Meinung

Chip-Autonomie in Europa ist Illusion

Aus der Abhängigkeit fremder Chiplieferanten wird Europa wohl nie herauskommen. Doch das muss kein Problem sein, meint Stefan Winter.

Ein Mitarbeiter der Nexperia Germany GmbH hält ein Zwischenprodukt der Halbleiterproduktion, einen sogenannten Wafer, mit einer Pinzette fest. | © David Hammersen/dpa

Stefan Winter
22.10.2025 | 22.10.2025, 20:51

Die Herstellung von Halbleitern gehört zu den aufwendigsten und kompliziertesten Produktionsketten der Industrie, und deshalb sind zwei Dinge stets sicher: Irgendwann wird es irgendwo Probleme geben. Und alle werden überrascht sein.

So geschieht es jetzt mit Nexperia, einem Chip-Produzenten, der einst zum niederländischen Philips-Konzern gehörte und an die chinesische Wingtech-Gruppe verkauft wurde. Wegen des Hightech-Unternehmens vor der Haustür geriet die niederländische Regierung zwischen die Fronten des US-chinesischen Technologiekonflikts und handelte drastisch: Der Staat hat die Kontrolle über Nexperia übernommen, um Versorgung und Sicherheit der Industrie zu garantieren. Der Erfolg ist mäßig, denn Nexperia warnt trotzdem vor einem Lieferstopp. Kunden in der Autoindustrie richten sich auf Stillstand und Kurzarbeit ein.

Erinnerungen an die Pandemie werden wach, als Fabrikschließungen in Asien und Chaos im Welthandel zu Chipmangel führten. Davon aufgeschreckt, machte Europa große Pläne zum Ausbau seiner eigenen Halbleiterproduktion, aus denen bisher aber wenig geworden ist.

Newsletter
Wirtschaft
Wöchentlich die neuesten Wirtschaftsthemen und Entwicklungen aus OWL.

Lesen Sie auch: Halbleitermangel bringt Industrie und Regierung in Zugzwang

Das ist kein Wunder, denn so richtig es ist, diese Schlüsseltechnologie in Europa zu stärken: Echte Autonomie in der Chipversorgung ist Illusion. Sie scheitert an Rohstoffen, Know-how, gigantischem Investitions- und Ressourcenbedarf sowie der enormen Vielfalt der Anwendungen und benötigten Technologien. Wer das komplett für einen Kontinent abbilden will, braucht Jahrzehnte und gibt Unsummen aus. Rendite ist nicht zu erwarten, weil das Ergebnis ineffizient wäre.

Abhängigkeit bleibt

So ist die Chipfertigung das Paradebeispiel für eine vernetzte Weltwirtschaft und ihre Abhängigkeiten. Die kann man verringern und Risiken besser kontrollieren. Im Fall Nexperia etwa stellt sich an mehreren Stellen die Frage, ob die niederländische Regierung klug agiert hat. Und ob die Autozulieferer nach den Corona-Erfahrungen tatsächlich robuster aufgestellt sind, werden die nächsten Tage zeigen. Aber völlig beseitigen kann man die Abhängigkeiten nicht.

Auch interessant: Automobilzulieferer Gestamp droht erneut massiver Stellenabbau in Bielefeld

Wer das nur reflexhaft beklagt, vergisst die gute Seite: Es ist im Moment ein stabilisierender Faktor in der Weltpolitik, dass China und der Westen technologisch aufeinander angewiesen sind – für Produktionstechnik auf der einen und Rohstoffe auf der anderen Seite. Bräuchten sie einander nicht, wäre die Welt ein noch gefährlicherer Ort.

Abhängigkeit gefährdet nicht die Sicherheit, solange sie gegenseitig ist. Hier allerdings fängt das Problem der Europäer an: Unter den drei größten Wirtschaftsmächten der Welt haben sie den anderen im Moment am wenigsten zu bieten. Das liegt auch daran, dass man hier gern mit großer Geste Aufholjagden zu unerreichbaren Zielen inszeniert – statt sich auf das zu konzentrieren, was Vorsprung verspricht.

Kriselnde Autobranche: So trifft es ZF in der Dümmer-Region