Arzt will Paderborner Landrat werden: „Bin ein Freund der einfachen und klaren Sprache“

Kreis Paderborn. Matthias Fiedler ist in Niederntudorf aufgewachsen und lebt in Salzkotten. Der 29-Jährige ist ledig, aber liiert, und arbeitet als Assistenzarzt am Paderborner Brüderkrankenhaus in der Notaufnahme. Von 2015 bis 2021 hat er in Breslau Medizin studiert. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich als Rotkreuzarzt im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz beim Deutschen Roten Kreuz. Er reist gerne und ist aktiv beim Volkstanzkreis Niederntudorf. Zum 1. Januar 2025 tritt er eine neue Stelle beim Gesundheitsamt in Soest an. Es sei eine Weiterbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen. Herr Fiedler, Ihre Bewerbung als Landratskandidat der SPD kam für die Öffentlichkeit sehr überraschend. Sie standen wahrscheinlich bei keinem auf der Liste. Wann reifte der Entschluss? Matthias Fiedler: Es gab vermehrte Gespräche zwischen unserer Fraktionsvorsitzenden Silke Kohaupt und mir, wen man sich als Landratskandidaten denn vorstellen könnte. Wir wollten auch damit relativ früh anfangen. Anfang Mai hatte Silke vorgeschlagen, dass ich das machen sollte. Das musste ich mir natürlich erstmal überlegen und hatte unter anderem Gespräche mit Nele Czaniera als Kreisvorsitzende und gute Freundin, und anderen, weiteren Genossinnen und Genossen. Dann war mir klar: Ich möchte das machen. Es bringt ja nichts, wenn ich darüber meckere, was man anders machen kann. Ich kann es ja selber machen. Die Chancen, als SPD-Kandidat im Kreis Paderborn zum Landrat gewählt zu werden, sind historisch gesehen so groß wie die Chancen des SCP, Deutscher Meister zu werden. Aktuell ist zudem die SPD bundesweit nicht die beliebteste Partei. Wie wollen Sie die Wähler überzeugen, Sie zu wählen? Setzen Sie da eher auf eine Personenwahl? Im Endeffekt ist die Landratswahl keine Parteienwahl, sondern eine Personenwahl. Die Menschen können mich wählen und trotzdem die CDU. Aber ich finde es auch falsch, wenn wir uns die ganze Zeit vor den Wahlergebnissen verstecken. Wir können den Bürgern nicht erklären: Wir können es nicht schaffen, weil die CDU hier eine Mehrheit hat. Das möchte ich auch nicht. Nur weil wir das die ganzen Jahre nicht geschafft haben, heißt es nicht, dass wir es jetzt nicht können. In diesen Zeiten der vielen Krisen kommen wir auch nicht durch kleine Kompromisse voran. Die Krisen laufen uns in viel größeren Schritten davon. Deswegen brauchen wir gerade jetzt den Umschwung, wir müssen mal mit etwas Mut vorangehen, mit einer lauteren und etwas frecheren Stimme. Da hilft nichts, dass die SPD die letzten 80 Jahre hier keine Mehrheit hatte. Ich bin davon überzeugt, dass wir das nächstes Jahr schaffen. Lesen Sie auch: Salzkottener Arzt will Landrat im Kreis Paderborn werden Und wie genau wollen Sie die Wähler überzeugen? Vor allem mit einer sehr sozial gerichteten Politik, einer Politik für die Mehrheit der Menschen, nicht nur für die wenigen. Mit einer klaren Kommunikation und einer sehr bürgernahen Politik. Ich bin keiner, der sich in einem Anzug irgendwo hinsetzt und den Bürgern versucht, in verschachtelten Halbsätzen die Politik zu erklären. Ich bin ein Freund der einfachen und klaren Sprache. Sie sind erst 29 Jahre alt, erst seit 8 Jahren in der Partei und erst seit 4 Jahren als Sachkundiger Bürger Mitglied der Kreistagsfraktion. Politische Erfahrung sieht anders aus. Wo sehen Sie trotzdem ihre Stärken? Ich würde es anders formulieren: Ich bin schon 29 Jahre und schon seit acht Jahren in der Partei und die meiste Zeit meines Lebens politisch interessiert. Auch war ich schon lange in der Partei politisch aktiv und habe in dieser Zeit schon viel an politischer Erfahrung gewonnen. Ich finde es falsch, dass man erst 30 Jahre im Kreistag gewesen sein muss, um irgendwann als Landrat kandidieren zu können. Wir können die Politik nicht jungen Menschen