Fälle von „Sextortion“

Erpressung mit Nacktbildern: Kommt jetzt der KI-Angriff auf Teenager?

Die Folgen von „Sextortion“ können für die Betroffenen dramatisch sein. Nun gibt es erste Fälle, bei denen offenbar Künstliche Intelligenz zum Einsatz kam. Könnte das zu einem gefährlichen Trend werden?

Bei der Betrugsmasche "Sextortion" werden vor allem Teenager mit Nacktbildern erpresst - die Folgen können für die Betroffenen dramatisch sein. | © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Matthias Schwarzer
24.03.2025 | 24.03.2025, 15:29

Elijah Heacock wurde nur 16 Jahre alt. Ein „kluges, fröhliches Kind“ ist er laut seiner Familie gewesen, einfallsreich und kreativ, in seiner Schule der „Klassenclown“. Elijah engagierte sich in einer Schülergruppe, spielte Tennis. Und am 28. Februar war plötzlich alles vorbei. Elijah Heacock nahm sich in seinem Zimmer das Leben – unmittelbar, nachdem er von Unbekannten mit angeblichen Nacktbildern erpresst worden war.

Der Fall, über den dieser Tage regionale US-Medien berichten, hat sich in der Gemeinde Glasgow im Bundesstaat Kentucky ereignet – und er ist kein Einzelfall. „Sextortion“ heißt die Masche, die für Betroffene weltweit dramatische Folgen hat: Kriminelle bringen zumeist männliche Teenager unter einem Vorwand dazu, Nacktfotos oder sexuelle Handlungen von sich zu verschicken.

Haben Sie die Aufnahmen ihrer Opfer in den Händen, fordern Sie hohe Erpressungsgelder – andernfalls drohen Sie damit, die Bilder im Internet zu publizieren oder weiterzuschicken. Im Fall Elijah Heacock allerdings gibt es eine Besonderheit: Die Aufnahmen, die den Teenager in den Tod trieben, hat es offenbar nie tatsächlich gegeben. Stattdessen wurden sie vollständig mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt.

Drohnachrichten setzten Teenager unter Druck

Die Familie von Elijah Heacock hat den Fall gegenüber Zeitungen und Fernsehsendern öffentlich gemacht. Am Abend des 27. Februar um 22.30 Uhr habe sie ihren Sohn zum letzten Mal gesehen, sagt Elijahs Mutter Shannon Heacock der Lokalzeitung „Courier Journal“.

Einige Zeit später habe sie Anrufe von seinen Freunden erhalten und die Familie habe nach ihrem Sohn gesehen – doch da war es bereits zu spät. Der schwer verletzte 16-Jährige wurde von Rettungskräften ins Krankenhaus seines Heimatortes gebracht, wo er am nächsten Morgen verstarb.

Laut dem Bericht hätten Kriminelle 3.000 Dollar von dem Teenager gefordert, andernfalls würden die Bilder veröffentlicht oder seiner Familie Schaden zugefügt, so die Drohung. Heacock hatte offenbar zunächst versucht, mit den Tätern zu verhandeln – er soll einen kleinen Betrag von 50 Dollar geschickt haben. Nur eine Stunde nach dem Erhalt weiterer Drohnachrichten habe er sich das Leben genommen, heißt es weiter.

Behörden warnen bereits seit Monaten davor, dass Künstliche Intelligenz immer häufiger und immer professioneller für Betrugsmaschen eingesetzt wird. - © Matthias Bein/dpa
Behörden warnen bereits seit Monaten davor, dass Künstliche Intelligenz immer häufiger und immer professioneller für Betrugsmaschen eingesetzt wird. | © Matthias Bein/dpa

Behörden warnen vor Erpressung mit KI

Die Eltern des Jungen betonen, dass es sich bei den freizügigen Bildern nicht um echte Aufnahmen ihres Jungen gehandelt habe. „Wir wissen mit Sicherheit, dass alle Bilder von Elijah mit KI generiert wurden“, so die Mutter. Warum die Fälschungen den Jungen so aus der Bahn warfen, ist nicht ganz klar.

