Kolumne

Grosches Gedanken: Marmeladenbrote - ein Glück, das man sich leisten kann

Der Kabarettist, Autor und Kleinkünstler schreibt in seiner Kolumne über kulinarische Experimente.

Macht sich Gedanken: Erwin Grosche. | © Harald Morsch

22.09.2020 | 22.09.2020, 11:09

Ich habe mich oft gefragt, ob Marmelade auf jeder Brotsorte zur Geltung kommen kann. Es scheint mir oft, dass Marmelade mit einem gerösteten Toastbrot die optimale Verbindung eingegangen ist. Liebe auf den ersten Blick. Alles ist weich, alles ist süß, alles gibt nach. Ich esse einen Marmeladentoast am liebsten sonntags, wenn die Glocken zur Messe rufen und Gott verschlafen hat.

In diesem Zustand von Nichtwissen und Glauben, schmeckt mir der Marmeladentoast am besten. Er erinnert mich an Tage, wo alles noch gut war. Die Sonne, die Luft, die Liebe. Heute probierte ich mal (auch an einem Sonntag), ob die Marmelade auch auf einem Paderborner Graubrot schmecken würde. Ich wollte nur sicher sein, dass ich im Leben nichts verpassen würde, nur weil ich schon mit dem Besten zufrieden war. Ich war angenehm überrascht. Das Graubrot spielte sich nicht in den Vordergrund und unterstützt durch sein Understatement den Marmeladengeschmack.

Ein Künstler, der wie eine Himbeere aussieht

Man muss wissen, dass die Marmelade aus der Sammlung des Künstlers Hans-Josef Mertensmeyer stammte, der ja selbst ein wenig wie eine Himbeere aussieht. Ihr Geschmack ist nicht zufällig entstanden, sondern fein abgeschmeckt worden. Mertensmeyers Marmelade soll nicht glücklich machen, sondern fordern. Sie stellt den Sonntag infrage. Mehr aus einer Laune heraus beschmierte ich danach ein Knäckebrot mit Marmelade. Ich ahnte schon, dass dieses Wagnis Zeitverschwendung war. Bauarbeiter schauen keine Heimatfilme und man liebt die Rolling Stones nicht wegen ihrer Schmusesongs. Das Knäckebrot knackt beim Kauen und lässt keine andere Meinung zu als die eigene. Das Knäckebrot ist ein unsensibler Besserwisser, eine Rampensau, die sich immer in den Vordergrund spielen muss.

"Das Brötchen spielt in einer anderen Liga"

„Und was ist mit dem Brötchen?", werde ich oft gefragt. Ich sage dann immer: „Was soll denn damit sein. Es ist halt ein Brötchen. Das spielt in einer anderen Liga." Natürlich kann man darauf Marmelade verstreichen, aber warum? Man kann auch auf einem Fußballfeld Minigolf spielen, und mit dem Rennwagen durch die Spielstraße schleichen, aber warum? Das Brötchen ist zu schade, um es mit einem Marmeladenaufstrich zu unterfordern. Das Brötchen erträgt die Leberwurst und ist mit dem Goudakäse per du. Es kommt nicht den langen Weg zu Fuß, um dann Small Talk zu machen.

Nun streiche ich weiterhin Marmelade auf mein Toastbrot. Es sind diese kleinen Flüchtigkeiten, die das Leben bemerkenswert machen. Ein Toastbrot mit Marmelade, an einem Sonntag gegessen, wo gerade die Glocken zur Andacht locken, gibt uns die Hoffnung, dass das, was uns glücklich macht, nicht die Welt ist. Das kann man sich leisten.