"Kein Kavaliersdelikt": Unfallflucht-Vorstoß wird in Paderborn kritisch gesehen

Paderborn. Das Bundesjustizministerium schlägt vor, Unfallflucht ohne Personenschaden künftig nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu bewerten. Dadurch soll die Justiz entlastet werden. Doch was bedeutet das für Geschädigte und Unfallverursacher? Und kann das Ziel durch die vorgeschlagene Regelung wirklich erreicht werden? Die Paderborner Polizei und Justiz ordnen die Bedeutung von Unfallflucht ein und bewerten die Konsequenzen einer möglichen Gesetzesänderung. Jeder Autofahrer weiß, wie schnell es passiert: Eine Unaufmerksamkeit beim Einparken reicht für eine Schramme am Nachbarauto. Michael Biermann, Pressesprecher der Polizei Paderborn, weist darauf hin, was zu tun ist, um nicht als Unfallflüchtiger zu gelten: Der Fahrer müsse bei Sachschäden mindestens 30 Minuten warten, um den Autobesitzer zu informieren. Denkbar sei auch, den Geschädigten ausrufen zu lassen, wenn die Parkfläche zu einem Geschäft gehört. "Der Fahrer sollte aktiv versuchen, den Betroffenen zu informieren", so Biermann. "Es ist jedenfalls nicht ausreichend, einfach einen Zettel zu hinterlassen." Für die Polizei würde sich nichts ändern In 1.686 Fällen haben Autofahrer im vergangenen Jahr im Kreis Paderborn aber nur oder nicht einmal einen Zettel hinterlassen und sich vom Unfallort entfernt. Nach aktueller Gesetzeslage begeht der Autofahrer damit eine Straftat. "Das ist kein Kavaliersdelikt", sagt Biermann. Die Polizei nimmt dann die Anzeige auf, sichert Spuren und Zeugenaussagen, wenn möglich. Der Ablauf würde sich auch bei einer Entkriminalisierung nicht ändern. "Wenn Zeugen da sind, ist es für uns ideal. So können immer wieder Fälle geklärt werden." 728 Mal gelang im vergangenen Jahr eine Aufklärung bei Fällen von Unfallflucht ohne Personenschaden. Ändern würde sich mit der neuen Regelung der weitere Ablauf. Die Verfahren würden dann von der Polizei nicht mehr zur Staatsanwaltschaft, sondern an die örtliche Ordnungsbehörde weitergeleitet, erklärt Günter Köhne, Direktor des Paderborner Amtsgerichts. Wenn also ein Autofahrer ein anderes Auto rammt und Fahrerflucht ohne Personenschaden begeht, gibt es nach aktueller und vorgeschlagener neuer Regelung zwei Varianten für das Vorgehen. Nach der aktuellen Regel bewertet die Staatsanwaltschaft den Fall und erhebt Anklage beim Amtsgericht, beantragt den Erlass eines Strafbefehls oder stellt das Verfahren ein. Den Unfallverursacher erwarten eine Geldstrafe und bei einem Schaden ab 1.500 Euro kann die Fahrerlaubnis bis zu einem Jahr entzogen und in schlimmen Fällen sogar eine Haftstrafe angeordnet werden. Mehr Einsprüche gegen Bußgeldbescheide befürchtet Wenn die Fahrerflucht in Zukunft nur noch als Ordnungswidrigkeit eingestuft würde, müsste die Polizei den Fall nach ihren Ermittlungen an die örtliche Ordnungsbehörde weiterleiten, die wiederum einen Bußgeldbescheid erstellen würde. Auch hier erwartet den Unfallfahrer eine Geldstrafe. Es kann unter Umständen ein Fahrverbot von bis zu drei Monaten ausgesprochen werden. Die örtlichen Straf- und Bußgeldrichter würden laut Köhne den neuen Vorstoß ablehnen. Er befürchte, dass die abschreckende Wirkung des höheren Strafmaßes bei einem Strafverfahren mit dem Entzug der Fahrerlaubnis wegfiele. Ein Unfallverursacher würde eher den Bußgeldbescheid in Kauf nehmen als eine höhere Einstufung in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Es sei zu erwarten, "dass die Chancen eines Geschädigten im Straßenverkehr, seinen Schaden auch tatsächlich ersetzt zu bekommen, massiv verringert würden", so Köhne. Ein weiterer Nachteil könnte sein, dass mehr Menschen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegen würden. Wenn Einspruch eingelegt würde, käme der Fall über die Staatsanwaltschaft wieder zum Amtsgericht und würde in einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, erklärt Köhne. Für die Staatsanwaltschaft sei daher mit einer Entlastung durch den Vorschlag zu vermuten, bei den Gerichten rechnen er und seine Kollegen nicht damit, so Köhne. "Die aktuelle gesetzliche Regelung hat sich bewährt."

Meistgelesen