Die Eltern erklären gegenüber dem TV-Sender ABC, der Fall habe sich mitten in der Nacht ereignet. Elijah sei von der Situation womöglich völlig überfordert gewesen und in Panik geraten. Die Polizei überprüft derzeit den Inhalt des Telefons des 16-Jährigen.

Auch wenn im Fall Elijah Heacock vieles noch unklar ist, so ist er doch ein möglicher Vorbote auf das, was Teenagern und ihren Eltern langfristig bevorstehen könnte. Behörden warnen bereits seit Monaten davor, dass Künstliche Intelligenz immer häufiger und immer professioneller für Betrugsmaschen eingesetzt wird. Und ein potenzielles Szenario ist dabei offenbar auch die Demütigung und Erpressung von Menschen mit gefälschten Bildern oder Videos.

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Bilder von Social-Media-Plattformen reichen aus, um Nacktbilder zu generieren. - © Alicia Windzio/dpa
Bilder von Social-Media-Plattformen reichen aus, um Nacktbilder zu generieren. | © Alicia Windzio/dpa

Ein Bild aus Social Media reicht

Bei der Polizei im Vereinigten Königreich ist das Thema schon auf der Tagesordnung. Alex Murray, der nationale Leiter für KI bei der britischen Polizei, mahnte kürzlich auf einer Konferenz, Kriminelle seien erfinderisch und würden jede neue Möglichkeit nutzen, die sich ihnen biete.

Laut Murray gehe der größte Anteil der kriminellen KI-Nutzung auf Pädophile zurück. Sie nutzten generative Künstliche Intelligenz, um Bilder und Videos zu erstellen, die sexuellen Kindesmissbrauch zeigen. Dieselbe Technologie kann laut Murray aber auch für „Sextortion“-Erpressungen eingesetzt werden.

Missbrauchten Kriminelle bislang das Vertrauen ihrer Opfer, um an freizügige Bilder zu kommen, könnten heute einfach ganz normale Bilder aus den sozialen Medien verwendet werden, um daraus Nacktbilder zu generieren. Mit der fortschreitenden Verbesserung der Technik sehen diese im Zweifel täuschend echt aus.

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„Sextortion“-Angriffe werden häufiger

Die gemeinnützige „Internet Watch Foundation“ (IWF) machte im vergangenen Jahr öffentlich, sie habe im Darknet ganze Anleitungen von Pädophilen entdeckt, die darauf abzielen, explizites Material von Kindern zu erpressen. Der anonyme Verfasser prahlte demnach damit, ein 13-jähriges Mädchen erfolgreich manipuliert zu haben, sodass dieses ihm freizügige Bilder schickte.

Bei der Masche werden offenbar zunächst Nacktbilder von Kindern per KI angefertigt, um diese dann damit zu erpressen und zur Übermittlung weiterer expliziter Inhalte zu bringen. Der Cybersicherheitsexperte Reuven Aronashvili warnte bei „Forbes“, dass die Taktik nicht zwangsläufig nur Kinder und Jugendliche treffen muss, sondern etwa auch Führungskräfte in Unternehmen.

Täter könnten damit drohen, gefälschte Sexvideos von Managern online zu stellen. Diese könnten sich dann berufen fühlen, lieber das Geld zu zahlen, um ihren Ruf zu schützen. „Sextortion-Angriffe werden mit dem Aufkommen der GenAI zwangsläufig häufiger werden“, warnt der Experte. Er empfiehlt Schulungen und Schutzmaßnahmen für CEOs sowie Freunde und Familienmitglieder, die ebenso betroffen sein könnten.

Noch keine klaren Zahlen zu „Sextortion“ mit KI

Noch scheint die Methode kein Massenphänomen zu sein – und inwiefern sie in Deutschland bereits eingesetzt wird, ist unklar. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hatte kürzlich ungefähre Zahlen zu „Sextortion“-Fällen im Bundesland öffentlich gemacht. Auf Anfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) konnte die Behörde jedoch keine Auskünfte über mögliche Fälle mit KI machen.

