Landesregierungen ihre Zusagen der Vergangenheit laut Diembeck nicht und das bereits seit vielen Jahren. &bdquo;Wenn Bund und Länder sich an die gegebenen Finanzierungszusagen halten würden, gäbe es in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung keinen Bedarf zu weiteren Beitragssatzerhöhungen." Gesundheitsminister Spahn will Lücken ausgleichen Als Ausgleich für die Krankenkassen, die Hartz-IV-Empfänger mitversichern, und für die gestiegenen Kosten durch die Pandemie fordert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) allein für das kommende Jahr 25 Milliarden Euro. &bdquo;Doch noch gibt es keine Einigung. Fest steht aber, ohne weitere Bundeszuschüsse wird eine kräftige Erhöhung der Kranken- und Pflegebeiträge nicht zu vermeiden sein", sagt Brücker. Nach den vorläufigen Jahresergebnissen muss die GKV allein 2020 ein Minus von 2,7 Milliarden Euro verbuchen. Grundsätzlich können die Defizite im System nach Einschätzung Brückers jedoch nur mit einem Strukturwechsel gelöst werden.

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