Stemweder Autozulieferer ZF: „Wir stellen Menschen ein, nicht Zeugnisse“

Lemförde/Stemwede. Die deutsche Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen. Im vergangenen Jahr wurde die Branche durch eine Krise geprägt. Zu den wichtigsten Zulieferern der Automobilindustrie gehört die ZF Friedrichshafen AG. Mit den Werken in der Dümmer-Region ist ZF ein bedeutender Arbeitgeber, in Stemwede ist das Unternehmen größter Arbeitgeber. Wie steht es um die Ausbildung bei ZF, wie reagiert der Konzern hier auf Innovationen? Dazu äußerten sich ZF-Sprecher Florian Tausch und ZF-Ausbildungsleiter Martin Waitz im Gespräch mit der Redaktion. Konzernweit hat das Unternehmen im Bundesgebiet 28 Ausbildungszentren mit etwa 2.300 Azubis in 35 Ausbildungsberufen und dualen Studiengängen. Am Multidivisionsstandort (MDS) Lemförde beschäftigt ZF rund 140 Azubis und acht Mitarbeiter für die Ausbildung. Zum MDS gehört auch Dielingen, hier ist auch das Forschungs- und Entwicklungszentrum der ZF-Division Chassis Solution angesiedelt. Pro Jahr stellt das Unternehmen am MDS Lemförde nach Angaben von Martin Waitz und Florian Tausch über alle Berufe verteilt 40 Azubis ein. Die Azubis und dualen Studenten würden am Standort Lemförde nach wie vor unbefristet übernommen. Es heiße immer, man müsse Abitur oder Beziehungen haben, um bei ZF abrieten zu können, merkt Martin Waitz an und stellt klar: &bdquo;Das stimmt nicht.“ Es hätten auch gute Hauptschüler Chancen und man müsse auch keine Beziehungen haben. &bdquo;Wir schauen uns die Menschen an“, betont der Ausbildungsleiter. &bdquo;Wir stellen Menschen ein, nicht Zeugnisse.“ Es werde geschaut, wer gut ins Team passe sowie Interesse und Talent für den Beruf habe. Der Mensch sei ihm hundertmal wichtiger als das Zeugnis, merkt Martin Waitz an. Vor welchem Problem Azubis stehen können Auch die Landesgrenze spiele bei den Einstellungen keine Rolle, sagen Florian Tausch und Martin Waitz: &bdquo;Wir stellen von überall ein.“ Auch junge Menschen aus dem Kreis Minden-Lübbecke arbeiten bekanntlich bei ZF und machen hier ihre Ausbildung. Das Problem sei nur die Erreichbarkeit für diejenigen, die noch keine 18 Jahre alt seien. Die jungen Menschen müssten zum Ausbildungszentrum nach Lemförde kommen. Wer mit der Bahn komme, habe es nicht weit vom Bahnhof zum Ausbildungszentrum. Ansonsten ist nach Einschätzung von Martin Waitz beim öffentlichen Personennahverkehr Luft nach oben – vor allem in Richtung Damme und Minden-Lübbecke. Man habe auch mitunter gute Bewerber verloren, weil sie Lemförde nicht erreichen könnten. An einen Azubi erinnert sich Waitz: Der junge Mann hatte wohl noch keinen Autoführerschein, wohl aber den für einen Traktor. Und dieser Traktor parkte dann am Ausbildungszentrum. Lesen Sie auch: Autozulieferer ZF streicht 110 Stellen in der Dümmer-Region Ausbildung hat bei ZF und Lemförder Metallwaren als Vorgänger in der Dümmer-Region eine seit mehr als sieben Jahrzehnten währende Tradition. Martin Waitz hat selbst 1980 seine Lehre als Maschinenschlosser bei Lemförder Metall im damaligen Ausbildungszentrum im Stemweder Berg absolviert. Dass es ein Ausbildungszentrum gibt, geht auf Jürgen Ulderup zurück, Gründer der Lemförder Metallwaren. Im Frühjahr 1969 gab es offenbar Klagen über mäßige Leistungen der Lehrlinge. Das, schrieb Ulderup an seine damaligen Führungskräfte, liege vielleicht &bdquo;an der Belehrung. Die Jungen können ja nicht alle durchweg doof sein“. Ulderup wurde aktiv, zwei Jahre später gab es eine erste Ausbildungswerkstatt in Damme, 1987 dann die im Stemweder Berg. Ausbildungswerkstatt muss sich anpassen Die jetzige Ausbildungswerkstatt unweit des Lemförder Bahnhofes wird allen neuen Anforderungen in puncto Ausbildung gerecht. Eigentlich ändere sich Ausbildung ständig, sagt Waitz. Seit 2018 werden für die digitale Vernetzung Fachinformatiker ausgebildet. &bdquo;Wir müssen ein paar Jahre vorausdenken. Wir müssen schauen, wohin es geht, was die Anforderungen sein werden.