Mit 84,6 Prozent

SPD sagt Ja zu Koalition – Klingbeil soll Vizekanzler und Finanzminister werden

CDU, CSU und SPD nehmen die letzte Hürde vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrags – trotz Widerstands von Jusos und SPD-Linken. Nächster Halt: Kanzlerwahl.

Am kommenden Dienstag ist die Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler geplant. Lars Klingbeil (SPD) soll Vizekanzler werden. | © Kay Nietfeld/dpa

30.04.2025 | 30.04.2025, 13:26

Berlin (dpa). Nach CSU und CDU haben auch die Mitglieder der SPD mit großer Mehrheit dem Vertrag über die Bildung einer schwarz-roten Regierungskoalition zugestimmt. 84,6 Prozent der Mitglieder votierten dafür, wie die Deutsche Presse-Agentur aus SPD-Kreisen erfuhr. Damit steht einer Unterzeichnung des Koalitionsvertrags am kommenden Montag nichts mehr im Weg. Einen Tag später ist die Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler geplant. Anschließend werden Merz und seine Ministerinnen und Minister im Bundestag vereidigt.

Seit dem 15. April konnten die 358.000 SPD-Mitglieder online über das 144 Seiten starke Vertragswerk mit dem Titel "Verantwortung für Deutschland" abstimmen. Um 23.59 Uhr in der Nacht zu Mittwoch schloss das digitale Wahllokal. Rund 200.000 Menschen und damit 56 Prozent der Mitglieder beteiligten sich an der Abstimmung. Damit wurde die notwendige Mindestbeteiligung von 20 Prozent deutlich übertroffen. Der CSU-Vorstand und ein kleiner Parteitag der CDU hatten bereits zuvor zugestimmt.

In der SPD gibt es vor allem Kritik an den im Koalitionsvertrag angelegten Verschärfungen der Migrations- und Sozialpolitik. Die Führung der Jusos hatte das Vertragswerk deswegen abgelehnt und Nachverhandlungen gefordert. Die einzigen Alternativen zu Schwarz-Rot wären eine Koalition zwischen Union und AfD, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen gewesen.

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Die SPD werde aber auch die mehr als 30.000 Nein-Stimmen nicht einfach

beiseitelegen, versichert SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. - © Kay Nietfeld/dpa
Die SPD werde aber auch die mehr als 30.000 Nein-Stimmen nicht einfach
beiseitelegen, versichert SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. | © Kay Nietfeld/dpa

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat sich erleichtert und zufrieden mit dem Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums zum schwarz-roten Koalitionsvertrag gezeigt. „Damit bekommt die SPD eine große Rückendeckung von der Basis für das Eintreten in die Bundesregierung“, sagte er in Berlin. Die SPD werde aber auch die mehr als 30.000 Nein-Stimmen nicht einfachbeiseitelegen, versicherte Miersch. „Ja, es gibt eine Skepsis“, räumte er ein. Nun müsse durch gutes Regierungshandeln bewiesen werden, dass diese unnötig sei. Auch diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, würden bald sehen: „Es hat sich gelohnt, in diese Regierung einzutreten und für die sozialdemokratischen Grundwerte zu streiten“, sagte Miersch.

Das sagen die Jusos zu dem Ergebnis

Das Ja der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag mit der Union wird von den Jusos akzeptiert, obwohl sie für Ablehnung geworben hatten. „Die Mitglieder haben abgestimmt und sich für diesen Koalitionsvertrag in einer demokratisch enorm schwierigen Ausgangslage entschieden. Auch wenn wir für ein anderes Ergebnis geworben haben, akzeptieren wir den Ausgang selbstverständlich“, sagte der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer dieser Redaktion.

Es hätten aber „mehr als die Juso-Mitglieder ihre Bedenken gegenüber diesem Koalitionsvertrag“ zum Ausdruck gebracht. Das zeige, dass die SPD nun in der Koalition dringend das Soziale nach vorne stellen müsse. „Das war eine Abstimmung über einen Koalitionsvertrag, nicht über die Ausrichtung der Partei“, betonte Türmer. Die Aufgabe der programmatischen Neuaufstellung stelle sich ab jetzt. „Wir müssen wieder Partei der Arbeit werden und wir werden uns mit ganzer Energie in diesen Prozess einbringen“, kündigte der 29-Jährige an.

