Krach zwischen Union und SPD

Wehrdienst-Pläne sorgen weiter für Streit in der Koalition – Pressekonferenz geplatzt

Union und SPD wollten ihren Streit über das Wehrdienstmodell des Verteidigungsministers eigentlich beilegen. Jetzt ist das Gegenteil passiert.

Die Regierung will mehr junge Leute für den Wehrdienst gewinnen. | © Soeren Stache

14.10.2025 | 14.10.2025, 20:02

Berlin (dpa). Der Streit zwischen Union und SPD über den neuen Wehrdienst eskaliert. Die Koalitionspartner ließen am späten Nachmittag eine Pressekonferenz zu dem Gesetzentwurf wegen zu großer Unstimmigkeiten kurzfristig platzen. Eine vorher von Unterhändlern beider Seiten gefundene Grundsatzeinigung hatte zuvor in der SPD-Fraktion keine Zustimmung gefunden.

Für Unmut sorgt vor allem ein von der Union vorgeschlagenes Losverfahren bei der Auswahl von Wehrdienstleistenden. Ob das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stammende Gesetz wie geplant am Donnerstag in den Bundestag eingebracht wird, ist nun nach Angaben von beiden Seiten wieder völlig offen.

In der SPD-Fraktionssitzung soll vor allem Pistorius selbst gegen die Einigung der Unterhändler Stimmung gemacht haben. Beim Verlassen der Fraktionssitzung distanzierte er sich vom Unions-Vorschlag eines Losverfahrens: „Das war nicht meine Idee, das war eine Unions-Idee.“

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Rückfall in alte Muster

Die Koalition hatte sich nach der Sommerpause eigentlich vorgenommen, solche Streitigkeiten wie bei der geplatzten Wahl von drei Verfassungsrichtern oder der Senkung der Strompreise zu vermeiden. Der jetzige Eklat gehört aber nun in dieselbe Kategorie.

Das Kabinett hatte sich bereits im August auf den von Pistorius vorgelegten Entwurf verständigt, der zunächst einmal auf Freiwilligkeit bei der Rekrutierung von Wehrdienstleistenden setzt. Die Union war damit aber unzufrieden und drängte auf eine automatische Einführung der Wehrpflicht, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht genug Freiwillige gefunden werden.

SPD-Fraktion geht auf die Barrikaden

Die Nachverhandlungen wurden von Siemtje Möller und Falko Droßmann für die SPD sowie Norbert Röttgen und Thomas Erndl für die Union geführt. Am Sonntagabend gab es erste Medienberichte über eine Einigung auf ein Losverfahren, für das die genauen Modalitäten aber unklar blieben. Am Montagabend fand eine finale Verhandlungsrunde statt, nach der von beiden Seiten von einer Grundsatzeinigung die Rede war.

Vormittags gegen 11 Uhr wurde die Einladung zur Pressekonferenz mit den vier Unterhändlern verschickt. Ein Eckpunktepapier mit den Inhalten war bereits fertig zur Verteilung an die Journalisten.

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Die Rechnung wurde aber ohne die SPD-Fraktion gemacht, die am Nachmittag auf die Barrikaden ging. Die Eckpunkte fanden in der Fraktionssitzung keine Zustimmung. Möller und danach auch SPD-Fraktionschef Matthias Miersch gingen in die benachbarte CDU/CSU-Fraktion, um die Nachricht zu überbringen. Anschließend wurde die Pressekonferenz abgesagt, zu der sich bereits Dutzende Journalisten in einem Bundestagsgebäude neben dem Reichstag versammelt hatten.

Ein Sprecher der Unionsfraktion sagte den wartenden Journalisten: „Wir haben die Pressekonferenz abgesagt, weil die beabsichtigte Einigung ausgeblieben ist. Wir hatten fest damit gerechnet. Wir wissen nicht, wann die erste Lesung des Gesetzentwurfs erfolgen wird und werden Sie dazu zeitnah informieren.“ Möglicherweise werde es nun noch am Abend eine Kommunikation zum weiteren Verfahren geben, hieß es von beiden Seiten.

Grüne sprechen von Chaos

Grünen-Chef Felix Banaszak sagte, dies sei ein Zeichen des Chaos - und dass die Koalition sich selbst nicht organisiert bekomme. „Aber das Signal, das man an die Gesellschaft und vor allem an die jungen Menschen sendet, über die man gerade spricht, ist einfach ein Signal von Respektlosigkeit.“

Spahn: „Fairstdenkbare“ Lösung

CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn hatte die Idee des Losverfahrens kurz vor der Eskalation des Streits noch verteidigt. Sollte es zu einer neuen Wehrpflicht kommen, müsse man eine möglichst gerechte Auswahl treffen, sagte er. „Da scheint mir das vorgeschlagene Verfahren das fairstdenkbare. Ich habe jedenfalls noch keinen faireren Vorschlag gehört.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann wies rechtliche Bedenken zurück. Die Union habe ein Rechtsgutachten dazu in Auftrag gegeben, nach dem eine solche Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, sagte der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten. Ein Losverfahren diene dazu, in einem Auswahlprozess Gleichheit herzustellen. „Der Prozess der Auslosung gewährleistet diese Gleichheit, weil alle die gleiche Chance haben oder Nicht-Chance, gezogen zu werden.“

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Opposition: „Tribute von Panem“

Die Grünen im Bundestag sprachen dagegen von einem „völlig undurchdachten Vorschlag“. Das Los entscheiden zu lassen, wer gemustert und einberufen werden solle, sei ein „absolut willkürliches“ und ein „total bürokratisches“ Verfahren, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge. Linksfraktionschef Sören Pellmann warnte vor einer „Lotto-Wehrpflicht“. Das Vorhaben erinnere ihn „an den Roman „Tribute von Panem“, wo Kinder für die Hungerspiele ausgelost werden“. AfD-Chefin Alice Weidel sagte: „Ich habe so etwas Schwachsinniges selten gehört.“

80.000 zusätzliche Soldaten benötigt

Hintergrund für die geplante Wehrdienstreform ist, dass die Bundeswehr 80.000 zusätzliche Soldaten benötigt. Als Begründung wird eine Verschärfung der Bedrohungslage infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine genannt. Aktuell hat die Bundeswehr rund 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, rund 260.000 sollen es werden. Auch die Reserve soll wachsen.

Der neue Wehrdienst soll weiterhin freiwillig bleiben. Schon im bisherigen Gesetzentwurf ist aber auch die Option für eine Wehrpflicht festgehalten, wenn nicht genügend Freiwillige gewonnen werden können. Die Regelung dazu ist der Union aber bisher zu wenig konkret.