“ Wenn er zehn Jahre zurückdenke, habe es im Ausbildungszentrum einen Schwerpunkt in den Bereichen Zerspanungsmechaniker, Mechatroniker und Industriemechaniker gegeben, sagt Martin Waitz. Heute rede man über Fachkräfte für Metalltechnik, Mechatroniker, Fachinformatiker und Produktionstechnologen. Letztere würden in Deutschland relativ wenig ausgebildet. In Norddeutschland bildeten neben ZF am Dümmer nur VW in Emden und die Meyer Werft in Papenburg in diesem Beruf aus. Produktionstechnologen sind nach Angaben von Martin Waitz Prozessprüfer, die Prozesse in einem Unternehmen bewerten und optimieren können. Sie würden sich etwa Datensätze zur Produktion in der digitalen Fabrik in Diepholz ansehen und schauen, wo man etwas verbessern könne. Produktionstechnologen bekämen eine technische Grundausbildung, um zu verstehen, was da laufe und wo etwas verbessert werden könne. Und sie könnten auch die Daten lesen. Werde ein Prozess in ein anderes Werk übertragen, gingen sie mit und sagten, wie etwas gemacht werden müsse. ZF-weit einmalige Anlage steht am Dümmer &bdquo;Leider ist der Beruf nicht sehr bekannt“, merkt Waitz an. &bdquo;Aber es ist ein sehr anspruchsvoller Beruf.“ Zudem sei der Beruf sehr vielseitig, weil er in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt werden könne. Bei ZF würden seit 2020 Produktionstechnologen ausgebildet. Dafür stelle ZF sehr gute Realschüler oder Fachabiturienten ein. Bei Fachinformatikern liegt der Schwerpunkt in der digitalen Vernetzung. Alle Berufe würden miteinander zusammenhängen. Es gebe keinen Beruf, von dem man sagen könne, dass er der wichtigste sei, betont der ZF-Ausbildungsleiter. Geändert hätten sich auch die klassischen Berufe. Seit dem vorigen Jahr gebe es die zweijährige Ausbildung zur Fachkraft Metalltechnik mit vollwertigem IHK-Abschluss. Danach sei man in der Lage, komplexe Produktionsanlagen zu bedienen und zu betreuen. Auf diese Ausbildung könne dann bei Interesse auch für weitere eineinhalb Jahre eine Ausbildung etwa zum Zerspanungs- oder Industriemechaniker aufgesetzt werden. In der Ausbildungswerkstatt in Lemförde lernen Azubis auch noch Hammer und Feile kennen. Aber es gibt reichlich Hightech. Dazu gehört für die Azubis aus verschiedenen Bereichen eine komplette Produktionsanlage im Kleinformat. Das sei ZF-weit einmalig, sagen Florian Tausch und Martin Waitz. Die Anlage sei das Modell einer Serienfertigung für Kugelgelenke. Die Gehäuse dafür seien gekauft, alles andere eine Eigenentwicklung. In der Anlage sind auch smarte Sensoren verbaut, die sich selbst überwachen und das System frühzeitig informieren, wenn eine Wartung oder ein Austausch näher rückt. &bdquo;Dann kommt der Instandhalter und tauscht das aus“, sagt Martin Waitz. &bdquo;Dann hat man keinen Stillstand.“ Je mehr smarte Sensoren es gebe, desto mehr Produktionssicherheit habe die Maschine. Und weil die Modellanlage in Lemförde zum Üben und zur Ausbildung eingesetzt wird, haben die Ausbilder nach Angaben von Martin Waitz Fehler eingebaut. Die aufzuspüren, ist dann etwa Aufgabe der Produktionstechnologen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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