Neue Vorsitzende: Jüdische Gemeinde muss in Paderborn präsenter werden

Haben Sie damit gerechnet, dass Sie mal Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in Paderborn werden? XENIA NICKEL: Für mich war das sehr überraschend. Ich wurde von mehreren Leuten angesprochen, die meinten: "Du bist jung und dynamisch, das braucht unsere Synagoge, hättest du vielleicht Lust?" Ich habe dann gedacht, ja, okay, ich könnte mir das vorstellen. Nachdem mein Vorgänger Herr Kogan Anfang des Jahres zurückgetreten war, hatte übergangsweise ein anderes Mitglied die Gemeinde geführt, da dringend jemand gebraucht wurde. Im Juni wurde ich dann für drei Jahre gewählt. Sie haben Alexander Kogan bereits angesprochen. Im vergangenen Dezember sorgte er für einen Eklat, als er bei zwei öffentlichen Veranstaltungen die Corona-Politik mit der Juden-Verfolgung in der NS-Zeit verglichen haben soll. Wie stehen Sie zu Kogans Äußerungen? Der Vergleich ist absurd. Seine Äußerungen waren ein No-Go, das sagt man nicht. Natürlich darf jeder eine Meinung haben, wir leben in einem freien Land. Aber manche Sachen muss man für sich behalten, gerade in der Position, in der er war. In dieser Situation sprach er nicht für sich, sondern für die ganze Gemeinde. Wenn man etwas gesagt hat, kann man das nicht mehr zurücknehmen. Man kann sich entschuldigen, aber das bleibt in den Köpfen. Das fand ich sehr schade, was ein paar Sätze kaputtmachen können und wie dadurch die Jüdische Gemeinde, für die er jahrelang tolle Arbeit geleistet hat, in ein schlechtes Licht gerückt wird. Wie hat die Gemeinde auf die Äußerungen von Alexander Kogan reagiert? Keiner hier hat seine Meinung vertreten. Alle haben gesagt: Das geht nicht. Er hat sich innerhalb der Gemeinde entschuldigt. Da er zudem erkrankt war, musste er zurücktreten. Nun leiten Sie die Gemeinde. Welche Herausforderung sehen Sie in Ihrem Amt? Es sind sehr viele Herausforderungen. Ich möchte, dass die Gemeinde wächst. Wir haben in Paderborn und Umgebung viel mehr jüdische Mitbürger, als die Gemeinde tatsächlich Mitglieder hat. Seitdem ich hier bin, bekomme ich Anfragen, dass Menschen Teil der Gemeinde werden möchten. Das freut mich. Und ich möchte die Jüdische Gemeinde mehr in die Öffentlichkeit bringen, sodass jeder Paderborner weiß: An der Pipinstraße, Ecke Borchener Straße, steht eine Synagoge. Viele Leute denken beim Stichwort Synagoge an das Mahnmal neben dem St.-Vincenz-Krankenhaus. Woran liegt es, dass die Synagoge in Paderborn nicht so stark wahrgenommen wird? Unsere Synagoge sieht nicht wie eine typische Synagoge aus. Und wir waren in der Vergangenheit nicht so viel in der Öffentlichkeit, der Fokus lag mehr auf das innere Gemeindeleben. Wenn wir jetzt zum Beispiel im September das Neujahrsfest feiern, dann will ich das an die Öffentlichkeit bringen. Was haben Sie darüber hinaus vor? Ich möchte gerne, dass Schulklassen die Synagoge besichtigen und ein bisschen etwas über Judentum erfahren. Auch möchte ich, dass wir hier öfter Feste feiern, Konzerte anbieten und Angebote für Kinder und Jugendliche machen. Zudem sollen ein paar Erneuerungen stattfinden, weil schon lange nicht mehr renoviert wurde. Wir werden die Terrasse neu machen, damit man im Sommer schön draußen sitzen und feiern kann. Drinnen möchten wir streichen und eine neue Küche einbauen. Wir haben einen super Koch, jeden Tag kommen Mitglieder hierhin, um zusammen koscher zu essen. Generell ist jeder bei uns willkommen, auch wenn es hier ein paar andere Sicherheitsmaßnahmen als in christlichen Kirchen gibt, da in der Vergangenheit Attentate auf Synagogen stattgefunden haben. Fühlen Sie sich als Jüdin dennoch sicher? Ja, ich persönlich fühle mich sehr sicher in Paderborn. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich eine Jüdin bin. In anderen Städten ist das anders. Ich habe eine Freundin in Düsseldorf und werde nie vergessen: Als ich bei ihr zu Besuch war und wir rausgegangen sind, hat sie mir geraten, meine Kette mit dem Davidstern unter dem Pulli zu tragen. In Paderborn sehe ich kein Problem, den Davidstern offen zu tragen. Sie stammen aus der Ukraine. Wie sehr beschäftigt Sie der russische Angriffskrieg? Ich engagiere mich für geflüchtete, ukrainische Familien und hatte zeitweise mehrere Leute zuhause aufgenommen, die mittlerweile in eigenen Wohnungen untergekommen sind. Ich kümmere mich jetzt noch um Behörden- oder Arztgänge. In der Realschule in der Südstadt unterrichte ich seit ein paar Monaten Deutsch für ukrainische Kinder. Das sind ganz tolle, fröhliche Kinder, die leider sehr viel erlebt haben. Mir geht die Situation in der Ukraine nahe. Ich habe meine Kindheit, meine Jugend dort verbracht. Ich habe mein Zuhause, das ist Deutschland, aber ich habe auch eine Heimat, das ist die Ukraine. Mit den Ukrainern leide ich sehr mit.

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