Vor der wegweisenden Stichwahl in Georgia - der neue Süden, tiefblau?

Atlanta/Macon. Als Donald Trump vor 20 Jahren in Amerikas Teppichboden-Hauptstadt aufschlug, war er nur Mitläufer. Marla Maples, später seine zweite Ehefrau, besuchte 1991 in der Nähe von Dalton ihre ehemalige Highschool. Am 4. Januar geht es in der 34.000 Einwohner-Stadt im Norden Georgias für Trump weder um die eigene Frau noch um Bodenbeläge. Sondern, O-Ton Trump, &bdquo;um die Zukunft Amerikas". Der in zwei Wochen widerborstig abdankende US-Präsident will bei einer großen Kundgebung sein Gewicht ein letztes Mal in die Waagschale werfen. Für Dritte. Tags drauf entscheiden sich im südlichsten der 13 amerikanischen Gründungs-Bundesstaaten die Machtverhältnisse in Washington. Die amtierenden republikanischen Senatoren David Perdue und Kelly Loeffler müssen sich einer Stichwahl stellen. Obsiegen die beiden durch fragwürdige Insider-Geschäfte an der Börse ins Gerede gekommenen Multi-Millionäre, behalten die Konservativen im Oberhaus des Kongresses die Mehrheit. Viele Projekte des designierten Präsidenten Joe Biden könnten damit verzögert, verwässert oder ganz verhindert werden. Demokraten dominieren im Repräsentantenhaus Machen dagegen die demokratischen Herausforderer Raphael Warnock und Jon Ossoff das Rennen, stünde es 50:50 im Senat. Bidens designierte Vize Kamala Harris würde dann mit ihrer laut Verfassung hervorgehobenen Stimme die Mehrheit sichern. Weil die Demokraten, wenn auch mit knapper gewordenem Vorsprung, schon im Repräsentantenhaus den Ton angeben, könnte Biden bis zu den Zwischenwahlen in zwei Jahren aus einem Guss regieren. Wunschkonzert. Für Republikaner wie Nathaniel Grubman dagegen &bdquo;der Weltuntergang". Der pensionierte Installateur war schon Anfang Dezember in Valdosta ganz im Süden Georgias dabei. Damals hatte Trump zum ersten Mal nach seiner Wahlschlappe öffentlich einen schwierigen Spagat gewagt. Er warf vor Tausenden Anhängern den republikanischen Wahl-Verantwortlichen um Georgias Gouverneur Kemp vor, Komplizen bei einem gerichtlich bis heute nicht mal im Ansatz bestätigten Wahlbetrug zugunsten Joe Bidens gewesen zu sein. Gleichzeitig rief er seine Fans dazu auf, auf keinen Fall die Stichwahl für den Senat zu schwänzen. Weil Amerika sonst den &bdquo;kommunistischen" Feldversuchen der Demokraten - Krankenversicherung für alle, scharfe Klimaschutzpolitik etc. - zum Opfer falle. Keisha Pemberton ist der Idealfall Ob die apokalyptische Rhetorik fruchtet, ist für die Republikaner in Georgia die bange Frage. Perdue/Loeffler und Warnock/Ossoff liegen in Umfragen eng beieinander, mit leichten Vorteilen für die Demokraten. Nathaniel Grubman: &bdquo;Wenn wir unsere Leute nicht an die Wahlurnen bringen, ist es aus." Aber warum sollten konservative Wähler erneut ihre Stimme abgeben, wenn doch die Wahl-Systeme, wie Trump bis heute ohne jeden Beleg behauptet, auch bei der Stichwahl getürkt sein werden? Da sind die Demokraten etwas weiter. Keisha Pemberton ist der Idealfall, wenn man Georgia unter dem Etikett des &bdquo;neuen Südens" betrachtet. Ein Bundesstaat, der seit Anfang der 90er Jahre eine zuverlässig republikanische Hochburg war. Bis Joe Biden kam. Die Angestellte eines Hotels in Macon, 90 Autominuten südlich von Atlanta gelegen, hat mit