Meinung

Die SPD in der Vertrauenskrise: Wer führen will, muss zuhören

Der Parteitag als Warnsignal: Was die Partei jetzt braucht, sind klare Werte, offene Debatten und endlich wieder Nähe zu den Menschen, kommentiert Stefan Boscher.

Die SPD ist Junior-Partner in der Regierung – und steckt derzeit tief in einer Vertrauenskrise. | © Hannes P. Albert/dpa

Stefan Boscher
29.06.2025 | 29.06.2025, 17:00

Die SPD steckt tief in einer Vertrauenskrise – nicht nur bei den Wählerinnen und Wählern, sondern auch in den eigenen Reihen. Das jüngste Parteitagsvotum für den Vorsitzenden Lars Klingbeil, der mit lediglich 64,9 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, ist ein deutliches Warnsignal. Es steht sinnbildlich für den innerparteilichen Unmut, der sich längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand und Ortsvereinen äußert, sondern offen zutage tritt.

Viele Mitglieder fühlen sich von der Parteiführung nicht ernst genommen und kritisieren eine entkernte Programmatik. Ihnen fehlt Beteiligung und sie haben das Gefühl, bloßes Anhängsel einer Regierungskoalition zu sein. Statt Debatte, Diskurs und demokratischer Breite erleben viele Mitglieder und Engagierte an der Basis eine Parteiführung, die zentrale Entscheidungen – von der Migrationspolitik bis zur Haushaltsführung – ohne spürbare innerparteiliche Rückkopplung trifft.

Diese Distanz zwischen Parteispitze und Basis hat über Jahre hinweg zu Ernüchterung geführt. Sie betrifft nicht nur den Glauben an einzelne Personen, sondern den Kern sozialdemokratischer Identität: die Vorstellung, dass Politik nicht nur gestaltet, sondern gemeinsam getragen wird. Eine Partei, die Teilhabe predigt, aber intern zu wenig praktiziert, verliert an Glaubwürdigkeit – und damit auch das Vertrauen derer, die sie einst trugen.

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Das ist aber nur eine Seite der Medaille: Aus demokratischer Sicht ist Streit wichtig - zu viel Streit jedoch strafen Wähler ab. Klare Führung ist ein Pluspunkt. Ebenso wie die Fokussierung auf Personen und zwei, drei Kernthemen.

SPD zeigt in Schlüsselthemen keine klare Haltung

Eine parteiinterne Kommission hat die Lage schonungslos analysiert: Die SPD wirkt „oft getrieben“, ohne eigene gesellschaftliche Vision, punktet nur per Spiegelstriche – punktuellen Angeboten – und zeigt in Schlüsselthemen wie Migration keine klare Haltung. Die Mahnung ist deutlich: Die Partei muss wieder zu einer Bewegungspartei werden, die Menschen begeistert, statt nur zu verwalten.

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Und wer soll überhaupt begeistert werden? Die Arbeiter als klassisches Wählerklientel der SPD? Oder ergibt sich aktuell nicht vielmehr die Chance, in die Mitte zu rücken, weil die CDU nach rechts driftet? Vor allem muss es die SPD schaffen, dass die Menschen sie in der Regierung nicht als Juniorpartner wahrnehmen, sondern auf Augenhöhe mit der CDU. Beim letzten Mal wurden die Sozialdemokraten abgestraft. Der FDP ging es als „Partner“ der Ampel-Koalition nicht anders. Aus diesen Erfahrungen muss die Partei die richtigen Schlüsse ziehen.

Die Delegierten halten bei einer Abstimmung beim SPD-Bundesparteitag die Stimmkarten hoch. - © Kay Nietfeld/dpa
Die Delegierten halten bei einer Abstimmung beim SPD-Bundesparteitag die Stimmkarten hoch. | © Kay Nietfeld/dpa

Vertrauen an der SPD-Basis braucht sichtbare Politik

Inhaltlich muss ein klarer Kurs erkennbar sein: Auf Migration, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung braucht es nicht nur Positionen, sondern verständliche Erzählungen. Und dann ist da auch noch das große Thema Verteidigung. Wie militärisch darf eine sozialdemokratische Partei denken? Es bedarf einer Vision: Wie konkret stellt sich die SPD ein Deutschland vor, in dem Teilhabe, Nachhaltigkeit und Fairness jenseits von Schlagworten das tägliche Leben erleichtern?

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Personell steht die neue Doppelspitze um Lars Klingbeil und Bärbel Bas nun vor der Zerreißprobe zwischen Regierungsverantwortung und Parteiausrichtung. Vertrauen an der Basis werden sie nicht per Votum zurückgewinnen, sondern durch sichtbare Politik, konkrete Erfolge – etwa beim Mindestlohn, Bildungsaufstieg, klimafreundlicher Mobilität – und durch transparente Kommunikation.

Will die SPD wieder in das Vertrauen der Menschen zurückfinden, braucht sie mehr als ein paar Diagnosen – sie braucht eine Bewegung, einen verlässlichen Wertekompass und gelebte Basisdemokratie. Die SPD hat alle Werkzeuge in der Hand – jetzt muss sie zeigen, dass sie noch weiß, wie man Zukunft baut.