
Bielefeld. Wer diese Trophäen erhält, kann sich nichts darauf einbilden - ganz im Gegenteil. Die Rede ist von den "Big Brother Awards". Die Negativ-Preise werden alljährlich Unternehmen, Behörden oder Personen verliehen, die aus Sicht der Jury besonders missbräuchlich mit Daten umgehen. In Deutschland wird der Preis seit 2000 vom Bielefelder Verein Digitalcourage vergeben. Am Freitagabend fand die Preisverleihung in der Bielefelder Hechelei statt. Das sind die diesjährigen Preisträger.
Lieferando
In der Kategorie "Arbeitswelt" hat sich der Essens-Lieferdienst einen der wenig rühmlichen Preise verdient. Anlass der "Auszeichnung" ist die rechtlich unzulässige Totalkontrolle seiner Lieferfahrer. Dafür nutzt das Unternehmen eine spezielle App, die Scoober-App. Diese erfasst "detailliert und sekundengenau eine Fülle von Verhaltensdaten", erklärt Laudator Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Zu den erfassten Daten zählen der Zeitpunkt der Abholung und der Übergabe an den Kunden. Außerdem wird alle 15 bis 20 Sekunden der aktuelle Standort eines jeweiligen Lieferfahrers erfasst, heißt es. Dabei darf es so eine Totalkontrolle von Beschäftigten laut Bundesarbeitsgericht nicht geben. Ausgenommen sind davon etwa nur Mitglieder der Berufsfeuerwehr, die während ihrer Einsätze über Transponder verfolgt werden dürfen.
Mehr noch, die Scoober-App leite auch personenbezogene Daten an eine Reihe von Internet-Trackern wie Google Analytics weiter, ohne dass Beschäftigten mitgeteilt wird, warum das für Essenslieferungen nötig sei, so Wedde.
Wollen sich Beschäftigte über die Datenverarbeitung durch die Scoober-App informieren, stoßen sie nur auf eine Datenschutzerklärung auf Englisch; laut Wedde ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung, die vorschreibt, dass in klarer und verständlicher Sprache informiert werden müsse. "Rechtsenglisch ist aber keine klare und verständliche Sprache, außer für Menschen, die des Rechtsenglisch fähig sind", so Wedde.
"Lieferando ist aus unserer Sicht nur die Spitze eines Eisbergs von Firmen aus der Plattform- oder Gig-Economy, die eine Tätigkeit davon abhängig machen, dass Beschäftigte ihnen vielfältige persönliche Daten zur Verfügung stellen", so Wedde.
Bundesdruckerei
Die Bundesdruckerei GmbH wird in der Kategorie "Technik" ausgezeichnet. Sie nutzt die von Kryptowährungen bekannte Blockchain-Technologie für die Echtheitsprüfung digitaler Zeugnisse, was "vollkommen fehl am Platz ist", urteilt Laudator Frank Rosengart vom Chaos Computer Club.
Zum Hintergrund: Laut Gesetz müssen Schulzeugnisse bis Ende 2022 auch in digitaler Form vorliegen. Das Prozedere sieht vor, dass die ausstellende Schule das digitale Zeugnis an die Bundesdruckerei sendet. Diese generiert eine sogenannte Prüfsumme, eine Art Fingerabdruck für die Datei, und speichert ihn manipulationssicher in der Blockchain. Wird das Zeugnis künftig vorgelegt, errechnen Behörden oder Unternehmen ihrerseits die zum Dokument gehörende Prüfsumme und fragen bei der Bundesdruckerei nach, ob das Dokument echt ist: Die Prüfsumme müsste dann in der Blockchain stehen.
Ein "Totalschaden für den Datenschutz"
Doch wie Rosengart erklärt, hätten auch "klassische, digital signierte Dokumente, die seit vielen Jahren technischer Standard sind und die von jedem mit einfacher Software geprüft werden können", den Zweck erfüllt. Stattdessen will die Bundesdruckerei die Blockchain-Technologie nutzen, um Daten gegen Manipulation abzusichern.
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Mit ihrem System dränge sich die Druckerei "als zentrale Prüfinstanz auf, die immer angefragt werden muss und an der kein Weg vorbei führt." Niemand außer der Bundesdruckerei könne die Echtheit der Zeugnisse prüfen, was dem Konzept der Blockchain widerspreche.
Die Blockchain werde als "Must-have-Technologie" für deutsche Behörden dargestellt. Mit der Verleihung des Big Brother Awards soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wofür sich eine Blockchain eignet und wofür nicht. Im konkreten Fall würden zwar nicht die Zeugnisinhalte selbst, sondern nur Prüfsummen abgespeichert. Rosengart warnt jedoch vor Initiativen, personenbezogene Daten in Blockchains abzuspeichern. Das wäre ein "Totalschaden für den Datenschutz". Denn die Datenschutzgrundverordnung gewährt Betroffenen zwar das Recht, über sie gespeicherte Daten löschen oder berichtigen zu lassen. Doch genau das würde eine Blockchain technisch unmöglich machen. Das "Recht auf Vergessen" könne also nicht umgesetzt werden, kritisiert Rosengart.
