Cannabis: "Sich nicht von einem Mythos blenden zu lassen"

Paderborn. Der Chefarzt der Suchttherapie der Paderborner LWL-Klinik Tilmann Magerkurth blickt zwiegespalten auf die Ankündigung der Ampelkoalition, eine Legalisierung von Cannabis in die Wege leiten zu wollen. Aus suchtmedizinischer Perspektive weißt er auf die eindeutigen Risiken der psychoaktiven Droge insbesondere für junge Menschen hin. Er erkennt aber auch an, dass ein Weg aus der Illegalität gewisse Chancen bieten kann. Herr Magerkurth, was hat sich bei der Suchtthematik in Bezug auf Cannabis und im Verhältnis zu anderen Drogen in den letzten zehn bis 15 Jahren verändert? Tilmann Margerkurth: Es ist erheblich leichter geworden, Cannabis zu beziehen und der Konsum ist häufiger. Die Substanzen werden oft sehr ausgeklügelt angebaut und der Gehalt an THC ist gestiegen. Wenn mehr Menschen eine Substanz mit höherem Wirkstoffgehalt konsumieren, ist es wahrscheinlich, dass es mehr Probleme und Abhängigkeiten gibt - so ist es auch gekommen. Der Konsum anderer Drogen hat sich sehr unterschiedlich entwickelt, der Konsum von Amphetaminen ist gestiegen, der Konsum von Opiaten geht eher etwas zurück. Kann eine Legalisierung bei der Enttabuisierung der Suchtproblematik helfen? Ich glaube das nicht. Auch das Thema Alkoholabhängigkeit ist tabuisiert und keine Krankheit wie jede andere auch. Warum sollte das bei Cannabis anders sein? Im Laufe der Jahre wird sich sicher ein anderer Umgang mit Cannabis etablieren und die Diskussion um Abhängigkeit und negative Folgen entspannter werden. Daran, dass die Gesellschaft auf Menschen mit Abhängigkeitsproblemen herabschaut und sich damit am liebsten nicht auseinandersetzen möchte, wird sich nichts ändern. Müsste bei einer Legalisierung das System der Suchtprävention beziehungsweise Suchttherapie angepasst werden? Das ist derzeit noch nicht absehbar. Zunächst würde ich keine großen Anpassungsnotwendigkeiten erwarten. Im Suchthilfesystem wissen wir schon lange, dass es eine Vielzahl von Menschen gibt, die Cannabis konsumieren, ohne abhängig zu sein. Die benötigen unsere Hilfe nicht. Wahrscheinlich wird es bei einem Anstieg der Konsumenten auch zu einem Anstieg der Menschen mit einer Abhängigkeit kommen. Der Anstieg wird aber langsam und nicht explosionsartig erfolgen, so dass es ausreichend Möglichkeiten und Zeit geben wird, sich darauf einzustellen. Einstiegsdroge Cannabis gilt diese Behauptung und wie gestaltet sie sich im Verhältnis zu anderen Suchtthematiken? Das Phänomen der Einstiegsdroge existiert aus meiner Sicht nur dadurch, dass die Zugangswege im illegalen Bereich liegen. Die Wirkungen von Cannabis und anderen Substanzen unterscheiden sich so erheblich, dass der Konsum von Cannabis nicht automatisch den Konsum anderer Substanzen bahnt. Wenn es in Deutschland eine Einstiegsdroge gibt, dann ist das Alkohol. Viele der Menschen, die mit einer Abhängigkeitserkrankung zu uns kommen, haben sehr früh damit begonnen, Alkohol zu konsumieren, meist in steigenden Mengen. Welche Auswirkungen hat häufiger bis exzessiver Cannabis-Konsum auf junge Menschen? Gerade der regelmäßige Konsum bei Jugendlichen ist äußerst kritisch zu betrachten. Gerade in der Pubertät kommt es zu zahlreichen Umbauprozessen im Gehirn, die durch den Konsum von Cannabis empfindlich gestört werden. Es gibt keine Zweifel daran, dass sich bei Jugendlichen das Risiko, an einer schizophrenen Psychose zu erkranken, unter einem regelmäßigen Cannabiskonsum drastisch erhöht. Außerdem kommt es häufig zu antriebsarmen Beschwerdebildern und einer Unfähigkeit, soziale Anforderungen zu erfüllen. Die schulischen Leistungen verschlechtern sich häufig und der Wechsel aus dem schulischen System in eine selbstbestimmtere Ausbildung oder ein Studium wird schwieriger. Insgesamt werden viele notwendige Entwicklungsschritte