Beleidigungen, Überlastung und mehr: Angespannte Lage in der Notaufnahme

Kreis Paderborn. Die Notaufnahmen im Kreis Paderborn sind überlaufen - aber nicht mit Notfällen. Die Folge: extrem lange Wartezeiten in den Notaufnahmen, Unzufriedenheit bei den Patienten und maximaler Stress für die Klinik-Mitarbeiter. Daher schickten die Rettungsdienste des Kreises Paderborn, die Krankenhäuser und die Kassenärztliche Vereinigung in der vergangenen Woche einen gemeinsamen Appell an die Öffentlichkeit. Hat diese Aktion bereits Wirkung gezeigt? St.-Vincenz-Kliniken Kirsten Schäfers, Chefärztin der Zentralen Notaufnahmen im St.-Vincenz-Krankenhaus bilanziert: "Bisher gab es keine spürbaren Veränderungen." Bei etwa 15 bis 20 Prozent der Patienten in der Notaufnahme handelt es sich ihrer Einschätzung nach nicht um einen Notfall. Das entspricht 8.000 Patienten pro Jahr in den St.-Vincenz-Kliniken. Die Situation erklärt sich die Chefärztin nicht nur mit Bequemlichkeit der Patienten, sondern auch mit fehlenden Informationen: "Sicherlich ist den Notfallpatienten nicht bewusst, dass die ambulante Notfallversorgung für die Krankenhäuser massiv unterfinanziert ist." Kliniken würden pro ambulantem Notfall durchschnittlich 35 Euro erhalten. Dem stehen teure Untersuchungen wie Röntgen oder Computertomographien gegenüber, die häufig vor Ort durchgeführt werden. Aufgrund der langen Wartezeiten in der Notaufnahme hört das Personal laut Schäfers oft Beschwerden. Mitarbeitende an der Information schildern, dass es dort wiederholt zu aggressivem Verhalten aufgrund der geltenden Besucherregelungen komme. Hier gebe es häufig lange Diskussionen um die Testpflicht. Aus ihrer Sicht spielt der Fachärztemangel bei der Problematik eine große Rolle. Patienten hätten oft Beschwerden, die sie subjektiv stark belasten würden und möchten diese abklären lassen. Wenn ihnen dann vom Facharzt ein Termin in vier Monaten angeboten wird, wüssten sie oft keinen anderen Rat, als sich in der Klinik vorzustellen. Besonders im pädiatrischen Bereich bemerkt das St.-Vincenz-Krankenhaus eine erhöhte Patientenzahl in den Abendstunden, wenn die Bereitschaftspraxis im Medico geschlossen hat, berichtet Schäfers. "Ansonsten fehlen bei den niedergelassenen Fachärzten meiner Einschätzung nach Versorgungsmöglichkeiten im Bereich Gastroenterologie und in der Kardiologie", ergänzt Schäfers. Teilweise sei es auch schwierig für Patienten, die bisher keinen Hausarzt hatten, als Neupatient aufgenommen zu werden. Brüderkrankenhaus St. Josef Eine unverändert überfüllte Notaufnahme konstatiert auch Kai Klössing, Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) im Brüderkrankenhaus St. Josef: "Wir haben nach wie vor etwa 80 Menschen täglich, mit denen wir in der ZNA konfrontiert sind." Prinzipiell kann laut Klössing gesagt werden, dass viele Menschen mit einer bestimmten Erwartungshaltung in die ZNA gehen: Wer ein Problem hat, der will, dass es gelöst wird - und zwar rund um die Uhr, an allen Tagen im Jahr. Krankenhäuser würden in manchen Fällen als Versorgungsautomat angesehen werden. "Diese Haltung beobachten wir vor allem bei jüngeren Menschen so etwa zwischen Mitte 20 und Ende 40", so Klössing. Auch im Brüderkrankenhaus St. Josef sind Beleidigungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Tagesordnung. Eine Mitarbeiterin der Informationszentrale berichtet: "Es kommt vor, dass ambulante Patienten, die ins Krankenhaus