Berlin (dpa/jad). Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat das Ende seiner politischen Karriere verkündet. „Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus“, schrieb Lindner am Abend auf der Plattform X, nachdem sich seine Partei in Hochrechnungen von ARD und ZDF immer weiter von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt hatte.
Aus der FDP-Spitze wurde der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage ein offizieller Rücktritt noch nicht bestätigt. Es gelte auch, Formalien einzuhalten, die mögliche Folgen für die Parteiorganisation hätten. Lindner hatte bereits in der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF gesagt: „Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, ist das völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide.“ Lindner hatte seine Partei nach dem Aus der Ampel-Koalition mit SPD und Grünen für ein erhofftes Bündnis mit der Union unter einem Kanzler Friedrich Merz (CDU) aufgestellt.
Er stellte Wirtschaftswachstum und Bürokratieabbau in den Mittelpunkt und erklärte, die Migration nach Deutschland müsse in geordnete Bahnen gelenkt werden, auch durch eine verschärfte Kontrolle der Zuwanderung. Die von der FDP erhoffte Trendwende in den Zustimmungswerten blieb aber aus. Wenn die FDP auch im amtlichen Endergebnis unter fünf Prozent bleibt, fliegt die Partei wie schon 2013 aus dem Parlament. Sie hatte damals nur 4,8 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereint.
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In seinem Wahlkreis in Bergisch Gladbach verlor Lindner gegen die Tochter des langjährigen CDU-Politikers Wolfgang Bosbach. Caroline Bosbach (CU) erhielt dort 42,2 Prozent der Stimmen. 4,9 Prozent gingen an Christian Lindner in der seit Jahren CDU-geprägten Hochburg.
FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki hat seinen Rückzug aus der Politik im Falle eines Scheiterns seiner Partei an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl angekündigt. „Ja, dann ist für mich politisch Schluss, denn ich werde in der nächsten Woche 73 Jahre alt“, sagte Kubicki am Abend.
„Es wird eine lange Nacht, und es werden Schicksalsstunden“, sagte Kubicki. Es werde schwer werden, die Partei in ihren Strukturen zu erhalten, wenn sie nicht im Bundestag ist. „Ich habe das einmal miterlebt, ich weiß, wie schwierig das ist. Und ich werde in diesem Fall nicht mehr die Kraft haben, der FDP dann in den kommenden vier Jahren weiterzuhelfen.“
FDP-Einzug hat Einfluss auf Koalitionsbildung
Friedrich Merz (CDU) hat beste Chancen, Kanzler zu werden, braucht für eine Regierungsbildung aber Partner. Ein Zusammengehen mit der in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften AfD hat der CDU-Chef ausgeschlossen. Die Bildung einer Regierung hängt auch davon ab, ob die FDP und das BSW den Einzug in den Bundestag schaffen.
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Wenn weder FDP noch BSW im Bundestag sitzen, ist für die Union eine Koalition mit der SPD möglich. Wenn jedoch FDP und BSW im Bundestag sitzen, muss Merz sich gleich zwei Koalitionspartner suchen. Das gilt auch für das Szenario, wenn nur eine der beiden Parteien den Einzug schafft. Nach jüngsten Hochrechnungen liegen die Liberalen unter fünf Prozent.
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Die Fünf-Prozent-Hürde ist seit Jahrzehnten für die FDP immer wieder zu einer unüberwindbaren Größe geworden – und jetzt wohl auch erneut bei einer Bundestagswahl. Die Liberalen haben voraussichtlich weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen geholt und fliegen damit zum zweiten Mal aus dem Bundestag.
Das erste Mal war das vor mehr als elf Jahren der Fall: Nach dem Höhenflug mit Parteichef Guido Westerwelle, der nach der erfolgreichen Wahl 2009 (14,6 Prozent) Außenminister einer schwarz-gelben Regierung wurde, scheiterten die Liberalen nach 64 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit zum Bundestag mit 4,8 Prozent an der Sperrklausel. Christian Lindner wurde dann Parteichef und führte vier Jahre später die FDP wieder ins nationale Parlament.
In den jüngsten Landtagswahlen allerdings war die Fünf-Prozent-Hürde unerreichbar entfernt: Im September holten die im Osten traditionell schwachen Liberalen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gerade einmal um die 1 Prozent der Wählerstimmen. In der Vergangenheit verpasste die Partei den Einzug in ein Landesparlament mitunter mit nur Hunderten Stimmen. Im Saarland etwa fehlten der FDP im März 2022 trotz Zugewinnen dafür 1.003 Stimmen (Wahlergebnis: 4,8 Prozent). In Hamburg waren es 1.060 Stimmen im Februar 2020 (4,97 Prozent), über Direktmandate zog die Partei aber dennoch in der Bürgerschaft ein.