Bielefelder Cartoonist Ralph Ruthe: "Ich gehe meinen Weg ohne Angst"

Herr Ruthe, wir hangeln uns von Krise zu Krise. Sind das nun gute oder schlechte Zeiten für einen Cartoonisten wie Sie? RALPH RUTHE: Für mich gilt: Ich brauche keine Krisen, um witzig zu sein. Was ich aber für meine Bildwitze benötige, ist ein Konflikt. Nur so kommt der Witz in Gang. Aber dafür ist es egal, ob die Zeiten gut oder schlecht sind. Aber eins gilt für meinen Humor: Ich weiche den großen, schweren Themen nicht aus, die uns derzeit bewegen. Ich versuche sie allerdings so klein wie womöglich herunterzubrechen, um sie an uns heranzuholen und in nur ein Bild zu packen, das man in sechs Sekunden erfassen kann. Wie muss ich mir das vorstellen? Angenommen, ich würde Putins Krieg gegen die Welt in einem Bild darstellen wollen. Dann würde ich womöglich drei Bäume zeichnen, die auf einer Wiese beieinanderstehen. Dabei legt der eine gerade die Säge am Nachbarbaum an, während der dritte sagt: Lasst uns doch mal diskutieren. Damit wäre alles drin in dem Bild inklusive Augenzwinkern trotz des harten Themas. Seit 20 Jahren zeichnen Sie Cartoons für Ihre Reihe &bdquo;Shit Happens“. Sind Sie in Zeiten der Wokeness vorsichtiger geworden? Es war nie mein Anspruch, frech zu sein, Grenzen zu überschreiten oder gar Menschen zu beleidigen oder zu verletzten. Aber ich kann es auch nicht verhindern, denn sobald ich mich als Cartoonist in die Öffentlichkeit begebe, zeichnerisch und textlich äußere, muss ich damit rechnen, dass ich damit immer auch irgendjemanden treffe. Aber es ist nicht mein Ziel, dass das passiert, sondern mein Ziel ist es, die Menschen zum Lachen zu bringen. Aber eines stimmt auch, ich habe in den vergangenen 20 Jahren durchaus einige Witze gemacht, die ich heute so nicht mehr machen würde, weil sie auf Kosten von Menschen gingen, die es eh schon schwer haben. Da habe ich dazugelernt. Sie sind von Anfang an im Netz unterwegs gewesen, haben dort Ihre Cartoons verbreitet und haben heute mehr als drei Millionen Follower auf allen Social-Media-Kanälen. Wie gehen Sie mit wütenden Reaktionen im Netz um? Wer austeilt wie ich, der muss auch einstecken können. Ein Shitstorm im Netz gehört einfach dazu, deshalb habe ich auch keine Angst davor. Der kommt und geht und als Person in der Öffentlichkeit muss ich nun mal damit leben, dass es auch durchaus heftige öffentliche Gegenreaktionen gibt. Aber von konstruktiver Kritik lasse ich mich durchaus überzeugen. Ansonsten gehe ich weiter meinen Weg ohne Angst. Gibt es Tabus für Sie bei der Arbeit? Ich zeichne und texte nur über das, was ich auch kenne, denn nur dazu kann ich substanziell etwas beitragen. Deshalb kommt Gott in meinen Cartoons vor, aber Allah nicht. Nochmals zurück zum Netz. Wie kam es, dass Sie sofort das noch junge Internet für sich entdeckt haben? Meine erste Website hatte ich bereits 1999, weil ich früh begriffen hatte, dass ich mich dort als ganze Person ohne das Zwischenschalten einer Redaktion oder eines Verlages mit meinem Werk darstellen kann. Das hat mich sehr gereizt, und so habe ich das systematisch ausgebaut und das Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung, die sie ja meist im Netz suchen, bedient. Das Netz hat Ralph Ruthe also groß gemacht. Schon mal eine Dankeskerze angezündet? Auf jeden Fall. Aber natürlich stimmt auch das: Wir haben dem Internet die schönsten, aber auch die schlimmsten Dinge zu verdanken. Aber für uns Künstlerinnen und Künstler ist es einfach eine große Chance, sodass es bei aller berechtigten Kritik für mich richtig bleibt, auch in den durchaus umstrittenen Social-Media-Kanälen aktiv zu sein. Auch bei Elon Musks umstrittener Plattform Twitter? Ja, denn wir können diese Kanäle doch nicht denen überlassen, die dort nur Müll verbreiten. Und ich nutze meine Reichweite im Netz ja auch dafür, Informationen zu teilen, die für diese Welt von Relevanz sind. Das geht so weit bei mir, dass ich meine Accounts immer mal wieder auch anderen überlasse, damit sie sie für ihre Botschaften nutzen können. Dass sich Ihre Fans an politischen Botschaften und Ihrem Engagement zum Beispiel für den Klimaschutz stören könnten, ist Ihnen egal? Ja, ich will mich einmischen, aber nicht als Politiker, sondern aus purem Egoismus. Denn ich möchte, dass ich selbst, aber auch meine Kinder in Zukunft noch auf diesem Planeten gut leben können. So einfach ist das. Deshalb liegen mir die Klimathemen auch besonders am Herzen, wie auch der Vegetarismus, der damit eng verbunden ist. Als &bdquo;liebenswert-böse“ haben Sie Ihren Ansatz als Cartoonist einmal umschrieben. Gilt das noch? Ja, denn ich mag diese beiden Pole meines Arbeitens und mache so weiter, denn so lassen sich auch ernstere Themen gut rüberbringen. 20 Jahre &bdquo;Shit Happens“. Wie geht’s weiter? Ich mache einfach weiter, obwohl ich das Gefühl habe, dass wir vor deutlich schwierigeren Zeiten stehen – mit Klimakrise, Inflation, Krieg und alledem. Aber noch habe ich Lust, als Einbildwitzezeichner weiterzumachen, und ich habe keine Sorge, dass mir die Ideen ausgehen könnten. Kommt eigentlich Ihr großer Animationsfilm noch, den Sie schon vor der Pandemie geplant haben? Die Arbeit daran begann Ende 2019, musste wegen Covid aber zwei Jahre ruhen. Vorrangig geht es nun darum, die Finanzierung zu sichern, denn Animationsfilme sind unglaublich teuer. Wir wollen einen 90- bis 100-minütigen guten Familienfilm machen, der inhaltliche Relevanz hat und viel Spaß macht. Und der wann in die Kinos kommen soll? Wir hoffen, dass es bis 2025 klappt. Aber jetzt muss – wie gesagt – erst mal die Finanzierung stehen. Sie haben in Ihren üppigen Geburtstagsband eine Karikatur aufgenommen, bei der ein Eisbär als TV-Meteorologe vor der Wetterkarte steht, sich eine Pistole an den Kopf hält und sagt: &bdquo;Und hier die weiteren Aussichten“. Sind Sie so pessimistisch wie er? Der Cartoon ist schon zwölf Jahre alt, aber er ist leider nach wie vor relevant. Wir sind noch nicht viel weiter. Aber ich bin dennoch kein Pessimist, sondern bleibe optimistisch.

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