wollen, den Impfnachweis nicht vorlegen." Wer keinen hat, wird ins nahe gelegene Testzentrum geschickt. "Obwohl das komfortabel ist, müssen wir uns Beschimpfungen wie 'Leck mich am Arsch' anhören." Wie soll es weitergehen? "Ein Patentrezept haben wir nicht. Dass sich die Zahl derjenigen, die die Notaufnahme aufsuchen, nicht verkleinert, hat sicher auch mit Corona zu tun: Die Menschen haben einfach Angst. Nicht nur vor Krankheiten. Sie haben auch Angst davor, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Es ist immer sicherer, einen Arzt zu fragen. Und Sicherheit wollen alle." Medizinisches Zentrum für Gesundheit Den Prozentsatz von Patienten, die falsch in der Notaufnahme sind, schätzen Mitarbeiter der Karl-Hansen-Klinik in Bad Lippspringe auf satte 80 Prozent. "Die Patienten sind sehr anspruchsvoll und meinen bei jeder Kleinigkeit, sie seien ein Notfall", heißt es auf Anfrage der Neuen Westfälischen von Notaufnahme-Mitarbeitern der Karl-Hansen-Klinik. Fachärztemangel sei ein großes Problem und eine Ursache für das hohe Patientenaufkommen in der ZNA. Es sei für die Hausärzte einfacher, den Patienten eine Einweisung in ein Krankenhaus in die Hand zu drücken, als wochen- oder sogar monatelang auf einen Facharzttermin zu warten. "Damit wird die Verantwortung an das Krankenhaus weitergegeben", heißt es. Welche Fachrichtungen sind im Kreis Paderborn deutlich unterbesetzt? "Nahezu alle", unterstreicht Erik Christian Ernst, Chefarzt der Karl-Hansen-Klinik. Beleidigungen von Mitarbeitern sind auch in Bad Lippspringe eine Realität. "Die Intensität hat nicht nachgelassen, was ein wichtiger Grund ist, warum Mitarbeitende im Gesundheitswesen diesem den Rücken kehren", so Ernst. Das Anspruchsdenken auf jederzeitige Verfügbarkeit sei auch sehr groß geworden. Die Waage zwischen Inanspruchnahme der Notaufnahme und der Anzahl von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen werde immer ungünstiger. "Somit auch die Versorgungssituation", fast Ernst zusammen. Er sagt: "Wir brauchen einen 'Marshall-Plan Gesundheitswesen'. Die Lösung ist multimodal. Bausteine sind 24-Stunden-Krippen, sinnvolle Teilzeitangebote, respektvoller Umgang der Kunden mit den Leistungserbringern, dringende Entlastung von einer ausufernden Bürokratie und vieles mehr." Die Mitarbeiter der Notaufnahme in Bad Lippspringe prognostizieren: "Langfristig wird das Personal die Segel streichen, weil das Aufkommen nicht mehr zu bewältigen ist. Es wird zu noch massiverem Kräftemangel kommen." St. Johannisstift Im St. Johannisstift wird davon ausgegangen, dass 40 Prozent der Patientinnen und Patienten eigentlich keine Behandlung in der Notaufnahme brauchen. Wie Sprecherin Kristina Schütze berichtet, weisen die Mitarbeiter in solchen Fällen "freundlich auf den ärztlichen Notdienst" hin. Gleichzeitig wird auch in dieser Einrichtung wahrgenommen, dass der Ton einiger Patienten rauer geworden ist. Sollte sich nichts ändern, sieht Schütze nur eine Option: "Die logische Konsequenz aus überfüllten Notaufnahmen ist eine schlechtere Patientenversorgung im Notfall." Ein Teil der Lösung könne sein, die Achtsamkeit der Menschen weiter zu schärfen und Patienten, die keiner Behandlung im Krankenhaus bedürfen, konsequent zum ärztlichen Notdienst oder in die niedergelassenen Praxen weiterzuleiten. Probleme wie der Facharztmangel müssten parallel angegangen werden.

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