Aberkennung der Paderborner Ehrenbürgerwürde: Entscheidung zu Kardinal Jaeger verschoben

Paderborn. Darf jemand Ehrenbürger der Stadt sein, dessen Leben mit heutigem Wissen nachweislich äußerst fragwürdig gewesen ist? Jemand, der den Krieg der Nationalsozialisten gegen die Sowjetunion mit dem christlichen Glauben gerechtfertigt hat. Jemand, der den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gedeckt hat. Um wen es geht? Lorenz Kardinal Jaeger. Die Linke im Stadtrat beantragt, die Ehrenbürgerschaft aufzuheben. Jaeger war von 1941 bis 1973 Erzbischof von Paderborn und wurde 1965 zum Kardinal ernannt. Am 1. Januar 1956 wurde ihm aufgrund eines einstimmigen Ratsbeschlusses die Ehrenbürgerwürde verliehen. Vor genau zehn Jahren war in Paderborn der erste Versuch gescheitert, Jaeger aus der Liste der Ehrenbürger zu streichen. Gestellt wurde der Antrag damals von der Demokratischen Initiative Paderborn, Vorgänger der heutigen Linken-Fraktion. &bdquo;Lorenz Kardinal Jaeger war keine Lichtgestalt“, brachte es Reinhard Borgmeier (Linke) gleich auf den Punkt. Dies gelte für die Zeit des Faschismus wie auch für die Zeit nach dem Krieg und die Missbrauchsthematik. Deshalb könne die Ehrenbürgerschaft nicht aufrechterhalten werden. Schwere Vorwürfe: Paderborner Politiker fordern Aufhebung der Ehrenbürgerschaft für Kardinal Jaeger Paderborns Bürgermeister macht Vorschlag zum Vorgehen Die reine Ehrenbürgerschaft erlösche mit dem Tod, sagte Bürgermeister Michael Dreier. Eine Aberkennung sei daher nicht möglich. Zudem schlug er vor, zuerst noch die kommende Studie der unabhängigen Untersuchungskommission zu Jaegers Rolle im Umgang mit sexuellem Missbrauch abzuwarten. Diese soll im Frühjahr 2026 vorgestellt werden. Bei dieser Rechtslage sei nur eine Distanzierung vom damaligen Ratsbeschluss möglich, sagte Matthias Dülme: Die CDU sehe nicht die Dringlichkeit für eine Entscheidung an diesem Abend. Mit dem heutigen Kenntnisstand würde der Rat Jaeger keine Ehrenbürgerschaft mehr verleihen, meinte Alexander Senn (FDP). Man müsse aber nicht unbedingt aufs Gutachten warten. Missbrauchsfälle: Tafel im Paderborner Dom macht auf schwere Verfehlungen aufmerksam Stephan Hoppe (Für Paderborn) stellte die Frage, wie die Stadt im Fall einer Aberkennung der Ehrenwürde vorgehe. Es reiche nicht, ihn aus der Liste zu streichen und die Homepage zu ändern (in der Südstadt gibt es zudem eine Kardinal-Jaeger-Straße). Johannes Menze findet den Zeitpunkt schwierig. &bdquo;Es werde mit Nachdruck geforscht“, sagte er. Deshalb solle man den Antrag nach der Fertigstellung des Gutachtens modifizieren und die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde mit großer Mehrheit verabschieden. Zeitpunkt irritiert mehrere Paderborner Ratsmitglieder &bdquo;Sie wollen den Rat von 1956 zu Fall bringen“, kam von Andreas Kemper (AfD) als einzigem Redner eine ganz andere Kritik. Es gehe darum, eine Person zu &bdquo;demontieren“. Vor zehn Jahren habe vieles noch nicht auf dem Tisch gelegen, sagte der fraktionslose Ratsherr Hartmut Hüttemann. Auch er nannte den Zeitpunkt des Antrags &bdquo;bemerkenswert“ - wo bekannt sei, dass das Gutachten komme. Für ihn sei aber klar: Jaeger hätte mehr tun können. &bdquo;Er war kein Helfer, er war ein Systemschützer. Wir dürfen nicht schweigen.“ Man müsse aber möglichst alle - außer die AfD - mitnehmen. Hintergrund: Missbrauch-Aufarbeitung: Amtszeit von Paderborns Erzbischof wird untersucht Verani Kartum (fraktionslos) möchte ebenfalls das Gutachten abwarten: &bdquo;Wir sollten die Rückendeckung der Bevölkerung haben.“ Beate Röttger-Liepmann (SPD) verurteilte Jaegers Umgang mit Missbrauchstätern, der schon vorher bekannt gewesen sei, sowie seine Position im Krieg etwa mit einem Schweigen zur Euthanasie. Im Vergleich zu 2015 höre er &bdquo;bemerkenswerte Beiträge“, sagte Antragsteller Borgmeier. &bdquo;Jaeger hat den systematischen Missbrauch in der Kirche gedeckt. Worauf warten wir noch?“ Viele der betroffenen Opfer lebten noch. &bdquo;Es ist eine Frage des politischen Willens.“ Stadt Paderborn hätten einen Beschluss beanstanden müssen Anders als zunächst gedacht, ist für eine Aufhebung der Ehrenbürgerschaft keine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Diese ist nur bei einer Rücknahme zu Lebzeiten erforderlich. Zugleich müsse es ein anderer Beschluss sein, da eine Aberkennung bei Toten nicht möglich sei, erläuterte Paderborns erster Beigeordneter Carsten Venherm. &bdquo;Diesen Antrag müssten wir von Rechtswegen beanstanden.“ Tafel vor ihren Gräbern: Über Verfehlungen der Paderborner Bischöfe wird auch online informiert Venherm schlug ebenfalls vor, das Gutachten abzuwarten und dann einen Antrag mit auf die Studie verweisenden Formulierungen einzubringen. Darin würden Jaegers Verdienste um den Wiederaufbau und um die Städtepartnerschaft mit Le Mans ebenso erwähnt wie sein Verhalten im Zweiten Weltkrieg und den Umgang mit Missbrauch. Sicher könne der Rat den Namen streichen lassen. &bdquo;Aber ich glaube, das wird der Sache nicht gerecht.“ Bürgermeister Dreier sprach davon, &bdquo;Einigkeit zum Ausdruck zu bringen“. Die Linke wolle Verbindlichkeit, sagte Borgmeier zum Abschluss. Er schlug vor, den Antrag ruhen zu lassen und im nächsten Jahr zu entscheiden - was jedoch nicht geht. Schließlich zog er zurück. Mit Blick aufs Gutachten dürfte es jedoch nur eine Frage von Monaten sein, bis der Ehrenbürger Jaeger Geschichte ist. Wie ein Memory-Spiel: So sieht das Mahnmal zu sexuellem Missbrauch im Paderborner Dom aus

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