Aufholjagd

Retter der SPD: Wie Olaf Scholz den Wahlkampf spannend machte

Der Spitzenkandidat hat bei jungen Sozialdemokraten Hoffnung entfacht. Die Geschlossenheit der Partei hat auch Wähler überzeugen können.

Bei seiner Abschlussveranstaltung in Köln zeigte sich Olaf Scholz siegessicher. | © Reuters

27.09.2021 | 27.09.2021, 13:49

Olaf Scholz reißt die Arme nach oben. Immer und immer wieder. Er wollte nicht hinter dem Rednerpult stehen, er hat die freie Bühne gesucht. Krawatte und Jackett hat er sich ebenfalls gespart. Er trägt ein weißes Hemd und eine dunkle Hose, wie so oft in diesem Wahlkampf.

Es ist die Abschlusskundgebung der SPD am Freitag in Köln, und Scholz, sonst eher für sparsame Gestik bekannt, sieht mal einladend aus, mal kämpferisch. Es sei etwas ganz Besonderes, nach so einer langen Kampagne noch einmal da oben zu stehen, sagt er.

Bestes Ergebnis seit 2002

Scholz weiß in diesem Moment, dass er sehr vieles sehr richtig gemacht hat. Der Wahlkampf ist gut gelaufen für die SPD, außergewöhnlich gut sogar. Es gab keine ernsthaften Pannen oder Schnitzer in der Kampagne, und der Kandidat hat abgeliefert. Das letzte Mal, dass die SPD das von sich behaupten konnte, war 2002. Damals hieß der Spitzenkandidat noch Gerhard Schröder und war Bundeskanzler.

Scholz wird als vorläufiger Retter der SPD in die Geschichtsbücher eingehen, das hat er jetzt schon sicher. Er hat den Abwärtstrend der Genossen nicht nur gestoppt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Die 20,5 Prozent, die Martin Schulz vor vier Jahren geholt hat, scheinen inzwischen sehr weit weg. Die spannende Frage ist nun, ob es Olaf Scholz auch gelingt, eine Koalition zu schmieden und Bundeskanzler zu werden. Falls ja müsste der Eintrag in die Geschichtsbücher noch ein bisschen warten.

Scholz gibt jungen Sozialdemokraten Hoffnung

Hinter den Sozialdemokraten liegt ein unglaubliches Jahr. Noch bis in den Sommer hinein sah es so aus, als wären sie bei dieser Wahl völlig abgeschrieben. Gerade jüngere Abgeordnete, die um ihr Mandat fürchteten, wirkten, als seien sie nahe an der Depression. Viele hatten das Gefühl, es gehe für die Partei auf den Abgrund zu. Gleichzeitig fehlte es an Energie, sich gegen den Kanzlerkandidaten oder die Parteispitze aufzulehnen. Und überhaupt: Zu diesem Zeitpunkt hätte auch keiner so genau gewusst, was da eigentlich noch helfen sollte.

Wird es so furchtbar wie vor vier Jahren bei Schulz? Oder noch schlimmer? Das fragten sich noch zu Sommerbeginn viele in der SPD. Im Wahlkampf 2017 wirkte es für halbwegs mitfühlende Außenstehende ab einem bestimmten Punkt fast schon erbarmungswürdig, wie der damalige SPD-Chef Schulz jeden Tag aufs Neue sagte: „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden." Obwohl – innerhalb wie außerhalb der SPD – niemand mehr daran glaubte.

SPD rechnete mit Absturz

Im Jahr 2021 waren die meisten in der SPD schon auf das Schlimmste gefasst. Doch dann kam alles anders. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet machten so viele Fehler, dass Olaf Scholz und die SPD plötzlich zurück im Spiel waren. Erst überholte die SPD die Grünen, dann die Union. Bei den persönlichen Werten überflügelte Scholz die Konkurrenten weit.

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CDU und CSU reagiert mit zunehmender Aggressivität. Sie warnten vor einem Linksrutsch, davor, dass die SPD eine rot-rot-grüne Koalition schließen werde. Und auch die Durchsuchung im Finanzministerium wegen Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU in Köln lieferten der Union Chancen zur Attacke. In den Umfragen lagen SPD und Union zuletzt wieder nah beieinander.

Scholz und sein Team sind in schlechten Zeiten nicht übermäßig nervös und in guten Zeiten nicht übermütig geworden. Auch als die Umfragewerte über viele Monate bei etwa 15 Prozent einbetoniert waren, haben sie stets eisern an der Erzählung festgehalten, die Menschen im Land würden sich erst in den Wochen vor der Wahl intensiv damit auseinandersetzen, dass Angela Merkel abtritt. Dann werde Bewegung in die Sache kommen. Damit sollten sie Recht behalten.