Die polizeiliche Kriminalstatistik weist den Bereich „Erpressung auf sexueller Grundlage“ aus, jedoch nicht eindeutig „Sextortion“-Fälle oder die verwendete Methode der Kriminellen. Sprecherin Daniela Dässel erklärt, es sei anzunehmen, dass die Taten „mit der immer besseren Verfügbarkeit von KI-Tools“ zunähmen.

Künstliche Intelligenz könne „auf vielerlei Weise (...) im Bereich der Persönlichkeitsrechte genutzt oder vielmehr missbraucht werden, um die jeweiligen Opfer schlicht zu demütigen“, so Dässel weiter. Ein unerwarteter Anstieg der angezeigten Delikte im Bereich „Erpressung auf sexueller Grundlage“ sei aktuell aber nicht bekannt.

KI als Cybermobbing-Methode

Dass Künstliche Intelligenz generell eingesetzt wird, um Menschen zu demütigen, ist längst mehr als ein Drohszenario. Zuletzt hatten immer wieder auch Lehrkräfte von Cybermobbingfällen an Schulen berichtet. Silke Müller, Schulleiterin aus Niedersachsen, berichtete dem „Spiegel“ von gefälschten Nacktbildern, die Mitschüler mit sogenannten Undressing-Apps generiert hätten.

Auch seien Schüler schon mit gefälschten Sprachnachrichten bedroht worden. „Cybermobbing wird durch KI eine ganz neue Form annehmen“, so Müller weiter. Auch Initiativen, wie etwa „Schau hin“ warnen vor Deepfakes, mit denen Jugendliche gemobbt und bloßgestellt werden könnten. Teilweise würden etwa Fake-Videos als Identitätsbetrug eingesetzt, um in sozialen Netzwerken unter dem Namen des Opfers ein Konto anzulegen und bloßstellende Inhalte zu posten.

Die „Sextortion“-Methode selbst hat sich auch ganz ohne KI zu einem handfesten Problem entwickelt. Im vergangenen Jahr wurden allein der Stadt Hamm in Nordrhein-Westfalen innerhalb kurzer Zeit 17 männliche Jugendliche mit der Methode erpresst. In einem Fall hatte ein junger Mann mit seinem vermeintlichen Flirt freizügige Fotos auf Snapchat ausgetauscht. Kurz darauf seien Geldforderungen gekommen. Schließlich habe er 200 Euro an den Erpresser gezahlt. Er erstattete später Anzeige bei der Polizei.

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Tragische Fälle in den USA

Nicht alle Fälle gehen so glimpflich aus. In den USA werden „Sextortion“-Erpressungen inzwischen mit mindestens 27 Suiziden von Jugendlichen in Verbindung gebracht. Neben Elijah Heacock machte auch der Fall Jordan DeMay Schlagzeilen. Er nahm sich 2022 das Leben, nachdem Kriminelle ihn mit Nacktbildern erpresst hatten. Die Täter stammten aus Nigeria, konnten ermittelt und an die USA ausgeliefert werden. Sie wurden zu 17 Jahren Haft verurteilt.

Auch bei den Fällen aus Deutschland führen die Spuren in der Regel ins Ausland, was die Ermittlungen erschwert. Die Aufklärungsquote ist gering. Das Landeskriminalamt in NRW rät Betroffenen, sich im Falle einer Erpressung an eine Vertrauensperson zu wenden. „Überweisen Sie kein Geld, die Erpressung hört nach der Zahlung meist nicht auf“, warnt Dässel gegenüber dieser Redaktion. Der Kontakt zum Erpresser solle umgehend abgebrochen werden: „Reagieren Sie nicht auf Nachrichten.“

Anschließend solle der Fall zur Anzeige gebracht werden – das geht bei der Polizeiwache vor Ort oder online. Dafür sei es sinnvoll, alle Chatverläufe, mit Screenshots zu sichern. Generelle Vorsichtsmaßnahmen, wie etwa der sorgsame Umgang mit freizügigen Bildern, dürften jedoch im KI-Zeitalter immer schwieriger werden. Sollte sich die Masche zum Trend entwickeln, stehen Teenager und ihre Eltern vor ganz neuen Herausforderungen.

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