
Bielefeld.Das Jahr 1912, in dem die Titanic sank, und die künstlerische Avantgarde weitere Aufschwünge nahm, ist auch für den 1891 in Bielefeld geborenen Maler Hermann Stenner ein einschneidendes Jahr.
Anhand von 22 Werken, darunter 21 Zeichnungen und ein verschollen geglaubtes Ölbild, können Besucher der Ausstellung „Hermann Stenner – Stichjahr 2012" im Kunstforum Hermann Stenner jetzt nachvollziehen, welche Bedeutung diese „Epochenschwelle" für den jungen Mann hatte, der nur zwei Jahre später als Soldat an der Ostfront fallen wird.
In Köln sieht er die Werke von Übervater van Gogh im Original
Es sind drei Reisen nach Köln, Monschau in der Eifel und nach Paris, die den aufstrebenden, ehrgeizigen jungen Maler prägen sollten, der seit Herbst 1911 in der Komponierklasse von Adolf Hölzel studiert und seit 1912 an der Stuttgarter Kunstakademie in einem Meisteratelier seine künstlerische Entwicklung vorantreibt.
In Köln besucht Stenner, der seit 1909 malt und einen zunehmend expressionistischen Malstil pflegt, die epochale Sonderbund-Ausstellung. In ihr sieht er zum ersten Mal die bahnbrechenden Werke des „Übervaters der Moderne" Vincent van Gogh, aber auch Arbeiten von Edvard Munch, Paul Gaugin, Paul Cézanne und Pablo Picasso im Original. Eine Schau, die ihn auf seinem Weg in eine immer stärkere malerische Abstraktion bestärkt haben dürfte, auch wenn der Vielschreiber, 220 Briefe von ihm sind überliefert, zu der Ausstellung schweigt.Ein verschollen geglaubtes Bild Monschaus ist nun wieder zu sehen
Eine zweite Reise führt ihn von Juli bis August nach Monschau. Von dem Eifelstädtchen und seiner kreisförmigen Grundstruktur ist er fasziniert. In wilden Zeichnungen ist diese Faszination in der Bielefelder Ausstellung zu sehen. Hier entsteht auch das als verschollen geglaubte und erst kürzlich nach einem Hauskauf wieder aufgetauchte expressive Gemälde „Häuser mit Telegrafenmast", das nun erstmalig gezeigt werden kann.
Angeregt wird er aber auch von Altarbildern in den Kirchen Monschaus, deren kompositionellen Aufbau er studiert. Einige Studien, die in der Schau zu sehen sind, zeigen, wie intensiv Stenner sich mit ihnen, aber auch mit christlichen Motiven in der Malerei seines Lehrers Hölzel auseinandergesetzt hat.Stenner ist überwältigt vom Tempo der Stadt Paris
Ende August 1912 reist Stenner dann für vier Wochen nach Paris und ist überwältigt von den vielfältigen neuen Eindrücken der Kunstmetropole mit ihrem Lebenstempo und den prachtvollen Boulevards. Seine Zeichnungen halten in kubistisch-kantigen Lineaturen Eindrücke aus Theatern und Varietés, aber auch aus dem Alltagsleben fest.
In zwei Selbstbildnissen setzt er sich als selbstbewusster Maler ins Szene und die besondere Ausstrahlung der Pariserinnen wird in seiner kolorierten Zeichnung „Die Frau auf dem Sofa" sichtbar.
Gegen Ende des so einschneidenden Jahres 1912 entstehen dann vermehrt kubistische Kompositionen. Stenner probiert sich an der Erschaffung autonomer Bildwirklichkeiten aus. Auch das zeigt diese kleine feine Ausstellung.
Zu sehen bis zum 17. Januar 2021. Weitere Infos: www.kunstforum-hermann-stenner.de.