Lübbecker Land. Abseits der Hauptverkehrswege ist an diesem frühen Morgen nur das gleichmäßige Klappern der Hufe zu hören. Zwei schwere belgische Kaltblüter ziehen einen urigen roten Planwagen über die Stemweder Landstraßen. Vier Tage haben sie zuvor in Stemwede verbracht, berichtet der Kutscher. Er nennt sich Hero, seinen bürgerlichen Namen habe er mit seinem bürgerlichen Leben hinter sich gelassen, als er es vor zweieinhalb Jahren aufgab, um ein Vagabundenleben zu führen.
Nach einem Arbeitsunfall habe er lange nicht arbeiten und nur unter starken Schmerzen die notwendigsten Tätigkeiten bewältigen können. Schließlich habe festgestanden, dass er in seinen Beruf als Garten- und Landschaftsbauer nicht zurückkehren könne.

Da habe er kurzerhand beschlossen, die verbliebene Gesundheit für das zu nutzen, was er sich eigentlich erst für die Zeit nach dem Renteneintritt vorgenommen hatte: Mit seinem Planwagen und Stute „Loes“ auf Reisen zu gehen. Er löste seine Wohnung auf, trennte sich von beinahe allen materiellen Besitztümern, machte zu Geld, was sich verkaufen ließ und fuhr los.
Von fast allen materiellen Besitztümern getrennt
Seitdem habe er sich die schönsten Gegenden Deutschlands angeguckt, sagt der etwas über 50-Jährige. Dabei hat er nicht nur die Landschaften mit Begeisterung erkundet, sondern auch zahlreiche Bekanntschaften gemacht.
Morgens nie zu wissen, was der Tag bringt, sei für ihn einer der schönsten Aspekte seines Lebensmodells. „Ich habe unterwegs so tolle Menschen kennengelernt, so viel Offenheit und Hilfsbereitschaft, damit hätte ich nie gerechnet. Das erlebt man nicht, wenn man immer in den gleichen Kreisen ist“, berichtet der selbst ernannte Weltenbummler. Seitdem er so viel erlebt hat, sei er immer mit offenen Augen unterwegs. Hinter der nächsten Kurve könne schließlich schon die nächste interessante Begegnung oder das nächste tolle Erlebnis auf ihn und seine „Vagabunden“ warten.
Auch dass er mit vier Tagen einen eher langen Aufenthalt in Stemwede hatte, sei einer solchen Bekanntschaft zu verdanken. Ein Stemweder Ehepaar habe ihn zu sich eingeladen. „Ganz nette Menschen!“, sagt er. Die Pause habe ihm und seinen Tieren zwar gut getan, nach vier Tagen habe es ihn dann aber doch weiter gezogen.
Leben auf sieben Quadratmetern
Während der warmen Sommermonate bricht er morgens besonders früh auf. Schon am späten Vormittag sei es ihm oftmals zu warm, um seinen Pferden das Ziehen des Gespanns zuzumuten. Wenn er kein festes Ziel hat, und das sei meistens der Fall, dann macht er sich auf die Suche nach einem Platz, an dem er sein Lager aufschlagen kann. Fündig wird er meistens bei Bauern, die ihm ein Stück gemähte Wiese zur Verfügung stellen. Alles, was er für sich und seine Tiere braucht, hat er dabei.
Einfacher sei das Reisen geworden, als er ein zweites Pferd kaufte. Seit etwa drei Monaten zieht „Loes“ den Planwagen mit tatkräftiger Hilfe von „Rapid“. Dadurch konnte Hero den Planwagen um einen Anhänger ergänzen, in dem alles Platz findet, was er für ein sicheres Nachtlager und eine gute Versorgung seiner Tiere braucht. Mit von der Partie sind zwei stets wachsame Pyrenäenberghunde, die draußen bei den Pferden nächtigen.
„Als wir im Winterlager an der polnischen Grenze waren, hatten wir häufiger Sichtkontakt mit Wölfen“, berichtet Hero. Da sei er besonders froh um die Anwesenheit der Hunde gewesen. Außerdem sei es rührend, die Tiere zusammen zu beobachten. Pferde und Hunde seien unzertrennlich, erklärt er und zeigt Fotos, auf denen sie schlafend nebeneinanderliegen.
Kleiner Ofen wärmt im Winter

Bei aller Idylle sei das Leben im Planwagen aber „kein Zuckerschlecken“. Während der Wintermonate habe er nur etwa alle zwei Wochen andere Menschen gesehen. Das sei eine viel größere Herausforderung gewesen, als den Temperaturen von bis zu minus 15 Grad zu trotzen. Dank des kleinen Ofens sei es im Planwagen selbst bei eisigen Temperaturen gemütlich und warm. Und wenn er ihn ohnehin anfeuert, koche er auch gerne darauf.
Die Zeit, die nach der Versorgung der Tiere übrig bleibt, verbringe er am liebsten lesend, sagt er. Seinen Planwagen hat er, um Gewicht zu sparen, nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Auf ungefähr sieben Quadratmetern Wohnfläche finden sich ein Bett mit Stauraum darunter, ein leichter Campingschrank, ein Campingstuhl, ein Tisch, eine Kühlbox, ein kleiner Ofen und eine Komposttoilette.
Durch die rotkarierten Gardinen fällt warmes Licht ins Wageninnere. „Wenn ich von meinem Zuhause spreche, dann höre ich oft, ich hätte doch gar keins. Für mich ist der Wagen aber wirklich Zuhause“, sagt Hero. So lange seine Gesundheit es zulässt, möchte er sein Vagabundenleben nicht mehr aufgeben.
Reisen im Rhythmus der Natur
Seit er unterwegs ist, bestimmen die Jahreszeiten sein Leben und das Vorankommen auf seiner Reise. Bis Hero sich über den nächsten Winter Gedanken machen muss, werden er und seine tierischen Begleiter Deutschland womöglich schon verlassen haben.
Vom nördlichen Mühlenkreis aus geht es für die bunte Gruppe weiter in Richtung der holländischen Grenze. Über Belgien und vielleicht auch Luxemburg soll es für sie nach Frankreich gehen. Das Ziel: den französischen Teil der insgesamt 4.000 Kilometer langen, europäischen „Route dArtagnan“ mit dem Planwagen abzufahren. Die Reitroute beginnt in Lupiac, dem Geburtsort des berühmten Musketiers „dArtagnan“.
Schon in jungen Jahren Wanderritte gemacht
„Das ist ein Schmelztiegel für Pferdereisende“, weiß Hero, der nach eigener Aussage schon in jungen Jahren Wanderritte gemacht und Pferde besessen hat. Neben Frankreich, das ihn landschaftlich und kulturell sehr interessiert, freut er sich darauf, dort viele ähnlich gesinnte Menschen zu treffen, die sich auf den Weg gemacht haben.
In Deutschland hat er, mit wenigen Ausnahmen, eher Gespräche geführt, in denen andere Menschen gespannt seinen Geschichten gelauscht und ihre Sehnsucht nach Freiheit und ähnlichen Erlebnissen kundgetan haben.
Manch einer habe sich von ihm ein bisschen mit der Abenteuerlust anstecken lassen, die meisten seien aber in ihrem Alltag verblieben, sagt er. Dass ihm die Menschen auf seiner Reise mit so viel Hilfsbereitschaft und Offenheit begegnet seien, liegt seiner Vermutung nach auch daran, dass sie auf diese Weise selbst zu einem kleinen Teil der Reise wurden, die sie sich selbst gerne erlauben würden.