"Jeeps": Dunkle Komödie aus dem Maschinenraum der Bürokratie am Paderborner Theater

Paderborn. Wie wäre es, wenn sich die Regierung zur gerechteren Verteilung der Güter eine böse Strategie ausgedacht hätte? Statt Entrichtung von Erbschaftssteuer wird jedes Erbe – inklusive Verschuldungen – im Losverfahren an die Bevölkerung neu verteilt. Exekutive der neuen Finanzreform: das Arbeitsamt. Mit &bdquo;Jeeps“ (Nora Adel- Maksoud) ging am Samstag eine zynische Gesellschaftssatire über die Umverteilung von Gütern über die große Bühne des Theaters. Präzise wie ein Uhrwerk verzahnen die stilisierten Mechanismen unserer Bürokratie, Hierarchie und kapitalistischen Denkweise, Täuschungsmanöver und herzerweichende Hoffnungen miteinander. Das Bühnenbild: ein labyrinthischer Auf- und Abgang mit Handläufen. Über allem wabert eine penetrante Geräuschglocke, geprägt vom typischen Hall des Aufruf-Gongs. Im Vorfeld agiert Sachbearbeiter Gabor (Thomas Kaschel) nonstop wie eine Marionette auf dem Fließband; beziehungslos an ihm vorbei sein Kollege Armin (Gregor Weisgerber) mit Schlüsselgewalt, mal kriechend durch Hintertürchen, mal großspurig mit offenem Sakko im Portal. Bürgergeldbezieherin Maude (Mirjam Radovic), Schriftstellerin im Bereich Trivialliteratur mit Wortfindungsstörungen, entsteigt regelwidrig dem Publikum und tritt ihren letzten Behördengang an, um sich mit einer Dankesrede zu verabschieden. Eine erste Störung im Betriebssystem. Sachbearbeiter demonstrieren ihre Macht Regisseurin Sophie Killer perlt einen üppigen Reigen tragikomischer Bilder aneinander, in denen Sachbearbeiter ihre Macht demonstrieren. Sie lässt sie im Schulterschluss aus der Luke krabbeln, hinter Stempeln abtauchen oder die nächste &bdquo;Opferwurst“ beschnüffeln, abstempeln, abschütteln. Nur Maude lässt sich nicht abschütteln und hat ihre eigene Taktik. Eigentlich möchte sie nur eine Erhöhung des Tagessatzes von 5,71 Euro auf 8 Euro. Denn die Bürgergeldempfängerin hat den täglichen Regelsatz für Bildung von 1,81 Euro versehentlich verzehrt. Zum ungleichen Trio gesellt sich Silke (Kirsten Potthoff), Enterbte und erstes Opfer der Reform, die zornig ihren Anspruch auf ein Lotterielos geltend macht. Mit Sachbearbeiter Gabor liefert sie sich ein großartig skurriles Gefecht über die Verantwortlichkeit vorformulierter Vorlagen in einer Endlosschleife. Und plötzlich wird alles feurig und fahrig, denn die Frauen – die eine unbedarft, die andere zielorientiert – avancieren zu einem Team, bewaffnet und Gerechtigkeit einfordernd. Nur: Verstehen die beiden Freundinnen aus unterschiedlichen Vermögensklassen tatsächlich das gleiche unter &bdquo;Gerechtigkeit“? Die eigentliche Schwachstelle des sachlichsten der Sach-Bearbeiter ist schnell gefunden. Denn Gabors &bdquo;Jeep“, der in echt ein Mercedes G 400 D ist, ist seine zweite Identität. Auch das Publikum bleibt nicht verschont Die dunkle Komödie eskaliert. Das staatlich verordnete Spiel der &bdquo;Erb-Lotterie“, in dem Gabor im Mündungslauf zwangsweise die Glücksfee spielt, mündet in eine großartig choreografierte Verfolgungsjagd, in der ein Double noch die Absurdität steigert. Der Jeep brennt, die Los-Kugeln rollen, auch das Publikum bleibt nicht verschont vom (Un-)Glück eines Loses. Mitreißend die konsequente Spielweise, mit der die Schauspieler ihre Figuren mit Leben erfüllen. Allen voran brilliert Thomas Kaschel als unbestechlicher Sachverwalter Gabor, der die Amtssprache als zweite Muttersprache ausspuckt und die ausübende Vorschriftlichkeit in Person verkörpert. Gekonnt seine Umbrüche, wobei er in penetrante Belehrung verfällt, wenn es um seinen &bdquo;Jeep“ geht. Oder er angewidert die Augen verschließt vor dem &bdquo;armen Mittelstand“, der seinen Reichtum verleugnet. Oder er sich einfach nur nach vermittelbaren Berufen sehnt wie: Baggerfahrer. Mirjam Radovic lässt Maude mit großer Transparenz zwischen naiv, wehrhaft und herzensgut pendeln. Sie trägt die Seele auf der Zunge und ihre Wortfindungsstörungen stellen sich immer zur rechten Zeit ein. Gregor Weisgerber spielt den Sachbearbeiter mit jovialen Zügen. Plaudert dann wieder in direktem Ton mit dem Publikum über die Hintergründe des Handelns eines Gabors, über seine persönliche Trickkiste mit der Arbeiterklasse. . . Letztendlich stößt ein gestrandeter Sozialpädagoge auf die resolute Silke. Schauspielerin Kerstin Potthoff verleiht dieser blinde Entschlossenheit und Naivität, eigene Verstrickung und Rechtfertigung. Bitterböse und fulminante Persiflage &bdquo;Jeeps“ ist eine bitterböse Persiflage auf gesellschaftliche Missstände, von Regisseurin Killer fulminant in Szene gesetzt und mit genau jener Portion Humor versehen, die einem das Lachen bisweilen gefrieren lässt. Weitere Aufführungen: 16., 17., 30. September, 1., 5., 6., 14., 15., 19., 20. Oktober, 24., 30. November; Theaterkasse unter Tel. 05251 2881100.

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