
Bielefeld/Gütersloh. Sie sind alt und gebildet, aber nicht internetaffin. Auf diese Zielgruppe einstiger Buchclub-Mitglieder haben es ehemalige Bertelsmann-Beschäftigte offenbar abgesehen, um mit ihnen – mit bedenklichen Methoden im Direktvertrieb – einen Handel mit vorgeblich teuren Büchern zu betreiben.
Auch die pensionierte Grundschullehrerin Jutta Heinricht (77) hatte sich von einem Vertreter der Gütersloher Firma WK Wertkontor ködern lassen und bei einem Haustürgeschäft für 11.300 Euro ein angeblich originalgetreues Faksimile eines Meisterwerks alter Buchkunst aus der Vatikan-Bibliothek (Neues Testament Vat. lat. 39) erworben. Sie vertraute dem Vertreter, den sie für einen Bertelsmann-Mitarbeiter hielt, und kaufte die angeblich sichere Wertanlage, wie die Klägerin vor Monaten vor dem Landgericht Bielefeld sagte. Verwandte hatten sie auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht. Sie ging zum Anwalt, der die Anfechtung erklärte und eine Rückabwicklung des Kaufs verlangte. Doch Wertkontor weigerte sich damals.
Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet
Der Fall kam vor das Landgericht Bielefeld. Ein Sachverständigengutachten sollte klären, ob das Buch tatsächlich so werthaltig ist, wie Wertkontor behauptet. Doch zur Einholung des Gutachtens kam es nicht, denn die Firma, die auch vor Gericht eine gütliche Einigung noch strikt abgelehnt hatte, ist inzwischen bereit, den Kaufpreis in voller Höhe zu erstatten, ebenso Gerichts- und Anwaltskosten. Offenbar scheut Wertkontor die Publizität eines qualifizierten Wertgutachtens.
Der Bielefelder Anwalt Wolfgang Schneider, der die Rentnerin vor dem Landgericht vertritt, bearbeitet mit seinem Kollegen Patrick Droll bereits weitere Fälle. „Wir haben Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet", sagt er. Drei zivilrechtliche Verfahren haben die beiden Anwälte inzwischen eingeleitet, um das Geld ihrer Klienten zurückzuholen. Ex-Mitarbeiter der früheren Bertelsmann-Tochter Inmedia-One, bekannt durch den Vertrieb der Brockhaus-Enzyklopädie, dürften für ihren Handel Adressen von Inmedia-One und auch vom Bertelsmann-Buchclub genutzt haben, vermuten die Anwälte. Geschäftsführer der Firma WK Wertkontor GmbH ist Frank Veltrup, der zuletzt bis Ende 2013 als Direktor bei der Bertelsmann-Tochter Inmedia-One gearbeitet hatte. „Wie konnte Wertkontor an die Daten von Bertelsmann gelangen?", fragt sich Schneider.
Käufe im Wert von 5.000 bis 50.000 Euro
Bertelsmann habe den ehemaligen freien Handelsvertretern von Inmedia-One damals verboten, „in unserem Namen aktiv zu sein oder unsere Adressen zu nutzen", sagt Konzernsprecher Jan Hölkemann. „Wir können allerdings nicht verhindern, dass sie sich an Adressen erinnern und trotz des Verbotes die Kunden im Auftrag einer dritten Firma besuchen." Die Bertelsmann-Tochter AZ Direct, „die Adressen für einmalige Marketingaktivitäten vermittelt", habe nichts mit Immedia-One zu tun.
Die betroffenen Senioren wurden zu Käufen im Wert zwischen 5.000 bis 50.000 Euro überredet. „Manchmal wurden den Senioren identische Bücher gleich zweimal angedreht", ärgert sich Schneider über die Vorgehensweise von WK Wertkontor. „In zwei Fällen wurde Kundinnen sogar eine Kreditaufnahme zum Kauf angeraten. Die Beraterin ging gleich selbst mit zur Bank", sagt Droll empört. Fast immer seien es Verwandte oder Bekannte, die Zweifel an dem teuren Erwerb hätten und einen Anwalt einschalteten. „Die Betroffenen schämen sich und nehmen es stillschweigend hin", sagt Schneider.
Auch Inmedia-One geriet einst in die Schlagzeilen
In Gütersloh hat sich bereits eine weitere Firma angesiedelt: Die Media Exklusiv GmbH, deren Geschäftsführer Lars Gottsleben ist. Auch sie handelt mit Kunstgewerbe.
Schon 2012, als Inmedia-One noch Bertelsmann gehörte, hatte auch dieses Unternehmen für Schlagzeilen gesorgt. Eine Familie aus dem Kreis Gifhorn hatte in 24 Jahren Bücher im Wert von 47.000 Euro gekauft. Ein von Sat 1 hinzugezogener Experte, der Antiquar Hermann Wiedenroth, schätzte den tatsächlichen Wert damals auf lediglich gut 1.000 Euro.