Drängeln, hupen, fluchen: Im Straßenverkehr herrschen oft raue Sitten

Paderborn. Schon eine Weile muss der Autofahrer auf der rechten Spur der A33 hinter einigen Lkw herschleichen. Auf der linken Spur reiht sich Wagen an Wagen. Keine Lücke tut sich auf. Als sich der Verkehr auf der linken Spur endlich lichtet, setzt der Fahrer zum Überholen der Lkw an. Doch gerade auf der linken Spur angekommen, rauscht schon der nächste PS-starke Bolide an, fährt dicht auf und fordert mit der Lichthupe das Recht des Stärkeren ein. Die tempolimitfreie Zone ist wohl der Ort, an dem die tagtägliche Aggressivität im Straßenverkehr am deutlichsten zu beobachten ist: Es wird aufgefahren, gehupt, gedrängelt, geflucht, gepöbelt. Schauplatz dieses Phänomens ist jedoch nicht allein die Autobahn. Innenstädte, Fahrradwege und Parkplätze betrifft das gleichermaßen, ebenso wie es alle Verkehrsteilnehmer umfasst, so zumindest die gefühlte Wahrheit. Denn rücksichtsloses Verhalten ist schwer messbar, weil es - zumindest teilweise - auf subjektiver Wahrnehmung beruht. Die Straße wird zum Ventil "Das Verkehrsverhalten ist sicherlich ein Problem, aber kein alleiniges des Straßenverkehrs", sagt Ralf Collatz vom ADAC Ostwestfalen-Lippe und spricht von der "Egomanie des Alltags". Für einige Menschen sei die Straße ein Ventil, die Möglichkeit, "Dampf rauszunehmen". Stress und Überforderung werden möglicherweise im Straßenverkehr schneller sichtbar als anderswo. Das Allensbach-Institut hat im vergangenen Jahr Erfahrungen mit Aggressivität untersucht. Auf die Frage, wo sie im Alltag Menschen mit aggressivem und rücksichtslosem Verhalten erleben, antworteten 90 Prozent der Befragten: "Im Straßenverkehr." Dass diese Vorfälle juristisch verfolgt werden, ist jedoch eher die Ausnahme. Die Polizei Paderborn verzeichnet für das vergangene Jahr 74 Fälle von Nötigung im Straßenverkehr. Im Jahr davor waren es 77 Fälle. Ein Zuwachs ist also entgegen dem Empfinden nicht erkennbar. Gängige Vorfälle seien der Polizei zufolge Drängeln, Bremsen, Auffahren - häufig Situationen, in denen die Menschen "so bedroht werden, dass sie Angst um Leib und Leben haben", erklärt Polizeisprecher Mark Heinemann. Die meisten Fälle würden von den Betroffenen selbst zur Anzeige gebracht. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen. Verkehrsanwalt sieht einen Mentalitätswechsel In der vergangenen Woche wurde in Goslar der Deutsche Verkehrsgerichtstag abgehalten, bei dem das rücksichtlose Verhalten im Straßenverkehr ebenfalls Thema war. Jost Ferlings, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Paderborn, war ebenfalls vor Ort. Seit Jahren beobachtet Ferlings einen Mentalitätswandel auf den Straßen. "Die Toleranz und die Lässigkeit sind weg", sagt er. Es würden aber heute ebenso Beleidigungen angezeigt, bei denen das früher nicht der Fall gewesen wäre. "Die Leute sind kritischer, was das Fahrverhalten anderer angeht. Sie sind aber auch wehrhafter", erläutert Ferlings. Elmar Spellerberg ist Vorsitzender des ADFC Paderborn. Der Verkehrsclub setzt sich für die Belange der Fahrradfahrer ein. Spellerberg, der sein Berufsleben im Polizeidienst verbracht hat, bemängelt ebenfalls eine zunehmende Aggressivität. Den Grund sieht er in der Verdichtung des Verkehrs. "Es wird immer enger. Der Raum immer knapper", sagt Spellerberg. Es gibt immer mehr Fahrzeuge im Kreis Paderborn Zahlen des Kreises Paderborn bestätigen diesen Eindruck. Wurden im Jahr 2017 noch 242.924 zugelassene Fahrzeuge registriert, waren es 2018 schon 247.717. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Kreis dann bereits 254.560 Fahrzeuge. Binnen kurzer Zeit wuchs die Zahl der Zulassungen also um 11.636. Das Gros machen dabei die Autos aus. Von den 254.560 zugelassenen Fahrzeugen sind 182.912 Pkw. Gleichzeitig treten im öffentlichen Raum neue Mobilitätsangebote auf. Zuletzt stockte der Anbieter Tier Mobility seine E-Scooter-Flotte auf. Mittlerweile soll es davon 260 Stück in Paderborn geben. Ebenso steigt der Absatz von Elektrofahrrädern, den sogenannten Pedelecs. Der Zweirad-Industrie-Verband geht für 2019 deutschlandweit mit einem zweistelligen Wachstum bei verkauften E-Bikes aus. Öffentlicher Nahverkehr als Lösung? Neben den altgedienten Fortbewegungsmitteln kommen also neue Mobilitätsangebote hinzu, die auf begrenztem Raum zwangsläufig in Konkurrenz zueinander geraten. Elmar Spellerberg vom ADFC plädiert neben mehr Raum für Fahrradfahrer für eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs über die Preisgestaltung. Dies könnte, so die Hoffnung, zu einer Entlastung des Verkehrsaufkommens führen. Auf der Autobahn hält er eine Höchstgeschwindigkeit für sinnvoll. Durch ein Tempolimit könnten die Geschwindigkeiten auf den Spuren angeglichen werden, wodurch das Fahren flüssiger und im Umkehrschluss weniger stressig würde, so die Logik. Beim ADAC ist man sich beim Tempolimit uneins, wie eine interne Befragung kürzlich feststellte. Ein weiteres Mittel gegen die Aggressivität auf den Straßen könnten schärfere Sanktionen sein. Doch das sei nicht zielführend, sagt Anwalt Jost Ferlings. "Eine Erhöhung von Strafen halte ich für Unsinn. Das ist schon jetzt austariert." Bleibt nur der Appell an die Vernunft der Verkehrsteilnehmer: "Ich empfehle defensives Fahren, Ruhe und Gelassenheit", formuliert Elmar Spellerberg einen Rat, den es für alle zu beherzigen gilt.

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