Bundestagswahl 2025

Wer bekommt meine Stimme, wenn ich nicht wählen gehe?

Welche Konsequenzen müssen Nichtwähler befürchten, wie sinnvoll ist taktisches Wählen und werden rechte Parteien tatsächlich gestärkt, wenn kein Kreuz auf dem Wahlzettel gesetzt wird?

Wer bekommt meine Stimme bei der Bundestagswahl, wenn ich nicht wähle? Wir beantworten die wichtigsten Fragen im Überblick. | © Andreas Sundermeier

Jessica Eberle
28.01.2025 | 28.01.2025, 13:47

Wahltag – für viele ist es ein Akt der demokratischen Teilhabe und eine Pflicht, die eigenen politischen Präferenzen durch die Stimmabgabe zu manifestieren. Doch nicht jeder geht wählen. Einige aus Desinteresse, andere vielleicht aufgrund von Krankheit oder weil sie sich von keiner Partei oder keinem Kandidaten repräsentiert fühlen.

Aber wer profitiert von der Nichtwahl? Und was ist dran an Slogans wie „Wer nicht wählt, wählt rechts?“

Was passiert mit meiner Stimme, wenn ich nicht wählen gehe?

Nichtwähler senden kein neutrales Signal. Im Gegenteil, das Fernbleiben von der Wahlurne kann das politische Kräfteverhältnis erheblich beeinflussen. Die Stimmenverteilung unter den Parteien verschiebt sich, denn jede nicht abgegebene Stimme reduziert die Gesamtzahl der Stimmen, die für eine Mehrheit benötigt werden. So können Parteien mit einer größeren Wählerschaft stärker profitieren, während Parteien, deren potenzielle Wähler eher zur Wahlenthaltung neigen, benachteiligt werden.

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Ein Rechenbeispiel angelehnt an die Bundestagswahl 2021: Eine Partei hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Wahl fünf Prozent zu erreichen. Bei der Bundestagswahl 2021 waren etwa 60,4 Millionen Menschen wahlberechtigt. Wenn alle wahlberechtigten Menschen wählen würden, müsste eine Partei 3,02 Millionen Stimmen erhalten, um ihr Ziel von fünf Prozent zu erreichen. Wenn jedoch nur knapp über 46 Millionen Menschen wählen gehen (was einer Wahlbeteiligung von etwa 76,6 Prozent entspricht, wie es bei der Bundestagswahl 2021 der Fall war), müsste die Partei nur noch 2,3 Millionen Stimmen für eben dieses Ziel bekommen.

Demnach profitieren alle Parteien insofern von vielen Nichtwählern, weil sie selbst mit absolut weniger Stimmen ihr angepeiltes Wahlziel erreichen können.

Profitieren rechte Parteien, wenn ich nicht wähle?

Bundestagswahl 2021 mit Andrang vorm Wahllokal: Vor vier Jahren lag die Wahlbeteiligung bei 76,6 Prozent -0.4 Prozentpunkte höher als im Jahr 2017. - © Hauke-Christian Dittrich/dpa
Bundestagswahl 2021 mit Andrang vorm Wahllokal: Vor vier Jahren lag die Wahlbeteiligung bei 76,6 Prozent -0.4 Prozentpunkte höher als im Jahr 2017. | © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Behauptungen wie „Wer nicht wählt, wählt rechts“ fußen auf der Annahme, dass rechte Parteien eine zuverlässige Stammwählerschaft haben, die immer zur Wahl geht. Das trifft so pauschal aber nicht zu. Die Verhältnisse unterscheiden sich von Wahl zu Wahl. Wer sichergehen möchte, dass nicht die „falsche“ Partei eine Stimme bekommt, fährt am sichersten, wenn er oder sie wählen geht.

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Gibt es einen Unterschied zwischen „nicht wählen“ und „ungültig wählen“?

Für die Feststellung des Wahlausgangs sind ausschließlich die gültigen Stimmen maßgeblich. Daher ist es im Hinblick auf die prozentuale Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Parteien irrelevant, ob Sie nicht zur Wahl gehen oder einen ungültigen Stimmzettel abgeben, da beide Varianten nicht in die Berechnung der gültigen Stimmenanteile einfließen.

Wie sinnvoll ist taktisches Wählen?

Bei taktischem Wählen geht es darum, die Stimme nicht unbedingt der bevorzugten Partei oder dem bevorzugten Kandidaten zu geben, sondern so zu wählen, dass bestimmte politische Ziele erreicht oder bestimmte Ergebnisse verhindert werden.

Vorteile des taktischen Wählens

Fünf-Prozent-Hürde: In Deutschland müssen Parteien mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, um in den Bundestag einzuziehen. Wähler könnten taktisch für eine kleinere Partei stimmen, die knapp unter dieser Hürde liegt, um ihr zum Einzug in den Bundestag zu verhelfen und somit die politische Vielfalt im Parlament zu stärken.

Koalitionsmöglichkeiten: Wähler können auch taktisch wählen, um potenzielle Koalitionen zu beeinflussen. Wenn beispielsweise absehbar ist, dass die bevorzugte Partei keine Mehrheit erlangen wird, kann die Stimme einer kleineren Partei gegeben werden, die wahrscheinlich eine Koalition mit der bevorzugten Partei bilden würde.

Verhindern von Extremen: Taktisches Wählen kann auch eingesetzt werden, um zu verhindern, dass Parteien mit extremen Positionen zu stark werden. Wähler könnten ihre Stimme einer moderateren Partei geben, um das politische Gleichgewicht zu erhalten oder extreme Kräfte zu schwächen.

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Nachteile des taktischen Wählens

Unvorhersehbare Ergebnisse: Wahlergebnisse sind von vielen Faktoren abhängig. Taktische Entscheidungen basieren oft auf Umfragen und Prognosen, die ungenau sein können. Ein taktischer Wähler könnte also eine Partei unterstützen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, aber das kollektive Verhalten der anderen Wähler kann nicht vorhergesagt werden.

Konflikt mit eigenen Überzeugungen: Taktisches Wählen bedeutet manchmal, eine Partei oder einen Kandidaten zu unterstützen, die oder der nicht die ersten Präferenzen des Wählers widerspiegelt. Dies kann zu einem moralischen Dilemma führen.

Verstärkung einer Zwei-Parteien-Dominanz: Wenn Wähler hauptsächlich taktisch wählen, um kleinere Parteien zu unterstützen, die eine Koalition mit einer größeren Partei bilden könnten, kann dies dazu führen, dass das politische System von zwei dominanten Parteien beherrscht wird und kleinere Parteien marginalisiert werden.

Welche Folgen hat die Wahlrechtreform fürs taktische Wählen?

Die Wahlrechtsreform führt zu einer Verkleinerung des Bundestags, wodurch die Zweitstimme entscheidender für die Sitzvergabe wird. Direktmandate, die nicht durch die Zweitstimme gedeckt sind, verfallen und führen nicht zu zusätzlichen Sitzen. Dies könnte dazu führen, dass Wahlkreis-Siegerinnen und Sieger nicht in den Bundestag einziehen, wenn ihre Partei nicht genügend Zweitstimmen erhält. Wählerinnen und Wähler von größeren Parteien könnten daher motiviert sein, ihre Stimmen nicht zu splitten und sowohl Erst- als auch Zweitstimme derselben Partei zu geben.

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