Lesen Sie auch: Letzte Runde im Scholz-Kabinett

SPD stellt sieben Ministerinnen und Minister

Am kommenden Montag will die SPD nun ihre sieben Ministerinnen und Minister für die neue Regierung vorstellen. Als sicher gilt, dass Boris Pistorius Verteidigungsminister bleibt. Wahrscheinlich ist zudem, dass Parteichef Lars Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister wird. Die Wahl von Merz zum Kanzler am Dienstag gilt als sicher, auch wenn SPD und Union nur zwölf Stimmen mehr als die notwendige sogenannte Kanzlermehrheit haben. 316 von 630 Abgeordneten müssen für den CDU-Chef votieren.

Die SPD hatte die Mitglieder auch 2013 und 2018 über die Koalitionsverträge mit der Union abstimmen lassen. Beide Male gab es große Zustimmung. Obwohl es 2018 eine vom damaligen Juso-Chef Kevin Kühnert organisierte, große "NoGroKo"-Kampagne gegen Schwarz-Rot gab, votierten 66 Prozent der Mitglieder mit Ja. 2013 hatte die Zustimmung sogar bei 76 Prozent gelegen.

Klingbeil soll Vizekanzler werden

SPD-Chef Lars Klingbeil soll Vizekanzler in der neuen Bundesregierung werden. Das Parteipräsidium habe sich einstimmig dafür ausgesprochen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Parteikreisen. Damit wird Klingbeil Stellvertreter des wohl künftigen Bundeskanzlers Friedrich Merz (Union) und zementiert seine Macht.

Klingbeil übernimmt nach Informationen der dpa das Finanzministerium, das als mächtigstes Ressort gilt. Damit hat er nicht nur die Hoheit über die Aufstellung des Haushalts, sondern wird auch außenpolitisch Akzente setzen können – denn in dem Bereich liegt Klingbeils eigentliche politische Leidenschaft.

Klingbeil ist seit 2021 Parteivorsitzender und übernahm nach dem Debakel seiner Partei bei der Bundestagswahl auch das Amt des Fraktionschefs. Der 47 Jahre alte Niedersachse sicherte sich damit trotz der von ihm mitverantworteten Niederlage eine Machtposition.

Er führte die SPD in die Koalitionsverhandlungen mit der Union, verhandelte teilweise unter vier Augen mit dem voraussichtlich künftigen Kanzler Friedrich Merz – ohne Co-Parteichefin Saskia Esken.

Was wird aus Saskia Esken?

Während Lars Klingbeil nach der Macht greift, könnte die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken leer ausgehen. - © Bernd von Jutrczenka/dpa
Während Lars Klingbeil nach der Macht greift, könnte die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken leer ausgehen. | © Bernd von Jutrczenka/dpa

Als Vizekanzler hat Klingbeil nun den Auftrag, die weiteren sechs Ministerinnen und Minister auszuwählen. Erst auf Nachfrage erklärte Generalsekretär Miersch, der Parteichef werde das in Absprache mit Esken, ihm selbst sowie den SPD-Ministerpräsidentinnen und-Ministerpräsidenten tun.

Die SPD will ihr Regierungsteam am kommenden Montag präsentieren – und sich dabei möglicherweise auch zum Fraktionsvorsitz und zur künftigen Parteispitze äußern.

Mit Spannung wird vor allem erwartet, was aus Esken wird. Darf sie neben Klingbeil ins Kabinett einziehen und zum Beispiel das Entwicklungsministerium übernehmen? Tritt sie auf dem Parteitag im Juni erneut für den Parteivorsitz an?

In der SPD-Basis stößt jedenfalls vielen auf, dass Esken leer ausgehen könnte, während Klingbeil so kalt nach der Macht greift – wo doch beide gemeinsam und zusammen mit Scholz die Wahlniederlage zu verantworten haben. Besonders SPD-Frauen und Parteilinke fordern deshalb eine herausgehobene Position auch für Esken.