Bielefeld. Seit 2017 spielt der im 27. Lebensjahr stehende Schauspieler Doga Gürer im Auftrag der Bühne für Menschenrechte Berlin „Die Asyl-Monologe/Asyl-Dialoge/NSU-Dialoge". Sich im schöngeistigen Elfenbeinturm zu verbarrikadieren, ist ihm augenscheinlich fremd. Seit der Spielzeit 2018/19 ist er festes Ensemblemitglied des Bielefelder Theaters. Die Premiere von „Demian" nach Hermann Hesse im Bielefelder Theater am Alten Markt gerät dank Gürer zu einer Sternstunde der Schauspielkunst.
Gürer verfügt über eine ausgezeichnete Sprechtechnik, seine Mimik spricht Bände, und akrobatisch ist er auch. Seine vielfältigen Begabungen stellt er Hermann Hesses Ich-Erzähler Emil Sinclair aus dem 1919 erschienenen Roman Demian zur Verfügung und zeichnet ein anrührendes Porträt eines zunächst zaudernd linkischen und immens verträumten jungen Mannes, der unter die demütigende Kontrolle eines Halbweltjugendlichen gerät.
Ob er den vermeintlich faszinierenden Ersten Weltkrieg überlebt, bleibt offen
Später lernt er Demian kennen, einer, der sich auf charismatische Weise als einsamer Wolf inszeniert, der die biblische Geschichte von Kain und Abel gegen den Strich bürstet und das Kainsmal des Brudermörders als Auszeichnung betrachtet. Roter Faden des Psychogramms einer Jugend ist der schwärmerische Suchgestus der Heranwachsenden, die Lust an der Verzweiflung und die Sehnsucht nach Entgrenzung. Sinclair ist hervorgegangen aus der heilen Welt des Spießbürgertums und wird von der dunklen Seite des Lebens magisch angezogen.
Am Anfang ist er adrett gekleidet, mit Weste, steifem Kragen, Hemdbrust und Kniebundhosen. In der Bielefelder Bühnenfassung reißt Sinclair sich im Laufe des Abends die Insignien biederer und mitunter verlogener Bürgerlichkeit vom Leib, steckt schließlich in einem weißen militärischen Schutzanzug. Ob er den vermeintlich faszinierenden Ersten Weltkrieg überlebt, bleibt offen.
„Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören"
Die Inszenierung von Michael Heicks ist spartanisch und präzis. Er lässt Sinclair als Maler agieren, der sich selber illustriert, um dann mittels kraftvoller Würfe mit wassergetränkten Schwämmen das Gezeichnete verachtungsvoll fast auszulöschen. Schließlich kreiert er das Chaos der Kriegsmaschinerie, das so viele in seinen Schlund gezogen hat, mit Farbspritzern im Stile von Jackson Pollock.
Videoproduktionen von Sascha Vredenburg konturierten Sinclairs Malkunst und führten sie über sich hinaus. Hermann Hesse: „Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören." Hesses Roman ist 100 Jahre nach seiner Veröffentlichung brandaktuell. Das haben Gürer, Heicks und Vredenburg verstanden und es eindringlich inszeniert auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Für Jugendliche besonders wertvoll.
Restkarten gibt es für den 18. September, Tel.: 05 21/55 54 44.