dem hauchdünnen Sieg des Demokraten am 3. November - am Ende waren es bei rund fünf Millionen Wählern rund 12.000 Stimmen mehr als bei Trump - unmittelbar zu tun. &bdquo;Ich habe lange Zeit gar nicht gewählt", sagte die 31-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung, &bdquo;ich erhoffte mir nichts mehr davon." Das hat sich geändert, seit Pemberton in Kontakt mit Organisationen kam, ohne die Bidens Sieg in Georgia nicht denkbar ist: &bdquo;New Georgia Project" und &bdquo;Fair Fight", beides von der schwarzen demokratischen Regional-Politikerin Stacey Abrams initiert, die 2018 im Rennen um den Gouverneurs-Posten nur knapp dem Konservativen Kemp unterlag. Afro-Amerikaner wurden vermehrt in die Wahl-Register gebracht Abrams Graswurzeln-Bewegungen haben in unermüdlicher Klein-Arbeit 800.000 neue Wähler, vor allem Afro-Amerikaner, in die Wahl-Register gebracht, die dem demokratischen Prozess bis dahin ferngeblieben waren. Vor allem durch sie wechselte der bis dahin solide &bdquo;red state" (rot = republikanisch) die Farbe und wurde Biden-blau. Abrams will dafür sorgen, dass das Momentum nicht abreißt und auch Warnock und Ossoff über die Ziellinie trägt. &bdquo;Es könnte klappen", sagt Keisha Pemberton, &bdquo;und das wäre sensationell." Fast drei Millionen Wähler haben bereits vorgezogen ihre Stimme abgegeben. Finanziell sprengt die Doppel-Stichwahl jede Dimension. Für TV-Werbespots sind im Südstaat rund 500 Millionen Dollar ausgegeben worden. Insgesamt, berichtet das Atlanta Constitution Journal, wird der Vier-Personen-Wahlkampf mit über 800 Millionen Dollar der teuerste in der amerikanischen Parlamentsgeschichte. Für Youngster Ossoff geht es steil nach oben Raphael Warnock ist das manchmal peinlich. Er ist beruflich höheren Mächten verpflichtet und steht historisch in sehr großen Schuhen. Der mit elf Geschwistern in einer Sozialwohnung in der Hafenstadt Savannah groß gewordene Schwarze ist in Atlanta Pfarrer der Ebenezer Baptist Church. Das ist die Wirkungsstätte der Bürgerrechts-Ikone Dr. Martin Luther King. Für Kundgebungen hat sich der 51-Jährige bewusst Kleinstädte abseits der großen Zentren ausgesucht. Wer ihn dort über die Bekämpfung der Armut, die Notwendigkeit einer solidarischen Krankenversicherung und eine höhere Besteuerung von Top-Verdienern reden hört, erlebt einen fröhlichen Prediger, der sein Politik-Verständnis von Gerechtigkeit aus der Bibel bezieht, ohne dabei zu frömmeln. &bdquo;Der Reverend", sagte ein Anhänger vor Warnocks Wahlkampfzentrale in Atlanta, &bdquo;steht mit beiden Beinen im Leben, der ist cool und weise zugleich." Für seine Kontrahentin Kelly Loeffler ist der Gottesmann ein &bdquo;radikaler, liberaler Sozialist", der gesetzestreuen Bürgern die Waffen wegnehmen will. Was nicht stimmt. Mit ähnlichen Attacken muss sich auch Youngster Ossoff herumschlagen. Der 33-Jährige Dokumentarfilmemacher hatte sich mit 16 bei John Lewis, der einst mit Martin Luther King für Bürgerrechte marschierte und bis zu seinem Tod im Sommer das &bdquo;schwarze Gewissen" des Kongresses war um ein Praktikum beworben. Seither ging es für Ossoff so steil nach oben, dass Alt-Präsident Barack Obama ihn wie Warnock als politischen Roh-Diamanten bezeichnete. Jetzt müssen beide am Dienstag nur noch strahlen.

Meistgelesen