Viele Wind-Riesen im Anflug aufs Paderborner Land

Borchen. Südlich von Etteln soll bald ein Windrad stehen, das fast so hoch ist wie das höchste Haus in Deutschland. Die Windkraftanlage misst dann vom Boden bis zur Spitze des Rotors 246,60 Meter. Der Frankfurter Commerzbank-Tower ist mit 259 Metern nur knapp 13 Meter höher. Das Windrad vom Typ &bdquo;Enercon E 160 EP5" ist darauf ausgelegt, auch bei wenig Wind effektiv zu sein. Derzeit erzeugen auf Borchener Gemeindegebiet 52 Windräder Strom. Doch wenn der neue Riese kommt, bringt er viele Freunde mit. Für 29 weitere Anlagen diverser Bauarten liegen derzeit Anträge vor, elf davon sind bereits genehmigt, zwei ersetzen alte Anlagen. Noch mehr sind in Vorbereitung, wie zu hören ist. Bürgermeister Reiner Allerdissen (SPD) nennt die Lage &bdquo;prekär" und &bdquo;dynamisch". Sein Bauamtsleiter Simon Daniel (34) klagt im NW-Gespräch an: &bdquo;Wir werden zugepflastert und können im Grunde nichts dagegen tun." »...dann kann ich auch Murmeln sammeln gehen« Rathauschef Allerdissen hat seinen Gemeinderat jüngst über anstehende Genehmigungen und die weitere Windrad-Entwicklung in der Gemeinde informiert. Die Politik nimmt es hin. Manche sind bei Wind-Entscheidungen befangen, weil sie selbst Interessen verfolgen, andere wehren sich mit Worten, weil sie seit Jahren zu Gegen-Initiativen gehören. Sie werden nicht müde, davor zu warnen, dass die Windkraft die Ortschaften bedroht. Deshalb stemmt sich auch der Bürgermeister intern und öffentlich immer wieder gegen das, was sie im Rathaus &bdquo;Wildwest-Methoden" nennen. Zuletzt wurde Allerdissen ziemlich deutlich, als er einen im Dörenhagener Nest erschossenen Rotmilan unzweideutig als Opfer von potenziellen Windkraft-Nutznießern benannte. Beweise dafür hat Allerdissen nicht, nur Indizien. Andere denken auch so, der Rathauschef spricht es aus. &bdquo;Wenn ich so etwas als Bürgermeister nicht mehr benenne, kann ich auch gleich Murmeln sammeln gehen", sagt er zur NW. Tatsache ist, wo der geschützte Greifvogel lebt, ist es schwieriger, ein Windrad zu betreiben. Ist er weg, kann es einfacher werden. Zuletzt wurde im lippischen Schlangen ein Tier vergiftet. Auch in Borchen ist allen klar, dass die Energiewende nur mit Wind gelingen kann. Die Anlagen rund um Dörenhagen und Etteln tragen schon kräftig dazu bei. Aber die Gemeinde wäre eben gerne Herr im eigenen Haus. Doch das bleibt frommer Wunsch. &bdquo;Kommunen haben eigentlich die Planungshoheit auf ihrem Gebiet, doch in der Windkraft ist eine Steuerung fast nicht mehr möglich", sagt Bauamtsleiter Daniel. Seit zweieinhalb Jahren macht er den Job und beschäftigt sich etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit nur mit Windrädern: Anträge, Gutachten, Genehmigungsverfahren und Gerichtsakten. Das Ende eines 250.000 Euro teuren Plans Nach Monaten der Vorbereitung und mit dem Einsatz von etwa 250.000 Euro an Steuergeld hat die Gemeinde im vergangenen Jahr mal wieder einen Plan beschlossen, der festlegt, wo Windräder stehen sollen, den Flächennutzungsplan Windenergie. Ein renommierter Fachplaner aus dem Münsterland war beteiligt, die Gemeindeverwaltung und der Gemeinderat brüteten lange über Kriterien, wo Flächen ausgewiesen werden können – und als der Beschluss in einer Ratssitzung einstimmig gefasst war, wussten die Lokalpolitiker schon, was kommen würde. Ihr 250.000-Euro-Plan würde in der Luft zerrissen werden. Von einem Gericht. Und so kam es dann auch. Abwägungsfehler habe es gegeben, so die Richterin am Verwaltungsgericht in Minden Mitte Dezember. Damit gab sie einer Klage von Investoren statt. Sie hätten keine Chance mit ihrem Plan gehabt, sagen Bürgermeister und Bauamtschef. Mit der Erfahrung sind sie nicht allein. In NRW hat seit 2012 keine Kommune mehr mit ihrem Flächennutzungsplan zur Windkraft vor Gericht obsiegt. Nicht Borchen, nicht Bad Wünnenberg, nicht Büren, nicht Paderborn und auch andere nicht. Immer wieder schlägt das Bundesrecht, genauer das Baugesetzbuch mit Paragraf 35, die Bemühungen vor Ort, die Interessen von Windinvestoren und Landschaftsschützern in Ausgleich bringen wollen. Im Paragrafen, der alles möglich macht, ist festgelegt, dass Windanlagen im Außenbereich &bdquo;privilegiert" zu genehmigen sind. Wie der Ausbau gelenkt werden soll, weiß Reiner Allerdissen nicht mehr. Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Der Bürgermeister sagt: &bdquo;Wir fühlen uns ohnmächtig." Sein Bauamtsleiter meint: &bdquo;Die Menschen im Ort resignieren und sind gefrustet". Sie vermissten Gerechtigkeit, sehen, wie die Landschaft ihrer Vorfahren ein neues Gesicht bekommt, obwohl die Vertreter im Gemeindeparlament anderes gewollt haben. Die Planungshoheit der Kommunen sei nur noch Makulatur, sagen Bürgermeister wie Allerdissen aber auch Hans Jürgen Wessels (SPD) aus Altenbeken und Bad Wünnenbergs Christoph Rüther (CDU), der im Herbst Landrat werden will. Während im Norden des Kreises Paderborn und anderswo in NRW Windräder als vereinzelte exotische Technikbauwerke bestaunt werden, scheinen sich an manchen Stellen in Borchen die Rotoren beinah schon ins Gehege zu kommen. Nur ein Windrad innerhalb der vorgesehenen Flächen Von den 29 zuletzt beantragten Windrädern steht genau eins innerhalb der Windzonen des Flächennutzungsplans – alle anderen wurden auf Flächen außerhalb beantragt. Und könnten Stück für Stück Realität werden. Auch der Kreis Paderborn als Genehmigungsbehörde wagt, wie zuletzt schon, mitunter keine Berufungen mehr gegen Urteile – um Steuergeld zu sparen. Das Baugesetz mit seinem Willen zur Privilegierung der Windkraft ist stärker als die Macht der Politik, die eigene Scholle gestalten zu können. Den beteiligten Firmen will im Borchener Rathaus niemand die Chance auf Gewinne verübeln, auch die Verpächter der Grundstücke können viele verstehen. Bauamtschef Daniel sagt: &bdquo;Wer will es denn jemandem verdenken, wenn er die Chance für seine Flächen erhält?" Insider bestätigen: Mittlere fünfstellige Summen jährlich pro Windrad sind drin für diejenigen, die allein das Gelände zur Verfügung stellen. Zumindest sie haben Spaß am Ausbau der Windkraft in Borchen.

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