Apotheker über Lage im Kreis Paderborn: "Die Apothekenzahl nimmt dramatisch ab"

Paderborn. Mehr Aufwand, gestiegene Kosten, Lieferprobleme bei bestimmten Medikamenten und eine für viele Apothekerinnen und Apotheker unsichere wirtschaftliche Lage: Aus Sicht von Philipp Hoffmann (43), Inhaber der Dom-Apotheke in Paderborn und Kreisvertrauensapotheker, steigt der Druck in seiner Branche. Auch im Kreis Paderborn würden Inhaber immer öfter aufgeben, macht der Sprecher von aktuell 67 Apotheken im Gespräch mit der "NW" deutlich. Zugleich sagt er mit Blick auf den Herbst, wie sich Bürger vor Infektionen schützen können und warum Impfungen wichtig sind. Herr Hoffmann, wann haben Sie den letzten Corona-Schnelltest gemacht? Philipp Hoffmann: Vor circa einer Woche. Das zeigt, dass auch aus Sicht der Apotheker Corona offenbar nicht vorbei ist ... Definitiv. Der eine oder andere will vielleicht gar nicht wissen, ob er es hat. So kommunizieren es Patienten häufig. Viele Menschen wollen dieses Kapitel jetzt schließen. Das ist, denke ich, nicht richtig. Es ist vielleicht nicht mehr die gefährliche Variante wie im Urtyp oder zu Beginn der Pandemie. Aber dennoch ist es wichtig zu wissen, ob ich andere anstecken kann. Mit Blick auf die beginnende Infektsaison und Atemwegserkrankungen: Warum sollte man solche Infekte nicht auf die leichte Schulter nehmen? Es gibt verschiedene Formen von grippalen Infekten. Und je nachdem, was es für ein Erreger ist, kann das zu Langzeitschäden führen. Gerade jetzt bei Streptokokken beispielsweise, das sind bakterielle Erreger, kann man Herzprobleme bekommen. Deshalb ist es prinzipiell klug, wenn man in den Seilen hängt oder sich grippig fühlt, sich körperlich zu schonen und sich Ruhe zu gönnen. Das ist auch für das Immunsystem gut. Würden Sie sich vorbeugend gegen Grippe oder Corona impfen lassen? Ich sehe mich aktuell nicht in einer Risikogruppe. Und ich glaube nicht, dass es mich, wenn ich eine Infektion bekäme, bedrohen würde. Aber es geht auch darum, dass ich andere nicht anstecken möchte, für die eine Infektion vielleicht eine Bedrohung wäre. Ich finde Impfungen oder Immunisierungen vor allem da sinnvoll, wo ich den Herdenschutz fördere. Deshalb halte ich generell sehr viel von Impfungen. Können Sie die Position von Impfgegnern verstehen? Ich glaube, da muss man jedem seine Entscheidungsfreiheit überlassen. Im Impfzentrum in Salzkotten (des Kreises Paderborn, Anm. d Red.) hatte ich die pharmazeutische Leitung. Da gab es viele Diskussionen und andere Meinungen. Diese respektiere ich. Zurück zum Beginn der Infektsaison. Haben Sie drei schnelle Ratschläge zur Vorbeugung? Hoffmann: Das Entscheidende ist, das Immunsystem zu stärken: sich gesund und ausgewogen zu ernähren, am besten vitaminreich, viel zu trinken, Stress zu vermeiden und ausreichend zu schlafen. Themenwechsel: Lieferengpässe bei Medikamenten beschäftigen uns seit einiger Zeit. Wie ist der aktuelle Stand, gibt es zum Beispiel genug Fiebersäfte und Antibiotika für Kinder? Der Stand ist unverändert, wenn nicht schlechter. Bei manchen Fiebersäften, wenn sie in Deutschland oder im europäischen Ausland produziert werden, sind wir dieses Jahr zwar besser vorbereitet, weil sie leichter zu bekommen sind. Aber bei Antibiotika und manchen Arzneimitteln für Erwachsene wie Blutdrucksenkern ist es eine Katastrophe, und es wird immer schlimmer. Wie hat die Politik aus Ihrer Sicht bisher darauf reagiert? Die Reaktion der Politik war, den pharmazeutischen Großhandel zu verpflichten, sich mehr zu bevorraten. Im Ansatz klingt das logisch. Es war aber bisher nicht umsetzbar, weil es nicht genug Arzneimittel gibt. Und was macht der Bund gegen Lieferengpässe? Es gibt verschiedene Ansätze. Einmal, dass Arzneimittel besser bezahlt werden, zumindest ein Teil der Kinderarzneimittel. Wenn ein Hersteller etwas produziert, was Mangelware ist, dann verkauft er lieber in die Länder, die mehr dafür geben. Und Deutschland hat eine intensive Sparpolitik gefahren, was eigentlich richtig ist. Aber es wurde so übertrieben, dass nichts mehr kam. Langfristig muss aber die Arzneimittelproduktion zurück nach Deutschland. Wir sind abhängig von Indien und China, auch bezogen auf Rohstoffe. Was ist der Grund für eine Protestaktion in NRW am 15. November? Neben Ärzten wollen auch Apotheker bis auf die Notversorgung schließen. Es gibt mehrere Gründe. Zu fast jedem zweiten Rezept gibt es Lieferengpässe, und wir können nicht sofort liefern. Dann sprechen wir mit dem Patienten, dem Arzt, müssen das Rezept ändern lassen. Das ist ein großer Aufwand. Und das führt in Zeiten eines Personalmangels dazu, dass wir in den Teams überlastet sind. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das zudem defizitär: Ich brauche mehr Zeit, das generiert mehr Kosten als ich an Vergütung dafür zurückbekomme. Gleichzeitig sind – völlig zurecht – die Lohnkosten gestiegen. Parallel wird der Kassenabschlag erhöht, und die Apotheken verdienen somit weniger pro verordnetem Arzneimittel. Neben steigenden Kosten sinkt gleichzeitig die Vergütung. Für viele Kollegen ist dies bereits jetzt nicht mehr wirtschaftlich. Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände geht es vielen Betreibern nicht gut. Sie rechnet mit 600 Schließungen in diesem Jahr. Wie sehen sie es? Das Zusammenspiel der genannten Faktoren sorgt dafür, dass jeden Tag in Deutschland mehr als eine Apotheke schließt. Auch im Kreis Paderborn ist dies so. Noch kann die flächendeckende Versorgung aufrechterhalten werden – aber die Frage ist, wie lange noch? Im ersten Halbjahr 2020 hatten wir bundesweit noch 19.075 Apotheken, im ersten Halbjahr 2023 waren es nur noch 17.830. Die Apothekendichte in Deutschland pro 100.000 Einwohner liegt im Schnitt bei 21. In der EU liegt sie bei 32. Und ich kenne viele Kollegen hier im Kreis, die das Datum schon genannt haben, wann sie aufhören. Das hängt oft nur noch vom Mietvertrag ab. Die Apothekenzahl nimmt also dramatisch ab. Zum Abschluss: Ist Apotheker beziehungsweise Apothekerin da überhaupt noch ein Traumberuf? Es ist auf jeden Fall ein Traumberuf. Lediglich die Politik muss wieder etwas die Bedingungen verbessern. Für mich ist es einer der schönsten Berufe, die es überhaupt gibt.

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