Vor diesen großen Herausforderungen steht die neue Ampel-Regierung

Berlin. Am Mittwochmorgen wählt das Parlament den neuen Bundeskanzler. Der heißt bekanntlich Olaf Scholz, und dass er mit der absoluten, der sogenannten Kanzlermehrheit, gewählt wird, ist sehr wahrscheinlich. Die Ampel aus SPD, Grünen und FDP verfügt über 416 von insgesamt 736 Sitzen – das sollte reichen. Anschließend werden alle Kabinettsmitglieder vom Bundespräsidenten vereidigt. Es wird schöne Bilder geben, ein Gefühl des Aufbruchs wird sich breitmachen. Und dann? Tatsächlich ist es das eine, einen Koalitionsvertrag vorzuweisen. Und etwas anderes, die vereinbarten Projekte tatsächlich gemeinsam anzugehen. SPD, FDP und Grüne haben in vertrauenerweckender, diskreter Weise ihre Ziele abgesteckt. Die SPD steht für Arbeits- und Sozialpolitik, die FDP für Finanz- und Steuerpolitik, die Grünen für Klima und Außenpolitik. Doch schon der Plan für den sozialökologischen Wandel reicht weit über diese Wahlperiode hinaus, bis mindestens 2030. Die Umbauten in der Arbeits- und Sozialpolitik werden, abgesehen vom 2022 einzuführenden Mindestlohn von zwölf Euro, Jahre in Anspruch nehmen. Und was die Reform der personell ausgelaugten Verwaltung angeht, kann sich jeder ausmalen. Kluft in der Gesellschaft ist große Herausforderung Und dann ist da auch noch das Tagesgeschäft. Die Ukraine-Krise, der Olympiaboykott, Deutschlands Europapolitik nichts davon kann warten. Nach der Unterzeichnung des Vertrags am Dienstagmorgen sprach Olaf Scholz sofort das drängendste Alltagsproblem an. Der Kampf gegen die Corona-Krise, sagte er, werde die ganze Kraft der neuen Koalition erfordern. Tatsächlich geht es bei dieser Krise nicht ausschließlich ums Impfen, um die einrichtungsgebundene Impfpflicht für Mitarbeitende in Gesundheit und Pflege oder die allgemeine Impfpflicht ab Anfang des nächsten Jahres. Es geht - nicht nur - um Gesetze und Verordnungen. Eine mindestens ebenso große Herausforderung an die Politik wird es sein, das Land, die Gesellschaft wieder zusammenzubringen. Die Kluft ist längst spürbar. Während im Nordwesten des Landes, etwa in Bremen und Bremerhaven, die Bürgerinnen und Bürger ganz überwiegend geimpft sind, gehen im Südosten Menschen auf die Straße. Sie protestieren lautstark und ungeschützt gegen die Corona-Politik, Übergriffe gegen Abgeordnete und Pressevertreter häufen sich. Die Haltung dieser Menschen ist gefährlich abgekoppelt von den Anforderungen dieser Zeit: Statt Verantwortung für Mitmenschen zu übernehmen, halten sie sich für schlauer als die Wissenschaft, für unverwundbar. Das alles aber in dem Bewusstsein, dass ihnen selbstverständlich geholfen wird, wenn Hilfe Not tut. Man nennt das Gratismut. Scholz: Einschränkungen für Ungeimpfte Der künftige Bundesfinenzminister Christian Lindner sprach denn auch in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz und Habeck davon, die Entscheidung über die allgemeine Impfpflicht der &bdquo;ethischen Abwägung" der Fraktionsmitglieder überlassen zu wollen. Angesprochen auf die teils gewaltsamen Proteste, erklärte Olaf Scholz, es werde Einschränkungen für Ungeimpfte geben. Viele von ihnen &bdquo;werden auf den Intensivstationen um ihr Leben ringen müssen". Auch der Grüne Robert Habeck versprach, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Berechtigte Sorgen möge es geben. Aber die &bdquo;ideologische Bewegung", die die staatliche Ordnung angreife, neige dazu, ebendiese abzulehnen. Es müsse sehr deutlich klargemacht werden, wo Grenzen überschritten würden. Das klingt entschlossen. Viele Bürgerinnen und Bürger finden, es sei angesicht von mehr als hunderttausend Verstorbenen langsam genug diskutiert. Sie verspüren tatsächlich den dringenden Wunsch nach einem handlungsfähigen Staat. Aber Fakt ist eben auch, dass die SPD auch in der letzten Regierung gesessen hat. Diese Verantwortung wird sie nicht einfach abstreifen können. Nicht einmal die Sozialdemokraten würden wohl der Union unterstellen, sie habe in der Pandemie absichtsvoll fahrlässig gehandelt. Hinzu kommt, dass die &bdquo;Parlamentarisierung der Pandemiebekämpfung" (Lindner) gut und richtig ist. Aber natürlich wird im Bundesrat nichts ohne die unionsregierten Länder vorangehen. Das Fortschritts-Versprechen der Ampel wird sich also auch messen lassen müssen an ihrer Fähigkeit zur Kommunikation mit allen Gruppen dieser Gesellschaft.

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