
Berlin. Riesen-Aufregung um die neue Verspätungsstatistik der Bahn: Künftig will der Konzern neue Kriterien zugrunde legen. Doch dagegen regt sich Widerstand bei Verkehrspolitikern.
Eine Pressekonferenz, zu dem das Unternehmen eingeladen hatte, wurde kurzfristig abgesagt. Stattdessen kam ein schriftliches Dementi: Ein angeblich geplantes völlig neues System der Pünktlichkeitsmessung, über das Bild am Sonntag berichtet hatte, werde nicht eingeführt, hieß es. Möglich sei lediglich eine "Ergänzung" der bisherigen Erfassung in einer Kategorie "Reisendenpünktlichkeit".
Dort soll für jeden einzelnen der täglich 400.000 Reisenden im ICE oder EC/IC gemessen werden, ob die Ankunft am Endbahnhof mehr oder weniger als eine Viertelstunde verspätet ist. Mit eingerechnet würden dem Bericht zufolge nicht nur ausfallende Züge, sondern auch, ob der Anschluss erwischt wurde oder ob ein späterer Ersatzzug fuhr. Damit übernehme die Bahn die Pünktlichkeitsgrenzen aus dem Flug- und Fernbusverkehr.
Bislang misst die Bahn nur, ob die einzelnen Züge mit weniger als sechs Minuten Verspätung am Ziel ankommen. Dieser Messwert, so versichert das Unternehmen nun, werde auch weiter erhoben.
2018 waren nur 74,9 Prozent der Fernzüge pünktlich
Fest steht: Das Unternehmen hatte zuletzt gravierende Probleme mit Verspätungen im Fernverkehr. Die Kunden mussten 2018 häufiger mit unpünktlichen Zügen rechnen als in den Jahren zuvor. Vor allem der Fernverkehr war unzuverlässig: Im Jahresdurchschnitt erreichten nur 74,9 Prozent der ICEs, Intercitys und Eurocitys ihre Ziele pünktlich – der niedrigste Wert seit 2015. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte sich zuletzt mehrfach zu Krisengipfeln mit der Bahnspitze getroffen und dabei spürbare Verbesserungen innerhalb der ersten Jahreshälfte verlangt.
Es geht um zusätzliche milliardenschwere Investitionen in Züge und Schienennetz. Durch eine bessere Steuerung des Verkehrsaufkommens gerade an viel befahrenen Strecken wie im Ruhrgebiet soll für Entlastung gesorgt werden. Die Bahn braucht zur Finanzierung jedoch zusätzliche Mittel in erheblichem Umfang. Diskutiert wird etwa über den Verkauf von Konzerntöchtern wie der Logistik-Sparte Schenker oder des europäischen Auslandsverkehrsgeschäfts („Arriva"). Erwogen wird auch eine Finanzspritze des Bundes.
"Umstellung von Statistiken macht keinen Zug pünktlicher"
Grünen-Politiker Cem Özdemir, Chef des Bundestags-Verkehrsausschusses, sagte: „Die Umstellung von Statistiken macht noch keinen Zug pünktlicher. Klar ist: Die Bahn ist das Rückgrat der Verkehrswende und dafür muss sie schnell und zuverlässig fahren." Für Bahnfahrer sei entscheidend, dass sie pünktlich am Ziel ankommen. Özdemir: „Wenn Anschlusszüge verpasst werden, sind Bahnfahrer zu Recht sauer. Deshalb muss die Bundesregierung dringend mehr in die Schiene investieren."
Die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz Anke Rehlinger (SPD) sagte, die Bahn habe unbestreitbar ein Pünktlichkeitsproblem. „Da müssen sie ran mit besserer Planung und Logistik, mehr Zügen und Personal und verbesserter Fahrgastinformation", so die saarländische Verkehrsministerin. „Wer die sozial-ökologische Wende will, muss auf die Bahn setzen, dafür braucht es aber günstige Fernfahrer-Tarife, um Inlandsflüge unattraktiver zu machen, und eine bessere Anbindung der Regionen in Deutschland."