
Friedrich Merz sorgt sich, wie er sagt, schon seit Langem, dass hitzige und mit Falschinformationen aufgeladene Diskussionen der Demokratie schaden. Zuletzt wurde dem Kanzler selbst massiv Unrecht getan, als er sich in einer Regierungsbefragung für die Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin aussprach. Die AfD machte daraus, mit kampagnenartiger Unterstützung ihrer Anhänger auch in Medien, Merz sei wie die Juristin selbst „faktisch für Abtreibung bis zur Geburt“. Das ist zwar komplett absurd und gelogen, aber es verfing. Die Stimmung in der Unionsfraktion kippte, ihr Chef, Jens Spahn, bekam das nicht mehr in den Griff, die Wahl wurde trotz vorheriger Zusage abgesetzt.
Alle, so bittet Merz nun, auch die Medien, sollten ruhig und sachlich bleiben. Wie recht er hat. Das sollten sich wirklich alle zu Herzen nehmen. Auch Unionsabgeordnete, die anders als etwa Erzbischof Herwig Gössl Falschinformationen im Fall Brosius-Gersdorf nicht bedauern. Sie sollten dringend erkennen, wie die AfD versucht, die von Merz garantierte Brandmauer einzureißen. Sonst bleibt die gescheiterte Richterwahl nicht die einzige Krise dieser Art in der Koalition. Wie ärgerlich es für sie ist, dass dieser Vorgang die Bilanz der Anfangsregierungszeit trübt, zeigt der große Rest der ersten Sommer-Pressekonferenz des neuen Bundeskanzlers.
Es gibt so viele andere wichtige Themen, allen voran die Ankurbelung der deutschen Wirtschaft oder die Sicherheit in Europa, dass sich die Koalition nicht durch rechtsradikale Störmanöver verunsichern lassen darf. Vieles hat Schwarz-Rot in den ersten knapp elf Wochen auf den Weg gebracht.
Merz und Klingbeil stehen zusammen
Dazu gehört das verschärfte Vorgehen in der Migrationspolitik, das die SPD ihrer Klientel noch erklären muss. Oder die massive Schuldenaufnahme, wegen der die Union bei eigenen Anhängern unter Druck steht. Bei der Stromsteuersenkung haben sie zusammengestanden, als Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) die Bürgerinnen und Bürgern plötzlich davon ausnahmen, und es Kritik an diesem Wortbruch hagelte.
Die Farce um Frauke Brosius-Gersdorf: Ein Warnsignal für unsere Demokratie
Merz hat im Ausland Führung gezeigt. Er hat geschickt einen Draht zum sprunghaften US-Präsidenten gesponnen, um ihn zumindest für den Moment ein Stück weit vom Kriegstreiber Wladimir Putin wegzuholen. Er hat der von Russland überfallenen Ukraine überlebenswichtige Militärhilfe verschafft und der deutschen Bevölkerung selbstbewusst erklärt, dass wir für Kiew zahlen müssen, weil es auch um unsere Frieden und unsere Freiheit geht. Er hat einen neuen Umgang mit Polen, Frankreich, Großbritannien gefunden und nun die EU für zu schwerfällige Verfahren kritisiert. Zugleich stärkt er sie mit der Bereitschaft, EU-Steuern oder -Abgaben zu erwägen.
Aber so sehr Merz außenpolitisch reüssiert haben mag und dies auch innenpolitisch auf seine Habenseite kommt - eines hat die gescheiterte Richterwahl offenbart: seine Führungsschwäche in der eigenen Partei, der eigenen Fraktion und damit in der Koalition.
Man weiß zwar nicht, wie die Richterwahl noch ausgehen wird, aber der Juristin gegenüber hat sich der Kanzler nun souverän geäußert. Polemisch und beleidigend sei sie behandelt worden, stellt er klar. Ganz sachlich. Ein solcher Ton wird für seine Regierungszeit entscheidend sein. Die großen Herausforderungen wie die Reform der Schuldenbremse, der Pflegeversicherung und der Rentenversicherung kommen erst noch. Vielleicht sollte der CDU-Chef vorsichtshalber doch mehr Fraktionsdisziplin verlangen. Sonst macht da noch jeder, was er will.