Abzesse, Infekte, keine Versicherung: Obdachlose bekommen in Paderborn ärztliche Hilfe

Paderborn. Wer auf der Straße lebt, kann sich oft nicht so gut um seine Gesundheit kümmern wie andere. Obdachlose Menschen sind Nässe und Kälte ausgesetzt, können sich oft nicht ausreichend und ausgewogen ernähren, Körperhygiene ist eine Herausforderung. Gleichzeitig haben sie nicht immer den Zugang zum Gesundheitssystem wie andere Menschen, weil sie zum Beispiel nicht krankenversichert sind, sich schämen oder Angst vor Abweisung haben. Eine medizinische Sprechstunde speziell für obdachlose Menschen in Paderborn nimmt sich diesem Problem seit Kurzem an. Und verzeichnet seitdem großen Zulauf. Im nächsten Jahr soll das Projekt ausgeweitet werden. Initiiert hat das Ganze Liborius Zacharias. Er selbst war vor einiger Zeit mal mit einem ähnlichen Angebot in Rom unterwegs, bei dem in der Stadt Obdachlose an ihren Treffpunkten gezielt aufgesucht wurden und diese medizinische Hilfe bekamen. &bdquo;So etwas braucht es in Paderborn auch“, dachte er sich und wurde mit seiner Idee beim B2 Streetwork des Vereins KIM – Soziale Arbeit vorstellig. Sprechstunde im B2 – &bdquo;in gewohnter Umgebung“ Ben Schröder, Sozialarbeiter im B2, war sofort begeistert: Als ausgebildeter Rettungssanitäter hatte er bislang gelegentlich kleinere medizinische Aufgaben übernommen, &bdquo;aber natürlich ohne das Know-how, das Ärzte haben“, wie er erzählt. Zacharias, der selbst Psychotherapeut ist, trommelte Freiwillige zusammen: Inzwischen 14 Ärztinnen und Ärzte – vom Orthopäden bis zur Gynäkologin – sowie vier medizinische Kräfte wie Arzthelferinnen oder Rettungssanitäter übernehmen ehrenamtlich im Wechsel die Sprechstunde. Auch ein Zahnarzt hat sich bereit erklärt, die Patienten bei Bedarf zu behandeln. &bdquo;Sento“ nennt sich das Projekt. Aus dem italienischen Wort für Obdachlose &bdquo;Senza tetto“ zusammengesetzt, bedeutet &bdquo;sento“ gleichzeitig auch &bdquo;ich höre, ich bemerke“. &bdquo;Etwas poetisch gesagt: Wir haben den stummen Hilferuf dieser Randgruppe unserer Gesellschaft gehört und haben bemerkt, dass wir zumindest an dieser Stelle etwas tun und helfen können“, erläutert Zacharias. Die erste Materialgrundausstattung spendeten Brüderkrankenhaus und St. Johannisstift, verschiedene Apotheken stellten Medikamente bereit. Jeden Mittwoch zwischen 16 und 18 Uhr findet die Sprechstunde im B2 am Busdorfwall statt. &bdquo;Hier sind unsere Leute in einer gewohnten Umgebung“, da sei die Hemmschwelle nicht so hoch, wie in eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus zu gehen, beschreibt Schröder einen weiteren Vorteil des Angebotes. Bedankt mit tiefer Verbeugung Die erste Sprechstunde gab es Anfang Oktober. &bdquo;Wir wussten nicht, ob überhaupt jemand kommt, so etwas muss sich ja auch erst einmal herumsprechen“, sagt Zacharias. Drei Patienten kamen. Einer habe sich nach der ärztlichen Behandlung mit Tränen in den Augen und einer tiefen Verbeugung bedankt. Obdachlose hätten besonders häufig mit Infektionen oder Abszessen bis hin zu offenen Wunden zu kämpfen, berichtet Schröder, etwa wenn sich Stiche nach der Injektion von Drogen entzünden. Oder sie kämpfen mit grippalen Infekten und beginnenden Lungenentzündungen. &bdquo;Wenn wir krank sind, legen wir uns ins Bett oder aufs Sofa – das können unsere Klienten nicht, die sind fast den ganzen Tag draußen“, sagt Schröder. In der medizinischen Sprechstunde können sie vorstellig werden – &bdquo;ohne dass ihnen jemand Vorwürfe macht, ohne dass jemand viele Fragen stellt“, sagt Zacharias. Und auch ohne Krankenversicherung, denn die haben viele nicht. Künftig auch beim SKM Die Ärzte versorgen beispielsweise Wunden, geben Antibiotika oder leichte Schmerzmittel aus – und können dann auch an Fachärzte oder in akuten Fällen ins Krankenhaus überweisen. &bdquo;Natürlich können wir hier nicht alles behandeln“, weiß auch Zacharias, aber man könne niederschwellig einen ersten Kontakt ermöglichen und darüber langfristig Vertrauen ins Gesundheitssystem aufbauen – für viele oft das erste Mal nach vielen Jahren auf der Straße. Ein Erfolg sei das Projekt Sento bislang: &bdquo;Es ist phänomenal, wie das angenommen wird“, sagt Schröder. Deshalb soll die Sprechstunde ab dem kommenden Jahr auch beim SKM in der Kapellenstraße angeboten werden, um noch mehr Menschen zu erreichen. Den Bedarf dafür sieht auch SKM-Geschäftsführer Joachim Veenhof: Zwar habe man in Paderborn keine akute Notsituation, wie vielleicht in größeren Städten, aber er sehe das Angebot &bdquo;als absolut sinnvolle Ergänzung“. In vielen Fällen könne ein frühzeitiger Besuch beim Arzt Schlimmeres verhindern.

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