Vater der seit drei Jahren vermissten Scarlett S.: "Wir haben nichts außer der Hoffnung"

Paderborn/Bad Lippspringe. Ihren Schutzengel hatte sie vergessen, als Scarlett S. zu ihrer ersehnten Wanderung in den Schwarzwald aufbrach. Zwar fand ihr Vater ihn noch, doch es war zu spät. Seine Tochter hatte sich bereits auf den Weg gemacht. Seitdem liegt ihr silberner Schlüsselanhänger in Form eines Engels im Wohnzimmer ihres Elternhauses, ein ständiges Andenken an die junge und lebenslustige Frau, die vor drei Jahren spurlos verschwunden ist. "Man denkt immer, es ist nur ein Albtraum", sagt Scarletts Vater. "Aber wir merken langsam: es ist kein Traum", fährt Ralf S. mit tränenerstickter Stimme fort. Er ist kürzlich 60 Jahre alt geworden, ein runder Geburtstag, eigentlich ein Grund zum Feiern. Doch gefeiert hat er nicht. "Alles ist überschattet, man freut sich über nichts mehr", sagt er. Seit jenem ersten Anruf am 11. September 2020 ist im Leben von Scarletts Eltern nichts mehr wie vorher und alles von zwei Fragen bestimmt: "Wo ist Scarlett? Und was ist mit ihr passiert?" Scarlett war im Sommer 2020 aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig von einer Asien-Reise zurückgekehrt und später mit ihrer Mutter sechs Wochen lang auf dem Jakobsweg gewandert. "Das hat etwas in ihr ausgelöst", glaubt Ralf S. Seitdem war Wandern die große Leidenschaft der damals 26-Jährigen, die ihr Vater als fröhlich und aufgeschlossen, selbstständig und zielstrebig beschreibt. Ende August brach die gelernte Sozialversicherungskauffrau Richtung Schwarzwald auf, um dort allein die sechs Etappen des Schluchtensteigs zu gehen. Das Ziel der letzten Etappe erreichte sie nicht, ihre Spur verliert sich zwischen Todtmoos und Wehratal. Beunruhigende Nachricht kommt per Telefon Als eine Freundin anruft, weil Scarlett nicht wie verabredet am Tag zuvor bei ihr angekommen ist, hoffen ihre Eltern und ihre Schwester zunächst, dass ihre Tochter sich nur verspätet oder spontan umentschieden hat. Doch nachdem sie nicht zu erreichen ist und immer mehr Zeit vergeht, wird die Polizei eingeschaltet. Am nächsten Tag fahren Ralf S. und seine von ihm getrennt lebende Frau nach Todtmoos. "Als wir dort ankamen, wurde es richtig schlimm", erinnert er sich. Angesichts der schier unendlich wirkenden bergigen Waldlandschaft hätten sie sich noch während der Fahrt verzweifelt gefragt: "Wie wollen wir sie hier finden?" Eine Woche bleiben ihre Eltern, solange läuft auch die groß angelegte Suchaktion. "Wir hatten gehofft, sie wieder mitnehmen zu können", erinnert sich der Vater. Stattdessen bringt er nur ihr Auto mit zurück, das einsam und verlassen am Beginn des Schluchtensteigs stand. Hunderte Meldungen, doch sie bleibt verschwunden Es vergehen Tage, Wochen, schließlich Monate und Jahre. Die Suche wird bald eingestellt, die Ermittler gehen von einem Unfall der jungen Frau aus. Scarletts Eltern müssen die Wohnung ihrer Tochter in Bad Lippspringe ausräumen, sie geben DNA-Proben ab, um eine mögliche Leiche identifizieren zu können. Zwischenzeitlich wird wegen eines möglichen Verbrechens ermittelt, doch das Todesermittlungsverfahren wird ebenfalls eingestellt. Laut den Strafverfolgungsbehörden gibt es keine Hinweise auf eine Straftat. Viele hunderte Meldungen gehen ein, Fernsehsendungen wie "Aktenzeichen XY: Vermisst" berichten über den Fall. Konkrete Spuren jedoch bleiben aus. Für die Familie sind diese Jahre ein Wechselbad der Gefühle; die Hoffnung, wenn es Hinweise gibt, die Ernüchterung, wenn sie ins Nichts führen. Gerührt verfolgen sie, dass viele Menschen Anteil an ihrem Schicksal nehmen und selber Aufrufe und Suchen starten. "Es ist bemerkenswert, dass wildfremde Menschen so viel Zeit für jemanden investieren, den sie überhaupt nicht kennen", sagt Ralf S. über die Initiatoren der Facebook- und Instagram-Gruppe "Bitte findet Scarlett". Ralf S. liest immer wieder Scarletts letzte Nachrichten Die Eltern klammern sich an jedes "Strohhälmchen". Sogar mit