Mit dem Schnupfen oder Magen-Darm-Problematik auf dem Sofa bleiben und sich per Videochat vom Arzt krankschreiben lassen? Klingt nach einer guten Idee, die für Entspannung in den Wartezimmern sorgt. Aber ist die digitale Sprechstunde, die immer häufiger gefordert und teilweise schon angeboten wird, wirklich empfehlenswert?
Erst heiß, dann kalt. Dazu Schüttelfrost. Das Fieberthermometer zeigt eine erhöhte Temperatur an. Also ab aufs Sofa und in die Sprechstunde per Videochat? Nein danke! Mir ist das zu unpersönlich.
Klar, der Arzt auf der anderen Seite der Datenverbindung wird das Fieber diagnostizieren. Keine Überraschung. Aber woher will er wissen, ob meine erhöhte Temperatur an entzündeten Mandeln oder an einer entzündeten Wunde am Bein liegt? Die Vorstellung, dass ich vor einem schwarzen Webcam-Loch laut „Aaaah" sage und die Bildpixel sich dann auf dem Bildschirm des Doktors zu einer eitrigen Mandelentzündung formieren, ist für mich kaum vorstellbar. Und nicht auszudenken, wenn dann doch nicht die Mandeln, sondern eine entzündete Wunde am Bein daran schuld ist, dass ich mich malade fühle. Schließlich kann ich schlecht jedes Körperteil bei der digitalen Behandlung vor die Webcam halten, damit es im Arzt-Sichtfeld ist.
Deshalb setze ich weiter auf den Besuch eines Arztes meines Vertrauens „zum Anfassen", ganz analog und privat unter vier Augen. Nur so fühle ich mich sicher und muss nicht fürchten, dass meine Daten auf dem digitalen Wege abgefangen werden.
Noch ein Vorteil hat die Behandlung live und in Farbe: Mein Körper wird in seiner Ganzheit wahrgenommen. Vielleicht bemerkt der Arzt zusätzlich zum Fieber noch eine Hauterkrankung, die gleich mitbehandelt werden kann. Ohne dass ich ein wackeliges Handyfoto davon quer durchs Land schicken muss. Auch eine Urinprobe kann ich nicht virtuell abgeben. Und bei einer gastroenterologischen Untersuchung des Magens und des Darms hilft mir keine App.
Irgendwann endet der Digitalisierungswahn darin, dass wir gar nicht mehr das Haus verlassen. Wie die japanischen Hikikomori, die sich für ein Leben in Isolation entscheiden und dieses eingeschlossen in ihrer Wohnung verbringen. Ein schrecklicher Gedanke!