gebremst. Wie unterscheiden sich die Auswirkungen etwa im Vergleich zu negativem Konsumverhalten bei Alkohol? Ein regelmäßiger Alkoholkonsum in der Jugendzeit richtet Schäden an, die vergleichbar sind, ausgenommen die Entstehung schizophrener Psychosen. Bei exzessiven Konsum kommen noch akute Vergiftungserscheinungen, die nicht selten ins Krankenhaus führen und - insbesondere bei männlichen Jugendlichen - eine massive Zunahme an Aggressionen mit daraus folgenden Gewaltdelikten. Die sieht man auch bei regelmäßigen Cannabiskonsumenten im Jugendalter nicht. Wäre eine Altersgrenze von 18 Jahren ausreichend oder sollte für Cannabis höher liegen? Aus suchtmedizinischer Sicht gilt: Je später ein Mensch beginnt, Rauschmittel zu konsumieren, desto geringer ist die Gefahr für seine Psyche. Was ein 25- oder 30-Jähriger problemlos tun und verkraften kann, gilt für einen 18-Jährigen nicht. Die Altersgrenze ist hier eher an der formalen Volljährigkeit orientiert und nicht an neuropsychologischen Erkenntnissen. Zieht man die zu Rate, wäre eine Altersgrenze von 21 Jahren sicher sinnvoller und angemessener. Hätte eine Legalisierung auch positive Auswirkungen? Die gäbe es natürlich. Der Aufwand, der durch die Strafverfolgung entsteht, könnte reduziert werden und der Fokus auf andere Substanzen wie Amphetamine gelegt werden, die weit schädlicher sind. Vermutlich wird es neben dem legalen Markt auch weiter einen Schwarzmarkt geben. Eine kontrollierte Abgabe von kontrolliert angebautem Cannabis würde einen Reinheitsgrad garantieren und die Schwankungsbreite des THC-Gehalts reduzieren. Damit lassen sich nicht alle Probleme vermeiden, aber die Sicherheit des Konsums würde in jedem Fall zunehmen. Abzuwarten bleibt, ob bewusster konsumiert wird. Das wird sehr individuell sein. Viele Menschen konsumieren bewusst Alkohol, andere tun das nicht. Es würden zusätzliche Steuern generiert, die dann in die Suchtprävention fließen könnten. Allerdings fließen Steuereinnahmen aus dem Alkoholverkauf auch nicht in die Prävention. Im medizinischen Bereich darf Cannabis seit 2017 eingesetzt werden. Wo liegen Vorteile und haben sich durch die Freigabe neue Suchtthematiken ergeben? Neue Suchtthematiken haben sich bisher durch den medizinischen Einsatz von Cannabis aus meiner Sicht nicht ergeben. Cannabis ist bei wenigen und oft sehr speziellen Erkrankungen nachgewiesen wirksam und hilfreich und wird entsprechend verordnet. Dazu gehört mit Einschränkungen die Schmerztherapie. Möglicherweise lassen sich hier andere Schmerzmittel einsparen oder die Gabe von Opioiden verzögern. Schwere Schmerzzustände erfordern aber weiterhin sehr häufig den Einsatz von Opioiden. Man muss bei Cannabis und Cannabinoiden aufpassen, sich nicht von einem Mythos blenden zu lassen. Cannabis ist kein Allheilmittel, sondern vermutlich bei einigen Erkrankungen unspezifisch hilfreich, ohne direkt auf die Erkrankung zu wirken. Viele Wirkungen müssen noch untersucht und verifiziert werden. Zu welchem Schluss kommen Sie in Sachen Cannabis? Cannabis ist weder so gefährlich, wie es von den Gegnern der Legalisierung dargestellt wird, noch so harmlos, wie es die Befürworter propagieren. Cannabis ist ein Rauschmittel, dessen Konsum Gefahren birgt, wie es beispielsweise auch bei Alkohol der Fall ist. Cannabis wird aber auf eine Gesellschaft treffen, die noch keinen Umgang mit dem Konsum entwickelt hat, den Konsum sozusagen "erlernen" muss, was weitere Probleme mit sich bringen wird. Wichtig ist, den Konsum im Kindes- und Jugendalter weitestgehend zu verhindern, da hier die Auswirkungen besonders problematisch sein können. Ob wir uns als Gesellschaft ein weiteres legales Rauschmittel leisten sollten, wo es doch schon beim Umgang Alkohol so viele Probleme gibt, entscheiden andere.

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