
Bad Oeynhausen. Die Wohnzimmermöbel wurden in eine Ecke gerückt, der Frisierstuhl hielt Einzug: Im Elternhaus von Ingrid Wellpott entstand quasi über Nacht ein Friseursalon. Denn der Lehrherr ihrer Schwester musste seinen Salon an der Wilhelmstraße räumen, als die Engländer 1945 die Stadt besetzten. "Der neue Friseur hatte sich in Wöhren schnell herumgesprochen", erinnert sich die 77-Jährige. So dass ständig Menschen wartend auf dem Flur saßen. "Ich als Kind fand das toll", sagt sie lachend. "Endlich war bei uns mal was los."
Das Einfamilienhaus der Familie Blöbaum mit Diele, Schwein und Ziege auf der linken und den Kinderzimmern auf der rechten Seite lag direkt am Wiehengebirge. "Dort konnten wir hinspucken", beschreibt Ingrid Wellpott. Ihr Vater Heinrich Blöbaum arbeitete bei der Weserhütte. "Weil das ein Rüstungsbetrieb war, wurde mein Vater nicht eingezogen." Nebenbei habe er Pilze gezüchtet, um etwas Geld oder Kungelware für die Familie zu haben. "Mein Vater war damals ein überzeugter Sozialdemokrat - aber das durfte nie thematisiert werden. Über Politik wurde deshalb vor uns Kindern nicht gesprochen", weiß Ingrid Wellpott von späteren Erzählungen.

Als dann im Mai 1945 der Räumungsbefehl für große Teile der Innenstadt kam, mussten zahlreiche Bad Oeynhausener innerhalb weniger Tage ihr Zuhause verlassen. "Meine große Schwester Lore war Friseurin im dritten Lehrjahr und arbeitete bei Friseur Götz an der Wilhelmstraße." Und weil auch der Salon irgendwo untergebracht werden musste, stellte Familie Blöbaum das Wohnzimmer zur Verfügung.

"Der ganze Saloninhalt wurde zu uns nach Wöhren gebracht", erzählt Ingrid Wellpott. Und dort lief der Salon weiter. "Auf dem Tisch stand eine Schüssel mit Wasser, aber die meisten Wöhrener kamen mit gewaschenen Haaren zum Friseur", erinnert sich Wellpott, die damals sieben Jahre alt war. "Sonst musste meine Mutter auf dem Herd Wasser erhitzen." Denn eine Wasserleitung gab es nicht. "Auf der Diele war die Pumpe und ein großer Steinspülstein - da haben sich alle gewaschen." Der kleine Flur des Hauses wurde zum Wartebereich. "Und der Friseur mit Frau und Sohn schlief in unserem kleinen Abstellraum." Daraus hätten ihre Eltern später ein Badezimmer gemacht, so klein sei der gewesen.
Wie ein Lauffeuer habe sich die Nachricht vom Friseur in Wöhren verbreitet. "Die Wöhrener fanden das toll, dass sie nicht mehr so weit fahren mussten." Und für Ingrid Wellpott selbst war die Zeit ein Erlebnis. "Sonst passierte ja nicht viel, da oben am Berg."
Nur kurze Zeit später wurde es voll bei Blöbaums. "Mein Cousin aus dem Rheinland kam zu uns und brachte zwei Soldaten mit", erzählt die 77-Jährige. Die hätten allesamt im Stroh geschlafen.
Im großen Weck-Kessel kochte die Mutter damals für alle das Essen. "Wir haben sogar zwei Schweine geschlachtet - das eine schwarz."
So hätten wenigstens alle genügend zu essen gehabt. "Mein Vater hatte noch ein bisschen Landwirtschaft - und hat Kartoffeln und Gemüse angebaut." Sonst sei das alles nicht machbar gewesen.
Irgendwann sei ihre Mutter außer sich gewesen, ob der Zustände. "Nach einigen Tagen hat mein Vater die beiden Soldaten nach Hause geschickt."
Im Sommer 1945, so vermutet Ingrid Wellpott, ist der Friseur-Salon wieder zurück in die Stadt gezogen. "Ich habe noch einen englischen Ausweis meiner Schwester vom August 1945. Womöglich hat sie ihn dafür bekommen."