Gewalt gegenüber Polizisten: "Es ist gefährlicher geworden für uns"

Kreis Paderborn. "Die Kollegen sind nach wie vor fassungslos", sagt Christoph Reinen vom Kreisverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Fassungslos ob einer Tat, die in Rheinland-Pfalz zwei Polizisten das Leben kostete. Erschossen bei einer Fahrzeugkontrolle, ein Einsatz, wie er auch im Kreis Paderborn tagtäglich vorkommt. Daher würden sich die Polizeibeamten hier nun die Frage stellen: "Passe ich gut genug auf mich auf?" Selbst die harmlosesten Situationen könnten eskalieren. "Es ist rauer geworden", so Reinen. Auch Helmut Flottmeyer-Joos, Kreisverbandsvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) sagt: "Es ist gefährlicher geworden für uns. Die Hemmschwelle, einen Polizisten anzugreifen, ist gesunken." 116 solcher Fälle hat die Paderborner Polizei im vergangenen Jahr registriert, sie fallen in der Statistik unter den Bereich "Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen", erklärt Polizei-Sprecher Michael Biermann. Die Zahl bedeutet einen leichten Anstieg gegenüber 2020 mit 102 Fällen. "Spucken, schlagen, treten, beißen - das ist am meisten vertreten", sagt Biermann. "Es gibt aber auch Fälle, in denen das Gegenüber ein Messer zieht. Ich weiß von verletzten, meist leicht verletzten, Kollegen, die kurzzeitig aus dem Dienst genommen wurden." An schwerwiegende Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit erinnere er sich nicht. "Viele Sachen sind gruppendynamisch" Und dann gebe es noch eine "Respektlosigkeit, die sich den Kollegen gegenüber zeigt", so Biermann. Im vergangenen Jahr hätten seine Kollegen 76 Strafanzeigen wegen Beleidigung gestellt (2020: 63). "Das sind dann ziemlich deutliche Worte", meint der Polizei-Sprecher. "Da ist 'Arschloch' noch ein gemäßigtes Wort." Die gemeldeten Beleidigungen bildeten überdies "nur die Spitze des Eisbergs" ab. Viele Maßnahmen, die Polizisten durchführten, würden in Frage gestellt, sagt dazu Christoph Reinen. Und zwar in verschiedenen Einsatzsituationen, wobei auffällig sei: "Viele Sachen sind gruppendynamisch. Gerade am Wochenende, sobald Alkohol im Spiel ist, merkt man das deutlich." Heutzutage erschwerten zudem aus dem Kontext gerissene Handy-Videos die Arbeit der Polizei, meint Helmut Flottmeyer-Joos, der auch Dienstgruppenleiter in der Bürener Wache ist. "Man wird immer beäugt", sagt er. "Da stehen Personen zusammen und sobald wir anfangen zu agieren, wird das Handy gezückt. Das Gegenüber versucht, einen mit Nachfragen zu reizen." Die Polizisten müssten dann beurteilen, wie sie mit Provokationen umgehen und wo die eigene Reizgrenze ist. Dabei käme es auch darauf an, "wie stark man ist", so Flottmeyer-Joos. "Wenn man zu zweit vor Ort ist, kann man nur sich selbst schützen." Dann ziehen sich seine Kollegen lieber zurück und warten auf Verstärkung. "Als Streifenpolizist muss man aufmerksamer, misstrauischer werden", meint Flottmeyer-Joos. "Wir sind keine Robocops" In der Aus- und Fortbildung sollen Polizisten auf Gefahrenlagen so gut wie möglich vorbereitet werden (siehe Infokasten). Letztlich sei Polizeiarbeit aber "keine Mathematik, sondern immer eine Wundertüte", so Christoph Reinen, der selbst jahrelang Einsatztrainer war. Zum Schutz der Polizeibeamten wurde in den vergangenen Jahren die Schutzausrüstung verstärkt. "Das ist besser geworden", meint Reinen. Er und seine Kollegen tragen draußen eine Weste. "Wenn ich dann zurück auf die Wache fahre, kann ich die Außentragehülle ablegen und sozusagen lüften. Das ist ein riesiger Vorteil." Vor Beschuss aus Schnellfeuerwaffen schützen diese Außentragehülle aber nicht, dafür gibt es Westen mit speziellen Platten, die die Polizisten im normalen Dienstalltag jedoch nicht tragen. "Ich kann ja nicht überall mit diesen Westen und Helm herumlaufen", meint Reinen. "Wir sind keine Robocops, sondern eine bürgernahe Polizei."

Meistgelesen