Ein Brief erinnert ans WM-Finale 1954 vor Hövelhofs erstem Fernseher

Hövelhof. Am Mittwoch haben wohl auch viele Hövelhofer das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Nordmazedonien gesehen – auf Fernsehgeräten, Tablets und Smartphones. Vor 67 Jahren, beim legendären WM-Finale der Deutschen gegen Ungarn (3:2) war das anders. Im Ort gab es 1954 genau ein zugängliches Fernsehgerät – in der Dorfgaststätte &bdquo;Zur alten Post", deren traditionsreiches Areal vor ein paar Wochen von der Gemeinde gekauft wurde. In einem Brief aus dem Jahr 1976, der der NW vorliegt, beschreibt Wirt Bruno Möller, welche nahezu unvorstellbaren Szenen sich am Finaltag im Ortskern abgespielt haben. Möller schrieb damals an die Fernsehzeitschrift &bdquo;Hörzu", die Geschichten über alte TV-Geräte sammelte. Fein säuberlich tippte er drei Seiten auf einer Schreibmaschine und hatte absolut recht mit dem Satz: &bdquo;Die Geschichte zur Anschaffung dieses Gerätes ist es wert, dass man sie erzählt." In Hövelhof habe es 1954 bei 6.000 Einwohnern nur einen Fernseher im Geschäftsraum des örtlichen &bdquo;Radiohändlers" (Kersting) gegeben – und einen in dessen Lager. Möller – seit 1930 auch Vereinswirt des Hövelhofer SV – wollte dieses Gerät zum Finale ausleihen. Der Radiohändler stimmte zu, sogar kostenlos, &bdquo;denn das sei für ihn eine gute Werbung". Schwierigkeiten bereitete dann aber der Fernsehempfang. Laut Möller war es erforderlich, &bdquo;eine Antenne an einem fünf bis sieben Meter langen Rohr auf dem Hausdach" zu montieren. &bdquo;Hierfür sollte ich unserem Radiohändler einen Betrag von DM 40,- bezahlen", berichtet der Wirt. Zudem seien für den Fernsehmeister Josef Kersting noch 20 Mark fällig geworden, damit er &bdquo;während der Sendung beim Gerät blieb, um die Einstellung und Nacheinstellung" zu machen. Möller: &bdquo;Ich hatte so ein Fernsehgerät ja noch nie bedient und es schien alles so kompliziert." Dunkle Bettdecken müssen her Egal, der Gastwirt und seine 2020 gestorbene Frau Anneliese ließen das Gerät vom Typ Philips Tizian mit 43-Zentimeter-Bildschirm (Preis: 798 Mark) aufstellen. Nichts wurde dem Zufall überlassen: Im Gastraum der Kneipe mussten Fenster mit schweren Bettdecken verdunkelt worden, da vom Hamburger Sender &bdquo;sonst kein Empfang möglich war". Am Finaltag, Sonntag, 4. Juli, spürt Möller das riesige Interesse der Hövelhofer an seiner Aktion. Er reagiert als guter Unternehmer und verkauft &bdquo;Verzehrkarten" für den rund 30 Quadratmeter großen Raum. Aufgestellt sind &bdquo;25 Stühle (ohne Tische) in Reihen". Sitzplätze kosten zwei Mark, Stehplätze eine Mark. Vom Andrang wird der Wirt dann fast überrannt. In seinem Brief erinnert er sich: &bdquo;Meine Türordner verkauften Karten an 110 Zuschauer." Die Folge: Menschen sitzen zu zweit auf Stühlen, standen &bdquo;wie die Ölsardinen" im Zimmer und auf den Fensterbänken. Als Bruno Möller eine Viertelstunde vor Anpfiff auf seinen reservierten Platz will, gibt es kein Durchkommen. Doch der Wirt hat eine Idee: &bdquo;Ich ließ dann durchsagen, wenn ich nicht selbst ins Zimmer komme, schalte ich den Strom ab." Die Drohung zieht bei den Fußballfans: &bdquo;Man hob mich über viele Köpfe hinweg und fand auf einem Heizkörper an der Wand noch einen Platz." Gäste feiern auf dem Tresen Und dann das Spiel. Erst der 0:2-Rückstand gegen das Welt-Team der Ungarn – dann die dramatische Aufholjagd des Teams von Bundestrainer Sepp Herberger. Möller erinnert sich an eine &bdquo;unerträgliche Hitze". &bdquo;Getränke konnten nicht gereicht werden, es war viel zu eng im Raum. Doch das ist allen egal, als die 84. Minute kommt und Helmut Rahn mit seinem legendären Linksschuss das 3:2 erzielt und das DFB-Team zum ersten Weltmeistertitel schießt. Das Trinken und Rauchen sei mit Abpfiff &bdquo;gebührend nachgeholt worden". Problem für den Wirt: &bdquo;Es war kaum möglich, auch nicht mit Hilfe einiger Helfer, alle Gäste zu bedienen. Im Freudentaumel standen einige Gäste auf den Tischen, ja sogar auf dem Tresen." Wie so viele Deutsche haben Bruno und Anneliese Möller den 4. Juli 1954 nie vergessen – und sie hatten über Jahrzehnte auch ein besonderes Andenken ans WM-Finale im Haus: den Philips Tizian. Möller wollte ihn direkt nach dem Finale behalten, schreckte aber zunächst vor dem hohen Preis zurück. Doch Radiohändler Kersting bietet an, an den Fernseher ein Münzgerät anzubauen – und so wird es gemacht: &bdquo;Wenn wir fernsehen wollten, mussten für zwei Stunden zwei Mark eingeworfen werden." Bereut hat es das Wirts-Ehepaar nie: &bdquo;So ist das Gerät dann langsam finanziert worden, die restlichen zweihundert Mark habe ich dann zum Schluss als Restsumme auf einmal bezahlt." Als sich auch in Hövelhof später Fernsehgeräte immer mehr verbreiteten und moderner werden, bleibt der kleine Schwarz-weiß-Apparat im Hause Möller. 1976 schreibt Bruno Möller, der 2006 starb, dass er &bdquo;im Wohnzimmer unserer Oma des Öfteren noch angestellt" wurde.

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