Anwohner in Paderborn: "So geht es am Westerntor nicht weiter"

Paderborn. Wenn sich Paderborn irgendwo nach Großstadt anfühlt, dann am Westerntor. Fußgänger, Autos, Radfahrer - nirgendwo pulsiert die Stadt im Takt der Ampeln derart wie rund um den Brunnen zwischen den zwillingshaft sich erhebenden Torhäusern am Beginn der Fußgängerzone. Doch während die einen den Trubel von ihrem Beobachtungsposten vor Kneipen und Cafés genießen, haben andere inzwischen die Nase gestrichen voll von den Schattenseiten des Großstadttrubels. Gemeint sind diejenigen, die dort wohnen. Sie klagen - und das nicht zum ersten Mal - über nächtlichen Lärm, Alkohol- und Drogenexzesse rund um die Uhr, Scherben und Schmutz. Urinlache und Scherben vor der Haustür "Seit Beginn der Corona-Pandemie werden schon in den frühen Morgenstunden beachtliche Alkoholmengen konsumiert, die im Laufe des Nachmittages bei einigen zu komatösen Zuständen führen", berichtet Jürgen Pöppel. Der 62-Jährige lebt von Geburt an am Westerntor, hat alle Phasen dort miterlebt und hat jetzt der Stadt einen geharnischten Brief geschrieben. Er sagt: "Ich habe selbst früher mein Bierchen im Paderquellgebiet getrunken und bin auch nicht für ein Alkoholverbot am Westerntor. Aber so geht es hier nicht weiter." Wenn Jürgen Pöppel morgens zum nahen Bäcker geht, muss er nach eigener Darstellung erst einmal aufpassen, dass er hinter seiner Haustüre nicht in eine Urinlache oder in Scherben tritt. "Neulich habe ich an einem einzigen Tag bis zum frühen Nachmittag drei Mal den Eingang säubern müssen. Sogar die Zeitung im Briefkasten war eingenässt." Für ihn ist das auch die Folge davon, dass das nahe Pissoir schon unerklärlich lange wegen "Wartungsarbeiten" geschlossen ist. Das sei wenigstens tagsüber auch benutzt worden. Pöppel: "Hier gehen täglich tausende Menschen lang. Warum gibt es nicht ersatzweise einen bewirtschafteten Toilettenwagen?" Bereich am Westerntorbrunnen Seine Beobachtung: "Da an der Seite des Westerntors zum Riemeke Bänke demontiert wurden und der bislang gut frequentierte Bereich um das Toilettenhäuschen für die entsprechende Szene auf Grund der Bauarbeiten nicht mehr zur Verfügung steht, fokussiert sich nun alles um den Bereich am Westerntorbrunnen." Und der Alkoholkonsum lässt die Hemmschwellen sinken, wenn die Blase drückt. Der Paderborner: "Das sind Zustände, die ich weder meinen Mietern noch unseren Kunden zumuten kann und die mich als Paderborner beschämen, wie das Eingangstor zu unserer Innenstadt aussieht. Es ist einfach nur noch peinlich." Als die Situation rund um das Westerntor im letzten Jahr schon einmal Schlagzeilen machte, versprachen Ordnungsamt und Polizei, sich zu kümmern. Es gab vermehrt Kontrollen, regelmäßige Gespräche mit Anwohnern wurden vereinbart. Tatsächlich schien sich die Lage zu bessern - so jedenfalls ein offizieller Bericht des Landrats als Polizeichef vom Februar. Doch dann kam Corona - und mit dem Virus zunächst der Lockdown und dann die lange Schließung von Kneipen und Clubs. Das Westerntor wurde immer mehr zum Freiluft-Treffpunkt. Das sagt die Polizei: Tatsächlich registriert die Polizei rund um das Westerntor seit zwei Monaten wieder ein erhöhtes Einsatzgeschehen, das auch über der Situation von vor dem Lockdown liegt. So seien allein im Juni dort zwölf Ruhestörungen gemeldet - doppelt so viele wie im Februar. Dem versuche man mit erhöhter Präsenz zu begegnen, könne aber auch nicht überall sein, so der Hinweis auf aktuell verstärkte Kontrollen auch gegenüber der Autotuning-Szene. Andere Deliktarten seien rund ums Westerntor dagegen nicht über frühere Maße hinaus auffällig: Im Juni sei dort nur ein Fall von Drogenhandel registriert worden, dazu drei Körperverletzungsdelikte (im Januar hatte es noch 18 Körperverletzungen im Bereich Westerntor, Westernmauer, Marienstraße gegeben). "Bei Beschwerden wird jedenfalls sofort reagiert", sagt Polizeisprecher Michael Biermann. Was auch von den Anwohnern so registriert werde, wie Jürgen Pöppel bestätigt. Das sagt die Stadt: Es sei richtig, dass seit Anfang Februar kein Gespräch mehr zwischen Anliegern, Interessensvertretern, Stadt und Polizei stattgefunden habe, bestätigt die Stadt Paderborn als Ordnungsbehörde auf Anfrage. Es liege ihr aber viel daran, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, verspricht man weitere Gespräche auf jeden Fall. Durch die Corona-Pandemie sei dem Ordnungsamt tagsüber ein stark erhöhter Personalaufwand entstanden, auch an Feiertagen und den Wochenenden. Das bedeute aber nicht, dass rund um das Westerntor nicht mehr kontrolliert werde. In Sachen Toiletten macht die Stadt zumindest Hoffnung auf die Realisierung der Zentralen Omnibushaltestelle an der Westernmauer. Dort seien öffentliche Toiletten geplant, die während der Busfahrzeiten durchgehend bewirtschaftet werden sollen, also fast rund um die Uhr. Rund-um-die-Uhr-Verkauf von Alkohol Gegen den (derzeit zumindest an freitags und samstags) Rund-um-die-Uhr-Verkauf von Alkohol im "Drugshop" an der Westernmauer könne man dagegen derzeit nichts machen, so die Schlussfolgerung aus der Stellungnahme der Stadt. Das Geschäft werde sowohl als Gaststättenbetrieb als auch als Lebensmitteleinzelhandel geführt. Als Lebensmitteleinzelhandel dürfe der Shop an sechs Tagen die Woche (außer sonntags) öffnen. Gleichzeitig dürfe er als Gaststättenbetrieb täglich öffnen und müsse lediglich zwischen fünf und sechs Uhr morgens, also während der Sperrstunde, darauf achten, dass kein Verzehr an Ort und Stelle stattfinde; man dürfe also an allen Tagen der Woche verkaufen. Verboten werden könne der Verkauf seitens des Ordnungsamtes nicht, da die Handhabe gegen die Ladenöffnungszeiten des Lebensmitteleinzelhandels fehle. Zwar ließen sich die Betriebszeiten des Gaststättenbetriebes grundsätzlich einschränken. Dazu müsste allerdings eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von diesem Betrieb ausgehen, heißt es. Und das scheint am Westerntor trotz der Klagen von Anwohnern noch nicht erreicht zu sein - so jedenfalls die Folgerung aus der Stellungnahme der Stadt.

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