
London. Etwas ganz Besonderes kommt auf den Markt: eine Grabstätte gleich nebenan von Karl Marx. Wer sich das exklusive Vergnügen leisten will, in der Nähe des Vaters des Kommunismus bestattet zu werden, muss allerdings vorher tief in die Taschen greifen. Mindestens 25.000 Pfund, umgerechnet fast 30.000 Euro, soll eine Friedhofsparzelle auf dem Highgate Cemetery in London kosten. Ein kleines Urnengrab allerdings soll es schon für 5.000 Pfund geben.
Ausgerechnet Marx treibt die Preise in die Höhe, amüsierte sich die „Times“ und spottete in einem Leitartikel: „Für einige mag die kapitalistische Ausbeutung des Marxismus-Stammvaters ein wenig anrüchig erscheinen.“ Seit 1956, als der Philosoph umgebettet wurde, haben sich rings um die letzte Ruhestätte des deutschen Denkers Kommunisten aus aller Welt bestatten lassen, die ihrem Cheftheoretiker auch im Tode nahe sein wollen. Billig war das schon damals nicht, weil kaum Platz mehr da ist. Jetzt soll das Preisschild von 25.000 Pfund auch nur ein Anfangsgebot sein. Es hat seine eigene Ironie, dass gerade an dieser Stelle die sozialistische Nachfrage zu kapitalistischem Mehrwert führt.
Das Grabmal von Marx ist eine der Hauptattraktionen auf dem Friedhof Highgate Cemetery in Nordlondon. Es ist gar nicht zu übersehen, schon weil es so viel größer ist als all die anderen Grabmale. Ein übermannshoher, grauer Granitquader, darauf die dunkle Bronzebüste eines massigen Schädels: Karl Marx grüßt die Besucher seiner letzten Ruhestätte schon von weitem. Das Grab des wirkungsmächtigsten Denkers, den Deutschland hervorgebracht hat, ist keine elegante Angelegenheit.
Laurence Bradshaw war der Künstler, der die Grabanlage 1955 entworfen hat, und Understatement war seine Absicht nicht. Als er den Auftrag zur Gestaltung gewann, erklärte Bradshaw, dass die Herausforderung darin liegen würde, „ein Monument nicht nur für einen Mann, sondern für eine Geistesgröße und großen Philosophen zu schaffen“. Hat Bradshaw deswegen Marxens Haupt so überdimensional gestaltet? Ein gewaltiger Kopf ist das, um nicht zu sagen: kolossal. Die hohe Stirn, die buschigen Augenbrauen, das wallende Haar, der mächtige Bart. Es ist eine Büste, die dominieren soll. „Big Brother in drei Dimensionen“, kommentierte der linksliberale „Guardian“, als das Monument 1956 enthüllt wurde, „das Gesicht eines Vaters, der seine Kinder züchtigt, aber stets in Kummer“.
Sowjetunion wollte Marx Überreste nach Moskau überführen
Sein ursprüngliches Grab ist es aber nicht. Ursprünglich befand sich seine vorletzte Ruhestätte 200 Meter weiter südlich in einer engen Grabzeile. Zu wenig Raum sei dort, hatte sich die Partei der britischen Kommunisten beklagt, auch wäre es für Besucher schwierig, das Grab zu finden.
Die Sowjetunion fragte bei der britischen Regierung an, ob man Marxens sterbliche Überreste ausgraben, nach Moskau überführen und dort an der Seite von Lenin bestatten dürfe. London lehnte dankend ab. 1954 beantragte dann die „Marx Memorial Library“, der die Verwaltung des Grabes oblag, die Umbettung an einen für Versammlungen geeigneteren Ort. Dem wurde stattgegeben. Marx wurde exhumiert und kam 73 Jahre nach seiner ersten Beerdigung zu einem deutlich repräsentativeren Grabmal.
Karl-Marx-Geschirrtücher im Souvenirshop
Der Highgate Cemetery kann die Anziehungskraft des Philosophen gut brauchen. Der Friedhof war, als er 1839 eröffnete, ein privatwirtschaftliches Unternehmen und ist mittlerweile eine Wohltätigkeitsstiftung. Normalerweise kaufen sich Briten ihre letzte Ruhestätte „in perpetutity“, also für die Ewigkeit, was ein Recycling von Gräbern unmöglich macht. 2022 wurde eine eigens für diesen Friedhof geltende gesetzliche Regelung gefunden, die erlaubt, neue Bestattungen in alten Grabstätten durchzuführen. Der Verkauf solcher Parzellen dient ebenso wie das Eintrittsgeld und die Karl-Marx-Geschirrtücher im Souvenirshop dem Stiftungsziel: den Friedhof zu erhalten.