Bundeskriminalamt
Auch die Staatsmacht arbeitet aus Sicht der Big-Brother-Award-Jury in Sachen Datenschutz nachlässig. So geht die Auszeichnung in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" an die deutsche Polizei, vertreten durch das Bundeskriminalamt. Wie Laudator Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz erklärt, werden personenbezogene Daten in einer Weise verarbeitet, "dass unter Umständen Opfer auf einmal zu Tätern gemacht werden."
Das Problem sei nämlich, dass Dateien entgegen verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben nicht oder unzureichend gekennzeichnet würden. Sie enthalten laut Weichert keine Informationen zur Rolle einer Person, ob sie also Täter, Opfer, Hinweisgeber oder Zeuge ist. "Dadurch besteht die Gefahr, dass Millionen Menschen von der Polizei oder anderen Behörden ungerechtfertigter Weise als Gefährder oder Straftäter behandelt werden."
Laut Weichert will die Polizei die Kennzeichnung umsetzen, allerdings erst im Zuge des Datenhauses Polizei 2020, das bislang noch nicht etabliert sei. Es soll den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Polizeibehörde vereinheitlichen, mit zentraler Datenhaltung beim Bundeskriminalamt. Der Award gehe an das BKA, weil es die Verantwortung für viele Systeme habe, bei denen die Kennzeichnungspflicht nicht umgesetzt ist.
Klarna
Wer im Internet shoppt, gerät früher oder später an Klarna, ein Unternehmen, das vor allem als Zahlungsdienstleister bekannt ist. Nun wurde es mit dem Preis in der Kategorie "Verbraucherschutz" bedacht. Wie der Künstler und Gründungsvorstand von Digitalcourage padeluun erklärt, bündelt Klarna "intransparent Daten und Macht als Shopping-Service, Zahlungsdienstleister, Preisvergleichsportal, persönlicher Finanzmanager, Bonitätskontrolleur und Bank." Neben der Sammlung von Daten gehört es laut padeluun unter anderem zu den Praktiken des Unternehmens, unauffällige Mahnungen zu versenden, um Mahngebühren zu kassieren. Sein Fazit: So "smooth" (Englisch für "geschmeidig"), wie Klarna sich und seine Dienste bewirbt, sind sie längst nicht. Vielmehr seien die Praktiken "gefährlich".
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Irische Datenschutzbehörde
Die irische Aufsichtsbehörde für den Datenschutz erhält den Preis für das Lebenswerk für "ihre dauerhafte Sabotage von Bemühungen, europäisches Datenschutzrecht durchzusetzen." Unter der Obhut der Behörde habe sich Irland nicht nur in steuerlicher Hinsicht sondern auch in Sachen Datenschutz "zur Oase für Geschäftsmodelle des Überwachungskapitalismus von Facebook, Google, Apple, Microsoft, Oracle und Salesforce entwickelt", heißt es in der Begründung. Beschwerdeführern werde mit hohen Kosten gedroht und Fälle würden schlicht liegengelassen und nicht bearbeitet, erklärt Laudatorin Rena Tangens aus dem Vorstand von Digitalcourage.
Das sagen die Preisträger
Die Redaktion hat die Preisträger mit der Kritik konfrontiert. Das Bundeskriminalamt reagiert in seiner Antwort mit Unverständnis. "Die Polizeien des Bundes und der Länder verarbeiten personenbezogene Daten auf Grundlage der geltenden Gesetze und nach europarechtlichen Vorgaben", heißt es. Dazu gehöre auch die vollständige Kennzeichnung der erhobenen personenbezogenen Daten im polizeilichen Informationssystem nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Die Jury-Begründung könne man nicht nachvollziehen.
Von der Takeaway Express GmbH, Lieferandos Lieferservice, heißt es: "Wie andere Dienste betreiben auch wir eine GPS-basierte Logistik. Die Fahrer-App entspricht den geltenden Datenschutzbestimmungen, und die ermittelten Orte und Zeiten sind unerlässlich für einen ordnungsgemäßen Betrieb unseres Lieferservices. Zum Beispiel, um Fahrern Bestellungen zuzuweisen, ihnen die integrierte Navigation bereitzustellen." Den Vorwurf nehme man sehr ernst und weise ihn entschieden zurück.
Bundesdruckerei relativiert Blockchain-Einsatz
Der Zahlungsdienstleister Klarna antwortet: "Wir verpflichten uns im Einklang mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung dazu, die persönlichen Daten unserer Kunden zu schützen und jederzeit deutlich zu machen, welche Daten wir sammeln und wie wir sie verwenden. Wir stellen zudem sicher, dass die Daten nur für begrenzte Zwecke und nur für eine bestimmte Zeit verwendet und aufbewahrt werden. Auch können unsere Kunden jederzeit eine Kopie ihrer personenbezogenen Daten anfordern und ihre Daten berichtigen und löschen lassen." Dazu wird in der Antwort unter anderem auf die Datenschutzerklärung des Unternehmens verlinkt.
Und hinsichtlich des digitalen Schulzeugnisses verweist ein Sprecher der Bundesdruckerei auf den noch laufenden Testbetrieb. "Ob und wie die Blockchain-Technologie in der dauerhaften Architektur des digitalen Schulzeugnisses eingesetzt wird, soll in den folgenden Projektphasen entschieden werden."