wegnehmen, sondern müssen sie in deren Hände legen. Meine Stärken sind, dass ich mich sehr schnell in Themen herein lesen kann. Ich habe sechs Jahre Medizin studiert, auswendig lernen kann ich. Und das habe ich die letzten vier Jahre auch im Kreistag gemacht, man muss auch die ganzen Strukturen verstehen. Meine größte Stärke ist, dass ich sehr stressresistent bin durch meinen Job. Und dass ich auch in kurzer Zeit sehr schnell Entscheidungen treffen kann, weil ich Informationen sehr schnell verarbeiten kann. Wenn Sie Landrat werden sollten, ist das ein Job, der wenig Raum für Freizeit und Ehrenamt lässt. Sie sind Arzt am Brüderkrankenhaus, engagieren sich als Arzt beim Katastrophen- und Bevölkerungsschutz beim Deutschen Roten Kreuz. Warum wollen Sie das aufgeben? Es ist weniger ein Aufgeben, sondern viel mehr ein Eintreten für etwas. Ich sehe in meinem Beruf und auch in meinem ehrenamtlichen Engagement sehr viele Probleme. Ich möchte diese dann auch gerne angehen und lösen. Wenn ich Landrat sein sollte, hätte ich einen wesentlich längeren Hebel als jetzt. Natürlich bleibt bei einer fast 100-Stunden-Woche wenig Zeit, aber es heißt nicht, dass man alles andere dann komplett aufgeben muss. Ich würde immer noch versuchen, mich in gewisser Weise einzubringen oder als Landrat dieses ehrenamtliche Engagement zu unterstützen. Wie wurde Ihre Bewerbung in der Familie, im Bekanntenkreis und vor allem bei der Arbeit aufgenommen? Kopfschütteln oder eher Beifall? Viel Beifall, dass ich mich das traue als junger Mensch in der SPD im Kreis Paderborn. Es ist kein Geheimnis, dass es nicht die einfachste Aufgabe ist. In meinem Familien- und Bekanntenkreis gab es sehr positive und unterstützende Rückmeldungen. Bei der Arbeit gab es auch durchgehend Unterstützung, natürlich auch gewisse Neckereien: Dann kannst du ja das und das ändern. Auf jeden Fall würden sie sich freuen, einen direkten Ansprechpartner zu haben. Haben Sie auch schon Rückmeldungen von anderen Parteien bekommen? Nicht offiziell. Ich habe natürlich im Laufe meines politischen Engagements auch Kontakte zu anderen Parteien geknüpft – bei den Grünen oder Linken und auch in Teilen der CDU und habe durchaus positives Feedback bekommen. Aber Christoph Rüther hat mir noch keine private Nachricht geschickt. Ich muss aber betonen, dass wir ein sehr gutes persönliches Verhältnis haben. Was aber nicht heißt, dass ich ihn politisch nicht kritisieren kann. Wird es eventuell einen Gegenkandidaten bei der SPD geben? Schließlich will die Kreis-SPD in ihren Gremien am 6. November erst über Ihre Bewerbung beraten und im Frühjahr 2025 final ihren Landratskandidaten wählen. Meines Wissens gibt es noch keine andere Kandidatur. Das heißt aber nicht, dass es nicht dazu kommen könnte. Als Arzt sind Sie sehr nah dran an den Menschen und ihren Sorgen. Da wissen Sie, was falsch läuft. Als Ziele geben Sie an, den ambulanten Sektor stärken zu wollen und gleichzeitig die Krankenhäuser zu entlasten. Haben Sie auch konkrete Vorschläge, wie das umzusetzen ist? Im Gesundheitswesen haben wir momentan ein sehr großes Problem. Viele gehen davon aus, dass das Gesundheitssystem am Brennen ist – das ist eine falsche Annahme. Es ist mindestens schon letztes Jahr zusammengebrochen und funktioniert eigentlich nur noch, weil wenige Menschen durch viele Überstunden es am Laufen halten. Um mehr Entlastung zu bekommen, sollte man viele Termine online vergeben und telefonisch abwickeln können. Auch muss es viel einfacher werden, an Facharzttermine zu kommen. Zwar hab ich hier als Landrat weniger Mitspracherecht, aber man kann Kampagnen machen: Wann kann ich in die Notaufnahme gehen, wo gibt es Notfallambulanzen? Neben dem Brüderkrankenhaus gibt es eine Notfallambulanz, da kann man außerhalb der Sprechstunden der Hausärzte und muss nicht in die Notaufnahmen, die sonst manchmal unnötig verstopft werden. Auch könnte der Landrat über den Kreisrettungsdienst mitentscheiden. Unsere