Respekt ist eine Tugend, die in der Politik verloren geht. Gesagt hat das vor wenigen Tagen die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff. In einem Gespräch mit dieser Redaktion rief sie die Parteien in Deutschland dazu auf, sich zu mäßigen. Einige hätten sich AfD-Motive zu eigen gemacht, gar zum Putsch aufgerufen. Der als Protest getarnte Aufruhr eines gewaltbereiten Mobs im nordfriesischen Schlüttsiel zeugt nun auch von einer gesellschaftlichen Verrohung.
Es zeigt sich, welche Enthemmung auf Worte folgen kann. Unter dem Deckmantel einer Demonstration hat der Pöbel den Vizekanzler Robert Habeck an einem Fähranleger daran gehindert, an Land zu gehen. Habeck war gerade aus dem Urlaub von der Hallig Hooge zurückgekehrt. Fast wäre die Fähre von den aufgebrachten Leuten gestürmt worden.
Bauernpräsident legitimiert Gewalt
Der Protest der Landwirte gegen die Kürzungspläne der Bundesregierung wird offen erkennbar auch von Rechtsextremen und „Querdenkern“ gekapert. Es wurde ihnen nicht allzu schwer gemacht. Bauernpräsident Joachim Rukwied hatte einiges getan, um die Stimmung aufzuheizen. Vom Pöbel grenzte er sich dann doch ab.
Bayerns Bauernpräsident Günther Felßner sagte, er wolle nicht, dass Politiker persönlich angegangen werden. Vorausgesetzt, sie seien dialogbereit – dann ließen sich solch unschöne Bilder vermeiden. Mal davon abgesehen, dass Habeck ein Gespräch angeboten hatte, als die Lage entglitt, legitimiert Felßner de facto Gewalt gegen Menschen in politischer Verantwortung.
Menschen mit Umsturzfantasien
In Westfalen-Lippe ist der Kompass noch richtig eingestellt. „Wir streiten um die Sache“, erklärte der regionale Landwirtschaftsverband. Man distanziere sich „aufs Schärfste von Personen, die Umsturzfantasien propagieren“.
Die Saat zur Eskalation von Schlüttsiel wurde indes auch von Mandatsträgern gelegt. Vom FDP-Politiker Frank Schäffler aus Ostwestfalen-Lippe, der angesichts des Heizungsgesetzes von einer „Atombombe für unser Land“ sprach. Oder von Bayerns Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger, der dazu aufrief, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse.
Oder vom CDU-Ostbeauftragten Sepp Müller, der in einem Gastbeitrag für eine rechtspopulistische Plattform Menschen „feinfühlig“ nennt, die die Ampelpolitik mit der SED-Diktatur vergleichen. Es wird nun Zeit, diesen Worten härter entgegenzutreten.