Bielefeld. Weniger ist mehr! Das gilt für den Auftritt von Singer-Songwriter Philipp Poisel am Montagabend vor 2.100 Zuschauern im Lokschuppen ganz besonders. Zum zehnjährigen Bühnenjubiläum tourt der mittlerweile 35-jährige zusammen mit seiner Band durch die Clubs des Landes, um den runden Geburtstag, in intimerer Atmosphäre, ausgiebig mit seinen Fans zu feiern.
Auf der letzten Arena-Tour, in der auch in der Seidenstickerhalle aufgetreten war, konnte Philipp Poisel insgesamt über 120.000 Zuschauer begeistern. Allein bei seinem Konzert in Bielefeld, im Frühjahr 2017, waren es mehr als 6.000. Damals: eine ausgeklügelte Bühnenshow, mit Tetris-Figuren, schwebender Ballerina und LED-Panels, die permanent umgebaut wurden, dazu Konfettiregen und viel Tamtam - all das gab es dieses Mal nicht, im Gegenteil.
Poisel ist immer noch der große Junge
Selbst Poisels Frisur war dieses Mal eine andere. „Die Leute aus dem eigenen Heimatort erkennen mich nicht. Aber lassts euch gesagt sein, es handelt sich um mich!", erklärte der große Junge, der Poisel immer noch ist, schon zu Beginn des Konzerts seine kinnlagen Haare.
Und wer sich auf vorangegangene, liebevoll ausgestaltete Bühnenbilder gefreut hatte, der musste auch hierbei feststellen, auf der „10 Jahre Clubtour 2018/2019" ist alles anders - und doch typisch Poisel. Jedes seiner Konzerte ist einzigartig, jede Tour kompromisslos. Und dieses Mal ist es die absolute Reduktion auf das Wesentliche.
Alles wirkt spontan und ungezwungen
Der Auftritt ist eine Zeitreise durch die drei Studio- und das Live-Album, mit der sich der Ludwigsburger eine breite, überwiegend weibliche Fangemeinde aufgebaut hat. Doch Poisel wäre nicht Poisel, wenn er nicht auch die Retrospektive aufbrechen und mit scheinbar zufälligen Interpretationen füttern würde, so dass alles spontan und ungezwungen wirkt.
Textsicher sind seine Zuschauer. Das beweisen sie zum Beispiel bei „Froh dabei zu sein", was Poisel nahezu komplett der Menge überlässt, oder auch in „Wie soll ein Mensch das ertragen". Doch an vielen Stellen verfremdet er einzelne Zeilen oder auch den kompletten Sound so, dass es dem Publikum schwerfällt, mitzusingen, was es doch eigentlich so gerne leidenschaftlich täte.
Die berühmte Stecknadel wäre im Saal zu hören
Überhaupt sind es die alten, leisen Töne, bei denen Poisel seine unverwechselbare Stimme und die Fähigkeit, die Menschen mit seiner Musik wirklich zu berühren, voll ausspielt. Nur seine Akustikgitarre und ein ganz einfaches Mikrofon genügen, damit es im Saal so still wird, dass die berühmte Stecknadel zu hören wäre.
Dazwischen wirken die kreischenden E-Gitarren und der Indie-Pop-Sound der schnelleren Nummern beinahe wie ein Störfaktor in der intimen Clubatmosphäre. Ebenso auffällig dabei ist, wie sehr Philipp Poisel auf dieser Tour hinter seiner Musik und seiner Band zurücktritt. Oftmals bleibt er selbst ganz im Schatten der Bühne, während er anderen das Scheinwerferlicht überlässt, wie im Rahmen der Zugaben bei „Wo fängt dein Himmel an".
Das Konzert ist ein Tribut an seine Musikerkollegen
So ist dieses Konzert vor allem ein Tribut an seine Musikerkollegen, mit denen er seit 10 Jahren zusammen unterwegs und gewachsen ist und die auch ein Teil der Poiselschen Erfolgsgeschichte sind, ebenso wie an seine Fans, denen er das Rampenlicht überlässt, während die Bühne dunkel bleibt. Nach zweieinhalb Stunden Philipp Poisel hat sich der Saal schon merklich geleert, viele hatten sich mehr erhofft. Doch zum schüchternen und demütigen Poisel, der als Person ganz zurücktritt, passt diese Jubiläumstour womöglich deutlich besser, als der große Bühnenzauber
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