Notfallsanitäter können noch deutlich mehr. Die haben genug Wissen. Man könnte ihnen mehr Kompetenzen zusprechen, um unnötige Transporte zu vermeiden. Man muss nicht jeden Patienten ins Krankenhaus bringen. Oft könnten sie nach einer Versorgung am nächsten Tag zum Hausarzt gehen oder die Sanitäter können die Patienten auch direkt zum Hausarzt bringen. Das ist möglich, andere Kreise machen das schon. Auf lokaler Ebene könnten wir so etwas Belastung wegnehmen. Wichtig ist auch, die Stärkung des ambulanten Pflegesektors. Wir müssen manchmal Patienten wochenlang im Krankenhaus lassen, weil sie keinen Pflegeplatz bekommen. So aber blockieren sie Betten im Krankenhaus. Sie sprechen auch von weiteren Entlastungen. Zum Beispiel wollen Sie im Kreis Paderborn die Kita-Gebühren abschaffen und den ÖPNV nicht nur kostengünstiger und attraktiver, sondern vor allem auch verlässlicher gestalten. Die Kassen beim Kreis sind aber nicht gut gefüllt. In Deutschland fehlt es überall am Geld. Als Landkreis können wir leider da wenig ändern. Das Problem ist die Schuldenbremse. Wir können uns nicht aus Krisen heraussparen. Wir müssen mehr investieren. Natürlich ist es teuer, die Kita-Gebühren abzuschaffen. Aber wenn wir sie erhöhen, wird es im Endeffekt teurer. Dann muss mehr &bdquo;kostenlose“ Care-Arbeit geleistet werden, weil die Menschen sich entscheiden müssen zwischen höheren Kita-Gebühren oder mehr Arbeit. Mehr Arbeit bedeutet aber einen höheren Kitabeitrag. Es lohnt sich also gar nicht, also bleiben sie wieder zu Hause. Es wird weniger Arbeit geleistet und man hat weniger Steuereinnahmen. Man kann nicht in einer der größten Krise, in der alle sowieso schon unzufrieden sind, die Kita-Gebühren erhöhen. Zum ÖPNV: Wir haben hier so viele Doppelstrukturen durch den Padersprinter, den ÖPNV im Landkreis und durch verschiedene Tarifbereiche. Wenn ich versuche, mit dem Bus zur Arbeit zu kommen, bin ich 50 Prozent der Zeit pünktlich. Das reicht mir nicht. Man muss vieles optimieren zwischen Padersprinter und dem Busverkehr im Landkreis. Wenn wir die ganzen alten, eingerosteten Strukturen etwas verbessern – was nicht heißt, dass ich die GmbH vom Landrat unterstützen würde – werden wir einiges einsparen. Der ÖPNV würde kostengünstiger und verlässlicher. Man müsste allerdings auch einige Strecken einsparen oder anders fahren. Und wir brauchen auch mehr On-Demand-Verkehr. Insgesamt müssen wir uns mehr trauen, zu investieren. Und ruhig mal an die Rücklagen gehen, die wir ja haben, um für die Bürgerinnen und Bürger einen gewissen Fortschritt zu bringen. In Ihrem Kandidaturschreiben zitieren Sie auch das SPD-Urgestein Willy Brandt. Haben Sie Vorbilder – politisch und darüber hinaus? Willy Brandt ist eigentlich für alle in der SPD ein Vorbild. Für mich ist er aber nicht das größte politische Vorbild. Er hat es geschafft, in sehr schwierigen Zeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese nicht beliebt waren. Auch Helmut Schmidt als eine der größten SPD-Gestalten, fand ich sehr gut. Er hatte eine sehr ehrliche, klare Kommunikation – die Hamburger Schnauze. Ein konkretes Vorbild ist Mai Thi Nguyen-Kim vom ZDF, sie ist Wissenschaftsjournalistin und hat einen Doktortitel in Chemie. Sie ist eine superstarke Frau, weil sie versucht sehr komplizierte Zusammenhänge – wissenschaftlich und auch politisch – einfach zu erklären. Ich finde es so wichtig, was sie macht. Oder Menschen wie John Oliver, der gezeigt hat, dass trotz eher kurzer Aufmerksamkeitsspanne heutzutage die Menschen 30-minütige Erklärvideos zu komplexen politischen sowie gesellschaftlichen Themen schauen. Solche Leute sind für mich Vorbilder. Auch um mich herum gibt es viele Menschen. Wenn ich sehe, wie unsere Fraktionsvorsitzende Silke Kohaupt oder Steffen Sander zwischen Beruf und Fraktionsarbeit noch Familie unterbringen, dann sind das auch Vorbilder für mich.

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