
Berlin. Ist das der langsame Abschied vom Auto? Anfang 2019 waren 2,46 Millionen Kunden bei einem Carsharing-Anbieter angemeldet. Das sind 350.000 mehr als noch ein Jahr zuvor, was einem Plus von fast 17 Prozent entspricht. Die Daten kommen jetzt vom Carsharing-Verband bcs.
Es sind große Zahlen, gemessen daran, wie es begann, an einem Abend im Jahr 1987. In einer Wohnung in Berlin-Kreuzberg sitzen Markus Petersen und seine zwei Brüder zusammen, sie wollen einen Fiat 500 kaufen, gemeinsam. Das Geld schmeißen sie zusammen, klar. Aber wie lässt sich der Wagen teilen? Die Biervorräte leeren sich, die Antwort fehlt noch immer. Sie entscheiden, Bruder Markus, der angehende Ökonom, möge ein Konzept ausarbeiten. Der macht das – anders als erwartet. So erzählte er das mal.
"Immer mehr Menschen wollen Verkehrswende mitgestalten"
Petersen ersann gleich ein neues Geschäftsmodell: Im Juni 1988 öffnete in Berlin die erste Carsharing-Agentur: Das Stadtauto, später StattAuto. Auch andernorts wurden Wege gesucht, um von den vielen Privatautos wegzukommen.
Heute, gut 30 Jahre später, sind selbst Autokonzerne in den Markt eingestiegen. Gunnar Nehrke, der bcs-Geschäftsführer, sagt: „Immer mehr Menschen wollen verantwortungsvoll mit der Ressource Auto umgehen und die Verkehrswende praktisch mitgestalten." 20.200 Carsharing-Autos gibt es derzeit in Deutschland, 2.250 mehr als im Vorjahr.
Daimler-Chef: "Wir überlassen anderen nicht das Feld"
Petersen zahlte damals 5.000 Mark für einen hochmoderne Anrufbeantworter, über den Kunden das Auto reservieren konnten. Mittlerweile ist alles digital, vernetzt, haben sich im Grunde zwei Carsharing-Arten entwickelt.
Die meisten Leute – rund 1,8 Millionen - nutzen das Free-Floating, das es in 18 Großstädten gibt: die Fahrzeuge stehen dort, wo der letzte Kunde es abgestellt hat, man ortet es leicht per Handy. Diese Variante wird besonders von den Autokonzernen vorangetrieben. Daimler und BMW legen ihre beiden heute schon größten Anbieter, car2go und DriveNow, zum Beispiel zusammen. Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte unlängst: „Als Pioniere des Automobilbaus werden wir nicht anderen das Feld überlassen, wenn es um die urbane Mobilität der Zukunft geht".
Angebote mit "hoher verkehrsentlastender Wirkung"
Die anderen – dazu gehört die zweite Form des Carsharing, das stationsbasierte von Firmen wie stadtmobil oder cambio in etwa 740 Orten. Auch Städte in OWL sind darunter. Das nutzen derzeit 650.000 Kunden und damit 21,5 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Sie holen das Auto an einer Station in der Nähe ab und müssen es dorthin auch zurückbringen.
Entscheidend: Zwar könnte man wegen der vielen Free Floater in den Städten den Eindruck haben, das Auto verliere an Status. Doch häufig nutzten „äußerst autoaffine" Leute diese „Selbstfahrtaxen", so Gehrke, das eigene Auto werde nur „ergänzt". Die stationsbasierten Angebote hingegen, das hätten mehrere Studien 2018 gezeigt, hätten eine „hohe verkehrsentlastende Wirkung". 70 bis 80 Prozent ihrer Kunden besäßen kein eigenes Auto. Darum sagt Nehrke: „Städte und Gemeinden sollten vor allem diese Variante gezielt durch die flächendeckende Einrichtung von Carsharing-Stationen im öffentlichen Raum fördern."