Einzelhandel-Experte: „Paderborner City kann das Ruder noch herumreißen“

Herr Beverungen, der Einzelhandel der deutschen Innenstädte wird aktuell häufig eher negativ als positiv dargestellt. Zu wenige Parkplätze, zu viel Online-Handel, der die Geschäfte bedroht. Auch Sicherheit ist ein Thema. Ist denn wirklich alles so schlecht? Johannes Beverungen: Nein, ganz und gar nicht. Es gibt mehr Licht als Schatten. &bdquo;Handel ist Wandel“ und dadurch werden Anpassungsprozesse angestoßen und Veränderungen sichtbar. Handel in der Innenstadt ist sehr wichtig, um Menschen zusammenzubringen und zum Verweilen einzuladen. Dabei sind aber auch Sauberkeit und Sicherheit von zentraler Bedeutung. Sehr positive Entwicklungen finden wir zum Beispiel in der östlichen Paderborner Innenstadt. Alle Händler sind sehr darum bemüht, ein attraktives Angebot zu stellen. So kommt ein Mix aus Boutiquen, Fachgeschäften, Dienstleistungen, kulturellen Angeboten und Gastronomie zustande. Aber wir brauchen mehr davon. Dazu brauchen wir mehr Konsumentinnen und Konsumenten in den Innenstädten und dazu müssen diese auch schnell und einfach zu erreichen sein. Was meinen Sie damit? Wo sind die Probleme beim Handel in der Paderborner Innenstadt? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Es ist eine Gemengelage. Ein wichtiger Punkt: Paderborn muss erreichbar sein und bleiben. Wir sind ein weitläufiger Flächenkreis und nicht mit dem besten ÖPNV gesegnet. Das ist keine Kritik, sondern ich sehe die Problematik eher in der Taktung im gesamten Kreisgebiet. Ich verstehe deswegen die aktuelle Verteufelung des Autos nicht. In zehn Jahren wird der Anteil der E-Autos wesentlich höher sein und dann brauchen wir die Parkplätze wieder, die jetzt abgeschafft werden sollen. Und was den ÖPNV angeht: Erst werden Parkplätze und Verkehrswege verkleinert oder gestrichen, aber erst zeitversetzt die Linien und Taktungen bei Bus und Bahn verbessert. Das funktioniert so nicht. Lesen Sie auch: Chef der OWL-Einzelhändler lobt Paderborner &bdquo;Leuchtturmprojekte“ Die Rolle des Autos in der Innenstadt ist ein häufiges Streitthema. Aber es gibt sicherlich auch andere Stellschrauben, an den gedreht werden sollte, oder? Wirklich kritisch betrachten muss man den Online-Handel. Die zugehörigen Unternehmen zahlen weniger oder gar keine Steuern als Läden in der Innenstadt. Sie haben weniger Qualitätsstandards und viele Onlinekonzerne werfen nicht einmal Gewinn ab. Mit den daraus resultierenden dynamischen Online-Preisen kann ein lokales Geschäft hier in Paderborn nicht konkurrieren. Nehmen Sie Amazon als Beispiel. Seine Gewinne verdient der Konzern häufig nicht durch den Verkauf von Produkten, sondern durch das Bereitstellen seiner Verkaufsplattform &bdquo;Amazon Marketplace“ und die AWS-Cloud. Außerdem spielt die Ökologie hier keine Rolle. Es kann mir doch keiner sagen, dass es besser sei, massenhaft Pakete mit dem Lieferdienst hin und her zu verschicken, als mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren. Was wären denn die Lösungen, um den lokalen Handel zu stärken? Wir brauchen Wettbewerb und freien Markt. Das heißt, dass die öffentliche Hand weniger in den Markt eingreifen sollte. Diese Eingriffe funktionieren in der Regel nicht. Der Staat muss aber die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Zum Beispiel mit einer globalen Mindestbesteuerung. Damit sollten internationale Unternehmen mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Egal, ob man irgendwo eine Briefkastenfirma angemeldet oder den Konzernstandort in steuergünstigen Ländern hat. Die Umsetzung scheitert derzeit aber an einigen Ländern. Dies gilt im Großen wie im Kleinen. Die lokale Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen und den Handel vor Ort stärken, damit ruinöser Wettbewerb verhindert wird. Diese Steuer zielt auf international tätige Unternehmen mit hohen Jahresumsätzen. Die Umsetzung war bereits 2023 vorgesehen, wurde aufgrund deren Komplexität auf 2024 verschoben, heißt es vonseiten des Bundesfinanzministeriums. Und eine solche globale Steuer soll den lokalen Handel hier in Paderborn retten? Wir stehen kurz vor einem Quasi-Monopol, wenn Amazon seinen Marktanteil in Deutschland weiter vergrößert. Dann würde vor allem dieser Konzern die Preise im Online-Handel bestimmen. Aktuell liegt Amazon weit vor allen anderen Onlinehändlern in Deutschland. Otto als Nr. 2 macht nur ein Viertel und Zalando lediglich ein Sechstel des Umsatzvolumens in Deutschland vom Weltmarktführer aus. Lesen Sie auch: Paderborner Unternehmer Klingenthal: &bdquo;Zara und Starbucks täten der Innenstadt verdammt gut“ Paderborn hat aber die Chance, das Ruder für sich herumzureißen. Wie die Zukunft der Innenstädte aussieht, entscheidet auch die Konsumentin und der Konsument vor Ort. Indem sie oder er sich verstärkt für das Lokale und weniger für Online entscheidet. Ansonsten stirbt der Handel in der Innenstadt leise aus, ohne dass es jemand mitbekommt. Wenn ein großes Unternehmen pleite geht, sorgt das für größeres Aufsehen. Ich sage deshalb immer: Gib deiner Stadt eine Chance! In Paderborn gibt es noch viele inhabergeführte Geschäfte, zum Beispiel am Kamp oder in der Grube. Und dieses Angebot müsste weiter wachsen. Während der aktuellen Rezession sinken die Mieten und es entstehen hier neue Geschäfte. So eröffnet ein neuer Hofladen am Marktplatz. Aber auch der Wochenmarkt jeden Mittwoch und Samstag ist ein Magnet. Zur Einordnung: Letztes Jahr wurden rund 560 Milliarden Euro Einzelhandelsumsatz getätigt, rund 84 Milliarden Euro im Onlinehandel. Das heißt, damit werden tatsächlich rund 85 Prozent aller Einzelhandelsumsätze in Deutschland und damit auch in Paderborn im stationären Einzelhandel umgesetzt. Aktuelle Stadtverkehrskonzepte aus Paderborn schlagen weniger Verkehr und mehr Aufenthaltsqualität vor. Ist es überhaupt noch zeitgemäß, eine Innenstadt vor allem als Einkaufsort zu denken? Natürlich geht es um das Zusammenspiel von Kultur, Gastronomie und auch Shopping. Das Einkaufen hat aber immer noch einen besonderen Stellenwert. Ein Shopping-Bummel ist wie das Lesen einer gedruckten Zeitung. Man muss durchblättern und erlebt dadurch immer wieder etwas Neues, was eben kein Algorithmus vorschlägt. In der Online-Zeitung oder beim Online-Shopping ist vieles vorgegeben. Ein Spaziergang an den Schaufenstern der Paderborner Innenstadt ist doch wesentlich inspirierender. Zudem ist die Innenstadt mit ihrem gastronomischen und kulturellen Angebot ein Ort für Kommunikation und Austausch. Eben ein echter Treffpunkt von Menschen außerhalb der digitalen Welt.

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