Neue Geschlossenheit in der Partei

Der eine oder andere finde Scholz vielleicht langweilig, hieß es in der SPD immer wieder. Doch das sei nicht entscheidend. Wenn Menschen die Wahl hätten, welcher Pilot in ihrem Flieger am Steuer sitzen solle, würden sie sich für Erfahrung und Kompetenz entscheiden. Das werde – nach der langen Zeit, in der sich die meisten mit Kanzlerin Merkel sicher fühlten – den Ausschlag geben.

Die SPD ist in diesem Wahlkampf so geschlossen aufgetreten, wie man sie seit vielen Jahren nicht mehr kannte. Ausgerechnet Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans – also diejenigen, die Scholz im Kampf um den Parteivorsitz besiegt haben – haben Scholz zum Kandidaten gemacht. Das ist einerseits ein Zeichen dafür, dass die Parteivorsitzenden keine starke Alternative hatten. Andererseits zeigt es aber auch, dass es Scholz und den SPD-Chefs gelungen ist, sich zusammenzuraufen. Geholfen hat dabei, dass die Pandemie Scholz zu einem ausgabefreudigen Finanzminister gemacht hat. Das hatte sich die SPD-Linke immer von ihm gewünscht.

Ihre Geschlossenheit und neue Stärke wird der SPD in dem nun anstehenden Machtpoker um das Kanzleramt helfen. Scholz weiß, er wird Angela Merkel nur beerben können, wenn er eine Mehrheit über die Parteigrenzen hinweg hinter sich versammelt.

Scholz' Wunsch: Koalition mit den Grünen

Drei Tage vor der Wahl hatte der Mann aus Hamburg noch öffentlich von einer möglichen Zweierkoalition mit den Grünen geträumt. Dass es dafür mutmaßlich nicht reichen würde, hatten sie aber selbst in der SPD hinter vorgehaltener Hand eingeräumt.

Wird es Scholz nun gelingen, eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu bilden – obwohl FDP-Chef Christian Lindner allein schon mit der Idee fremdelt? Oder könnte es vielleicht doch auf eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen hinauslaufen? Hier wäre der Weg für die Grünen der kompliziertere. Gerade FDP-Chef Christian Lindner hat im Vorfeld der Wahl mehrfach darauf hingewiesen, dass in der Geschichte der Bundesrepublik nicht immer die stärkste Partei die Regierung angeführt hat. Willy Brandt wurde 1969 als Zweiplatzierter Kanzler, Helmut Schmidt 1976 und 1980.

Eine Neuauflage der großen Koalition streben weder Union noch SPD an – zumal im Wahlkampf mit harten Bandagen gekämpft wurde. Auch andere Varianten wie eine Deutschlandkoalition aus Union, SPD und FDP galten unter den Parteien vor der Wahl als wenig beliebt. Über ein Bündnis von SPD, Linken und Grünen wurde im Wahlkampf zwar viel diskutiert. Die Warnung vor einem Linksbündnis diente der Union aber vor allem dazu, eigene Wähler zu mobilisieren.

Mit Scholz voraussichtlich kein Linksbündnis

Den meisten in der SPD und auch vielen anderen war aber seit langem klar: Kanzlerkandidat Scholz will ein solches Bündnis nicht. Die Bedingungen, die Scholz für eine Koalition in Sachen außen- und sicherheitspolitische Verlässlichkeit genannt hat, kann die Linke schwer erfüllen. Auch viele vom linken Parteiflügel der SPD gingen davon aus, dass ein solches Bündnis aktuell schwer funktionieren könnte.

Dass Scholz eine solche Koalition nicht vorab ausgeschlossen hat, lag unter anderem daran, dass er denen an der SPD-Basis, die sich ein solches Bündnis wünschen, nicht vor den Kopf stoßen wollte. Auch eine strategische Überlegung stand im Raum: Gerade die theoretische Möglichkeit von Rot-Rot-Grün könnte auch den Weg zu einer Ampel-Koalition mit Grünen und FDP ebnen. Denn die Verhinderung eines Linksbündnisses könnte, so die Hoffnung in der SPD, für FDP-Chef Christian Lindner im Zweifel ein Argument sein, mit dem er seinen eigenen Wählern eine mögliche Ampel-Koalition erklärt.

Das Schöne an der Demokratie, so sagte es Scholz in Köln, sei, dass die Wählerinnen und Wähler entschieden. Das stimmt, es gilt aber nur für das Wahlergebnis. Ab sofort sind die Parteien am Zug.