Statistik

Jugendämter in OWL schalten sich beim Thema Kinderschutz immer öfter ein

Anzahl der Einschätzungen des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung deutlich steigend

Die Anzahl der Verfahren bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sind in OWL steigend. | © dpa

10.11.2015 | 10.11.2015, 07:07

Bielefeld. Erzieherische Vernachlässigung, körperliche und psychische Gewalt oder Missachtung der Menschenwürde – Sobald der Verdacht auf die Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Kinder besteht, muss der Staat aktiv werden. Allein im vergangenen Jahr haben die Jugendämter in OWL in 3.168 Fällen eine Einschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorgenommen, so IT NRW. Das ist um acht Prozent mehr als im Jahr davor.

Zum Vergleich: Im Jahr 2012 waren es „nur“ 2.664 Fälle. Obwohl in den meisten Fällen keine Kinderwohlgefährdung festgestellt wurde, bleibt die Gesellschaft in OWL nach den Einschätzungen der Mitarbeiter der Jugendämter nach wie vor hoch sensibilisiert. Warum steigt die Anzahl der Warnsignale, wie kann man die Gefahr der Gefährdung vermeiden und wo liegt der Unterschied zwischen einer latenten und einer akuten Kindeswohlgefährdung – Elena Gunkel hat das recherchiert.

Erhöhte Sensibilisierung

Knapp 8.750 Mal mussten die Jugendämter in OWL in den vergangenen drei Jahren überprüfen, ob der Wohl der Minderjährigen gefährdet wird. Obwohl in den meisten Fällen keine Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde, mehrte sich die Anzahl der Alarmsignale an die Jugendämter der Region seit 2012 jährlich, so die Statistik. Sind die Menschen in OWL besonderes sensibilisiert, wenn es um das Thema Kinderschutz geht?

„Eindeutig ja“, sagt Birgit Rohde, Leiterin der Abteilung Jugend, Familie und Sozialer Dienst im Kreis Gütersloh. Einer der Gründe dafür seien einzelne dramatische Fälle, die in den vergangenen Jahren eine sehr starke Beachtung in den Medien fanden. Magdalena Grawe leitet das Fachgebiet Soziale Dienste im Kreis Lippe. „Insbesondere seit Inkraftreten des neuen Kinderschutzgesetzes sind viele Menschen darauf sensibilisiert, genauer hinzuschauen“, betont sie. „Das bedeutet, es wird eher eine Meldung vorgenommen.“

Netzwerk "frühe Hilfen"

Um Risiken für die gesunde Entwicklung von Kindern frühzeitig zu erkennen, wurde im Bielefelder Jugendamt 2007 das Konzept „Kinderschutz durch Prävention“ entwickelt. Noch bevor alle deutschen Jugendämter durch das neue Bundeskinderschutzgesetz 2012 dazu verpflichtet wurden, soziale Frühwarnsysteme bei sich zu etablieren, wurde in Bielefeld das Netzwerk „Frühe Hilfen“ ins Leben gerufen. Das Netzwerk bestehend aus Ärzten, Hebammen, Lehrern und anderen Personen und Institutionen, die Kontakt mit Kindern haben, hat das Ziel, negative Einflüsse auf die Entwicklung der Kinder so früh wie möglich zu erkennen, um der Familie rechtzeitig Hilfe zu bieten.

Das Ergebnis dieser Arbeit zeigt die Statistik. „Während die Zahl der Fälle der akuten Kindeswohlgefährdung auf der Landesebene im Vergleich zu 2012 gestiegen ist, ist die Tendenz in Bielefeld seit Jahren eher rückläufig“, berichtet Georg Epp, Leiter des Jugendamtes. „Ähnlich sieht es im Bereich der Inobhutnahme aus. In den vergangenen Jahren ging die Zahl solcher Fälle zurück“, sagt Epp. Auch im Kreis Gütersloh ist das Netzwerk aktiv. Nach Angaben der Pressestelle des Kreises ist das System in den zehn Kommunen etabliert, für die der Kreis Gütersloh als Jugendamt zuständig ist.

Sehen Sie hier die Verfahren der Jugendämter bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung im Jahr 2014 in Ihrem Kreis:

Warnsignale

Bei jedem Hinweiß auf die Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Kindes sind die Jugendämter verpflichtet zu handeln. „Wir gehen jedem Hinweis auf Kindeswohlgefährdung nach“, betont Birgit Rohde vom Jugendamt im Kreis Gütersloh. Der häufigste Vorgehensweise sei dabei die schriftliche Ankündigung eines Hausbesuchs, erklärt Rohde. Bei akuter Kindeswohlgefährdung erfolge ein unangekündigter Hausbesuch sofort. Am öftesten geben die Warnsignale die Verwandten oder die Bekannten des betroffenen Kindes, so die Angaben von IT NRW. Im Jahr 2014 waren es rund 26 Prozent aller Meldungen. Jeder sechste Hinweis kommt hingegen aus der Schule oder dem Kindergarten.

Latente Gefährdung

In 421 von 3.168 Fällen, die die Jugendämter in OWL 2014 untersucht haben, wurde eine so genannte latente Kindeswohlgefährdung festgestellt. „In solchen Fällen ist eine Gefährdung nicht eindeutig festzustellen, aber auch nicht auszuschließen“, erklärt Silja Polzin, Pressesprecherin im Kreis Höxter. Die Beispiele seien: Drogenkonsum von Eltern, der sich aber noch nicht sichtbar auf die Entwicklung des Kindes auswirkt, oder Mängel in der Versorgung des Kindes, die aber noch nicht zu einer Schädigung des Kindes geführt haben (keine witterungsangemessene Kleidung, wie T-Shirt im Winter, Ernährungsmängel oder mangelnde Hygiene). Die Frage, ob Kinder aus sozial schwächeren Familien öfter betroffen sind, lässt sich dabei nicht einfach klären. „Verlässige Statistiken über den sozialen Hintergrund der Familien, auf die sich die Verdachtsmeldung bezieht, liegen nicht vor“, sagt Polzin.