Paderborn

Erwin Grosches Gedanken: Zum Abriss des Paderborner Bahnhofs

Der Kabarettist, Autor und Kleinkünstler schreibt in seiner Kolumne über die Abrissarbeiten am alten Bahnhof und den Entwurf für das neue Bahnhofsgebäude.

Macht sich Gedanken: Erwin Grosche. | © Harald Morsch

24.05.2020 | 24.05.2020, 12:47

Ich las jetzt, dass die Abrissarbeiten am alten Bahnhof nicht starten konnten, da die Welt in einer Stimmung ist, die wichtigere Aufgaben an erster Stelle stellt. Glück gehabt, kleiner Bahnhof.

Ich wusste gar nicht, dass der Abriss schon beschlossene Sache war. Natürlich kannte ich die Computeranimation des vorgestellten neuen Gebäudes, aber ich habe gehofft, dass dieses Modell, dieser farblose Schuhkarton nur ein Versuchsballon sein sollte, wobei Schuhkartons mit mehr Sorgfalt gestaltet werden, damit alles nicht so austauschbar wirkt.

Ich habe doch nicht gewusst, dass dieses leb- und lieblose Schauobjekt schon der fertige Entwurf von unserem neuen Bahnhof sein sollte, also von dem Ort, wo Menschen ankommen und losfahren und Tränen vergießen, weil sie traurig und glücklich sind.

»Wo sind die Anthroposophen, wenn man sie mal braucht?«

Ich habe gedacht, dass diese weiße viereckige Beliebigkeit nur das ist, was man den kreativen Architekten an die Hand gibt, den Visionären und Poeten, damit die grob erfahren, wo der Eingang hin kommen soll und wo der Bahnhofsvorsteher stehen soll. Wenn ich ehrlich bin, habe ich die gesamte Neugestaltung des Bahnhofplatzes nur als Provisorium gesehen, dass man noch einmal verändern wird, wenn auch der Bahnhof in trockenen Tüchern ist. Ist das Kunstwerk mit dem Bäumchen, das uns an den Raubbau des Menschen an der Natur erinnern soll, schon das, was da stehen bleiben soll?

Gerade findet im Stadtmuseum eine wundervolle Fotoausstellung des Fotokünstlers Kalle Noltenhans statt, in der man Paderborn um die Zeit von 1980/1990 erleben darf. Einzigartige stimmungsvolle Nacht- und Nebelfotos zeigen eine Großstadt, in der man noch Ecken und Plätze findet, die unbekümmert und verwildert vor sich hindämmern dürfen.

Die einzigartigen Großstadtfotos von Noltenhans zeigen auch unseren alten Bahnhof mit seiner prachtvollen Fassade. Das ist ein Bahnhof, meine Damen und Herren Architekten. Da leuchtet alles und ragt heraus. Hier kann man auf einen Zug warten und sich einstimmen auf die ostwestfälische Metropole.

Der unschuldige Charme der Bahnhofstoilette

Erinnern Sie sich noch an den Blumenpavillon neben dem Hauptgebäude, an die verschnarchte Bahnhofsgaststätte und die riesige Werbetafel von Klingenthal über dem Haupteingang? Ich mochte immer den unschuldigen Charme der Bahnhofstoilette, wo ein Mann mit weißen Kittel saß und auf einem Tisch ein kleines Kofferradio stehen hatte.

Unvergessen ist auch die goldene Uhr, über dem Eingang zu den Gleisen, wo später sogar die Zeiger fehlten und die Ankommenden darauf einstimmten, dass in Paderborn die Uhren anders ticken.

»Es ist so schade, dass wir von diesem Bahnhof Abschied nehmen müssen. Nach einer Umfrage des NRW-Heimatministerium wurde das Paderborner Rathaus zum zweitschönsten Rathaus in NRW gewählt, glauben Sie, dass der neue Bahnhof eine Chance hat, bei den schönsten Bahnhöfen aufzutauchen? Warum muss denn alles Neue immer viereckig und lieblos sein? Wo sind die Anthroposophen, wenn man sie mal braucht?«

Heimat darf Ecken und Kanten haben

Es scheint so, dass man in der heutigen Zeit nicht mehr so viel braucht, was man gern haben kann. Vielleicht hat man auch kein Gefühl mehr dafür, eine Stadt auch optisch als Heimat zu gestalten. Heimat darf Ecken und Kanten haben, darf aber auch schön sein und leuchten. Ein Bahnhof muss ein Ort sein, dem man Respekt entgegen bringt. So sollte er auch aussehen.

Ich habe jetzt noch gedacht, dass man den alten Bahnhof wenigstens mit einem Fest verabschieden könnte. Man könnte ihm so danken für seine treue Anteilnahme. Wie lange war er uns ein Tor in die Welt gewesen oder wenigstens ein Tor nach Lippstadt?

Man könnte ein Fest feiern, wo wir ihm noch mal als Reisende begegnen. Alle haben Koffer dabei, schenken sich Blumen und sagen: „Komm bald wieder. Ohne Dich ist die Stadt leer und kalt." Die Kinder dürfen noch mal auf der Trillerpfeife des Bahnhofsvorstehers pfeifen und unser Bürgermeister würde mit seiner schönen Stimme die Durchsagen machen, wenn sich ein Zug verspätet hat.

Vielleicht könnte auch das Vokalensemble „Anis oder Mandel" ein Lied singen: „Ein Bahnhof ist ein schöner Ort, für alle die gern reisen, hier kommt man an, hier fährt man fort und wartet an den Gleisen. Ein Bahnhof ist ein schöner Platz, wo alle gerne warten, hier sagt man ,Lebewohl mein Schatz’ und träumt von schönen Fahrten." Kalle Noltenhans sollte alles fotografieren und dann fährt man fort in die Nacht. Bye bye Bahnhof.