Dem Wirtschaftsstandort Paderborn drohen Probleme

Paderborn. Fachkräfte sind das Rückgrat der Wirtschaft. Doch immer schwieriger fällt es vielen Firmen, genug Nachwuchs zu bekommen - egal, ob in Handwerk, Handel oder Industrie. Einerseits blieben laut Arbeitsagentur zuletzt im Kreis Paderborn über 100 Lehrstellen (von rund 2.000) unbesetzt, andererseits blieben ungefähr ebenso viele junge Leute am Jahresende ohne Lehrstelle - aus mancherlei Gründen. Dabei gilt Deutschland mit seinem System der Dualen Ausbildung, also der Kombination aus betrieblichen und schulischen Elementen, als führend. Woran also hapert es? Wer sich in der Wirtschaft umhört, stellt fest: Jede Branche hat zwar ihre eigene Problemlage. Alle gemeinsam jedoch konstatieren einen riesigen und zudem wachsenden Beratungs- und Informationsbedarf - nicht nur bei Schülern, sondern auch bei ihren Eltern. Allein der ungebrochene Trend zum vermeintlich zukunftssicheren Studieren macht den Betrieben riesige Probleme. Unlängst forderten die regionalen Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der Industriegewerkschaft Metall (IGM) und der Vizepräsident der Handwerkskammer OWL, Ralf Noltemeyer, denn auch eine "Modernisierung der Dualen Ausbildung", weil zuletzt die Pandemie die Krise auf dem Ausbildungsmarkt noch verschärft habe. Die Zielrichtung der Gewerkschaften ging dabei vor allem in Richtung Industrie. "Gut ausgebildete Fachkräfte werden noch mehr zu einem Standortfaktor", sagt dazu Thomas Koch, Ausbildungsleiter beim Industriebetrieb Benteler. Der Zulieferer für die Automobilbranche zählt in der Region mit jährlich mehr als 50 Auszubildenden zu den größten Ausbildungsbetrieben. Die Lücke in der Dualen Ausbildung werde auch hier von Jahr zu Jahr größer, sagt Koch. Viele junge Menschen, die besser eine Lehre gemacht hätten, kämen erst als frustrierte Studienabbrecher. Womit Betriebe gute Erfahrungen machen Qualifizierte Beratung und unternehmensnahe Berufsorientierung könnten vor Fehlentscheidungen bewahren, meint Koch. Wichtig sei, dass dabei die Ausbildung in MINT-Berufen in den Vordergrund gestellt werde, also im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Gute Erfahrungen mit Praktika, Vorträgen und Schulkooperationen, Stipendien, der gezielten Förderung von Mädchen und jungen Frauen in MINT-Berufen sowie speziellen Projekten hat in diesem Zusammenhang Jörg Kesselmeier, Chef des IT-Dienstleisters Connext gemacht. Dort werden jährlich zwölf junge Leute ausgebildet, dazu kommen Dual Studierende an der Fahchhochschule der Wirtschaft (FHDW). "Viel Arbeit und viel Herzblut für die Nachwuchsförderung" nennt Kesselmeier das. Alle Branchen und Verbände in ein Boot holen will nun die Stadt Paderborn. CDU und Grüne haben das Problem nämlich in ihrem Koalitionsvertrag als wichtigen Faktor für den Wirtschaftsstandort Paderborn identifiziert und gerade per Ratsbeschluss eine übergreifende Initiative zur Attraktivierung der Dualen Ausbildung beschlossen. Dazu sollen, wie es heißt, "mit allen relevanten Akteuren sämtliche Möglichkeiten auf lokaler Ebene" ausgelotet werden. Als ersten Schritt soll die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Paderborn (WFG) eine Fachtagung all jener Akteure organisieren. Das Ziel: Probleme analysieren, Lösungsansätze entwickeln, Rahmenbedingungen verbessern. Für WFG-Chef Frank Wolters drängt das Thema sehr - gerade weil man schon seit zwei Jahrzehnten darüber rede. Arbeitskräfte fehlten inzwischen überall, sagt er. Deswegen sei es auch wichtig, Akteure aus allen Bereichen - Handwerk, Handel, Industrie, Gewerkschaften, Verbände, Behörden - zusammenzubringen. Man müsse offen sein für jede Art von Vorschlag, alle Aspekte wie Mobilität oder Wohnen müssten zusammen gedacht werden. Die Fachtagung peilt er für das Ende der ersten Jahreshälfte an, zunächst müssten mit allen Akteuren noch Vorgespräche geführt werden.Ein Wohnheim halten viele für überflüssig Dazu gehört nicht zuletzt die Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe, die gerade an ihrem Sitz an der Waldenburger Straße unter dem Etikett "Ausbildungscampus" für 16 Millionen Euro umfangreiche Sanierungen und Neubauten plant. Dort will sich das Handwerk als moderner Arbeitgeber präsentieren. Hauptgeschäftsführer Michael Lutter ist nicht ganz so begeistert von dem aktuellen Vorstoß: "Wir sind doch in Sachen Dualer Ausbildung seit Jahren schon schwer aktiv. Es gibt aber nun mal zu wenig junge Leute. Gerade versuchen wir, mehr über die Lehrer an sie heranzukommen." Lutter befürchtet, dass ein zusätzliches Netzwerk nur zu unnötigen Doppelstrukturen führe. Anders als die Forderung nach einem Azubi-Ticket für den Nahverkehr, die auch die Handwerkerschaft schon vorgebracht hat, hält Lutter zum Beispiel ein Azubi-Wohnheim, wo Auszubildende womöglich sogar verköstigt würden, für überflüssig. Einen entsprechenden Prüfauftrag hatte der Rat nämlich gleich miterteilt. Die Stiftung Bildung und Handwerk der Kreishandwerkerschaft habe einschlägige Erfahrung: An der Abtsbrede, in Sichtweite ihres Sitzes an der Waldenburger Straße, steht bereits ein aus zwei Häusern bestehender Wohnkomplex, der von privaten Investoren gebaut wurde und für Lehrlinge oder Meisterschüler gedacht war. Dort wohnen tatsächlich aber Studierende. "Die Nachfrage nach Wohnraum für Auszubildende war gleich Null", sagt Michael Lutter. Inzwischen fänden zum Beispiel Meisterkurse ja auch vor allem online statt. Falls doch mal Bedarf bestehe, sei es aber kein Problem, in den Häusern wieder Appartements dafür zu reservieren.Lutters Sicht auf diese spezielle Art der Förderung wird unterdessen von Vertretern der Wirtschaft geteilt. Jörg Kesselmeier: "Die Unterbringung war für uns bislang nie ein Problem." Benteler-Ausbildungsleiter Thomas Koch wiederum kann sich einen Bedarf nur in Einzelfällen vorstellen. Erfahrungsgemäß suchten sich Schülerinnen und Schüler eine Lehrstelle, die sie täglich erreichen könnten. Insofern sei eine Art Semesterticket sinnvoll. Grundsätzlich hält zum Beispiel Koch den neuen Vorstoß jedoch für sinnvoll. Er sagt: "Jede Initiative, die jungen Menschen eine Ausbildung näherbringt, ist zu begrüßen."

Meistgelesen