vermeintlichen Hellsehern hatten und haben sie Kontakt. "Wir haben ja nichts außer der Hoffnung", erklärt Scarletts Vater. Was ihm bleibt, ist die Erinnerung an seine Tochter, die zwar bereits mit 18 Jahren auszog, aber stets engen Kontakt zu ihren Eltern hielt. Auf seinem Handy liest Ralf S. immer wieder die letzten, oft ganz banalen Textnachrichten durch, die er mit Scarlett ausgetauscht hat. Er lauscht ihrer Stimme in den Sprachnachrichten, die sie ihm geschickt hat. Und natürlich betrachtet er die Fotos, auf denen die junge Frau immer fröhlich ist, immer lächelt und noch ihr ganzes Leben vor sich zu haben scheint. Die Gedanken sind stets bei der Tochter Und er denkt natürlich zurück an das letzte Treffen vor ihrem Aufbruch in den Schwarzwald. Scarlett, die in Bad Lippspringe lebte, hatte noch etwas für ihre Reise abgeholt, es war ein ganz normaler Besuch. "Da habe ich sie das letzte Mal gesehen", erinnert sich der Vater. Seitdem sei vieles nebensächlich geworden, sagt er. "Man lebt zwar weiter, aber nicht mehr unbeschwert." Die Gedanken seien stets woanders, sagt er und meint: bei seiner Tochter und der Frage, was aus ihr geworden ist. Kurz nach dem dritten Jahrestag ihres Verschwindens ist Scarletts 30. Geburtstag. Ralf S. gehen viele Fragen durch den Kopf Der Brandschutztechniker verbringt viel Zeit im Auto, da hat er reichlich Zeit zum Nachdenken. Was, wenn sie jemand entführt hat? Hat ihr jemand aufgelauert? Wird sie irgendwo festgehalten? An einen Unfall mag er kaum noch glauben, hat aber längst alle Möglichkeiten durchgespielt. Vielleicht wollte Scarlett auch einfach ein neues Leben anfangen? Auch wenn ihr Vater sich nicht vorstellen kann, dass sie einfach so gehen würde. Und so hofft Ralf S. auch weiterhin jeden Tag, "dass sie noch lebt und wieder kommt". Lesen Sie auch: Die Suche nach Scarlett S. aus Bad Lippspringe: Was bisher geschah Bei jedem Anruf von einer unbekannten Nummer hofft er, gleich die Stimme seiner Tochter zu hören. Sieht er eine junge Frau mit blonden Haaren und ungefähr Scarletts Größe von 1,60 Meter, schaut er unwillkürlich ein zweites Mal hin, ob sie es nicht doch sei. "Was ist mit ihr passiert? Was war mit ihr los, als sie gemerkt hat, dass etwas schief läuft?" Immer wieder kommen diese Fragen hoch. Daran denke er nicht täglich, nicht stündlich, sondern minütlich, sagt Ralf. S. mit leiser Stimme. Ein leeres Zimmer im Elternhaus In Scarletts altem Kinderzimmer im Elternhaus hat er nichts verändert. Im Regal stehen noch die Bücher, die sie beim Auszug zurückließ. Kuscheltiere schauen hinab auf ein Bett, in dem sie seit Jahren nicht geschlafen hat. Fotografien zeigen Scarlett als kleines, aufgewecktes Mädchen. Mitten im Raum jedoch steht eine Staffelei. Darauf hat Ralf S. auf einer Karte des Schwarzwald Scarletts Wanderroute mit grünen Stecknadeln markiert. Rote Nadeln stehen für vermeintliche Sichtungen seiner Tochter. Die einzige schwarze Stecknadel gibt jenen Ort an, den die junge Wanderin nie erreichte. Zum dritten Jahrestag des Verschwindens fuhren auch Scarletts Eltern wieder dorthin. Sie haben sich wie in den vergangenen Jahren mit ehrenamtlichen Helfern getroffen, die die Suche nach ihrer Tochter noch nicht aufgegeben haben. Und sie sind wieder die letzte Etappe des Schluchtensteinwegs von Todtmoos aus gewandert, wie sie es schon öfter getan haben. Auf dem Weg gehen sie dort entlang, wo ihre Tochter hergegangen ist, sehen das, was sie gesehen hat, berühren, was sie berührt hat. An manchen Stellen ist die Route mit Seilen gesichert, da wüssten sie einfach: "Dieses Seil hat sie angefasst." Vielleicht, so malt es sich Ralf S. aus, "bleibt das jetzt so, dass wir da immer hinfahren." Solange, bis das Schicksal seiner Tochter aufgeklärt ist. Auf Facebook hat sich Ralf S. zum dritten Jahrestag erstmals in einer berührenden Videobotschaft geäußert: Um Scarletts Schicksal geht es auch in diesem Podcast aus der Reihe "OWL Crime":

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